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Traditionelle Holzverbindungen im Alpenraum

erschienen in
Zuschnitt 57 Altes Holz - neu gedacht, März 2015
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Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts konnte ein anspruchsvoller Holzbau nur von Zimmerleuten gebaut werden, die auf viele Jahre Erfahrung mit den hohen Anforderungen des Materials Holz zurückblicken konnten. Kaum ein anderes Detail gibt diese Tatsache deutlicher wieder als Holzverbindungen. Ihre Ausformung macht die Überlegungen des Handwerkers zu ihrer Funktion lesbar.

Im Skelettbau wurden Stützen und Balken beziehungsweise Verstrebungen, also vertikale und horizontale Bauteile, zu einem tragfähigen Gerüst gefügt. Ausgesteift wurden diese Skelette in Europa durch Verstrebungen, mit deren Hilfe steife Dreiecksverbände gebildet wurden. Die Zimmerleute mussten überall dort Verbindungen schneiden, wo zwei oder mehr Bauteile gefügt wurden. Ganz anders waren die Anforderungen im Blockbau. Im Alpenraum standen weit mehr Nadelbäume als Laubbäume zur Verfügung. Es lag nahe, damit zu bauen. Lange, gerade gewachsene, möglichst astlose Bäume sind in trockenen Gebieten das ideale Baumaterial zur Errichtung von Blockbauten.

Im Blockbau wird durch waagrecht übereinander geschichtete Balken ein kastenartiges Gebilde aufgebaut. Jeweils vier Balken werden liegend zu einem Kranz verbunden. Läge wirklich jeder für sich abgebundene Kranz über den anderen, würde die Konstruktion mit zunehmender Höhe immer labiler. Der Aufbau darf also nicht schichtförmig vonstatten gehen, sondern muss räumlich verschränkt erfolgen. Zwei einander gegenüberliegende Balken werden so mit den beiden anderen orthogonal zu ihnen gelegten gefügt, dass sie eine halbe Balkenhöhe über den unteren mit diesen verbunden werden. Im nächsten Schritt sind die höher liegenden selbst die unteren und werden wie zuvor mit wiederum orthogonal versetzten Balken verbunden. Das dritte Balkenpaar liegt parallel zum ersten genau über ihm. Zwei miteinander verbundene Konstruktionsglieder sind also nicht wie in den meisten Fällen im Skelettbau flächenbündig miteinander verbunden, sondern verschränkt – genau so, wie unsere Finger zu liegen kommen, wenn wir die linke Hand mit der rechten verschränken. Eine andere Assoziation wäre ein geflochtener Korb. Tatsächlich gab es früher »runde« Blockbauten als Speicher und Scheunen. Reminiszenzen finden wir in Apsiden von Blockbaukirchen. Zu Beginn der Entwicklung wurden die Balken rund belassen. Mit primitivem Werkzeug wäre das Zurichten der Stämme zu vierkantigen Bauhölzern praktisch nicht möglich gewesen. Zwei orthogonal übereinandergelegte Stämme können aber nur dann in ihrer Lage fixiert werden, wenn man mindestens einen der beiden einschneidet. Je passgenauer diese Verbindung ist, desto besser sind die beiden Balken fixiert. Jede handwerkliche Holzverbindung bedingt eine Reduzierung des Querschnitts. Dieser Eingriff reduziert die statische Wirksamkeit auf den Restquerschnitt. Besser war es daher, bei jedem der zu verbindenden Elemente die Hälfte wegzuschneiden.

Auch gerade gewachsenes Nadelholz erweist sich als nicht gerade genug, wenn man zwei Stämme übereinanderlegt. Es bleiben ungleichmäßige Spalte. Das war bei einem Stallgebäude nicht tragisch, bei Scheunen zur Lagerung von Heu sogar wünschenswert. Wollte man jedoch in solchen Gebäuden wohnen und sie heizen, dann sollten die Wände dicht sein. Im Alpenraum begann man, die Balken an Ober- und Unterseiten ebenflächig zuzurichten. Von dort war es nur mehr ein kleiner Schritt dazu, gleich mit allen Seiten so zu verfahren. So war die Innenseite des Gebäudes automatisch ebenflächig und an der Außenseite konnten sich keine vom Wind vertragenen Samen anlagern und kaum Flechten ausbilden. Vierkantig zugerichtete Balken erleichtern zudem dem Zimmermann das Anreißen der Verbindungen.

Solange die Balken in der Art gefügt waren, dass die Verbindung des oberen Balkens mit einer horizontalen ebenen Fläche an den unteren anschloss, mussten die Balken ein signifikantes Stück über die Verbindungsstelle an der Ecke in vollem Balkenquerschnitt vorstehen. Nur so waren sie gegen ein Ausweichen nach außen gesichert. Das hieß, dass die Hirnholzenden der Balken nicht nur ungeschützt der Witterung preisgegeben waren, sondern explizit unsinnig exponiert waren. Diesem Missstand halfen die Zimmerleute durch eine Adaptierung der Verbindungen ab. Sie entwickelten zwei grundlegend verschiedene Methoden.

Die eine unterbrach die Ebenflächigkeit der Lagerfuge durch eine eingebaute Stufe. Die horizontale ebenflächige Verbindungsstelle erhielt solchermaßen einen Haken, der ein Ausweichen des Balkens nach außen verhinderte. Wir sprechen daher von einer hakenblattförmigen Verbindung. Die zweite Variant, der einfache Klingschrot, ersetzte die Horizontalität der Lagerfuge durch eine nach außen ansteigende ebene Fläche. Unter dem auflastenden Gewicht der darüberliegenden Balkenkränze war damit ein Ausweichen nach außen nicht mehr möglich. Die vordem so rasch abfaulenden Vorköpfe der Balken konnten wandbündig zu einer sauberen Ecke abgeschnitten werden. Die erste Form wird in der Literatur vielfach als in Osteuropa gebräuchlich beschrieben, die zweite als typisch für den Alpenraum. Das wird quantitativ so stimmen. Tatsächlich lassen sich zahllose Beispiele der jeweils anderen Fügetechnik da wie dort finden. Wenn es die Witterungsverhältnisse erforderten, konnte jetzt ohne enormen Aufwand die Blockwand inklusive der Ecke mit Schutzbrettern verkleidet werden. Ganz unabhängig von diesem wichtigen Entwicklungsschritt arbeiteten die Zimmerleute immer an einer Verbesserung der Verbindungen. Bauholz wurde die längste Zeit saftfrisch verarbeitet. Im Winter hatten die Bauern Zeit, sich ein Zubrot als Holzarbeiter zu verdienen. Während der schneelosen Jahreszeit musste gebaut werden. Holz wurde, zumal für Alltagsarchitektur auf dem Land, auch noch im 20. Jahrhundert vornehmlich mit der Axt bearbeitet. Nur frisches Holz lässt sich mit der Axt einfach zurichten. Dieses Material schwindet in den ersten Jahren nach seinem Einbau noch erheblich. Das heißt, dass selbst eine ursprünglich perfekte Passgenauigkeit gefügter Balken dieser Holzeigenschaft ihren Tribut zollen musste. Wenn das Material schwindet, also die Verbindungen Luft bekommen, leisten sie auch einem anderen Trocknungsphänomen, der Drehung, weniger Widerstand. Nur wenige Bäume wachsen wirklich schnurgerade. Die meisten sind wenigstens leicht drehwüchsig. Der Trocknungsprozess fördert die Drehung.

Die Zimmerer wussten um diese Eigenheiten des Materials und versuchten verbindungstechnisch gegenzusteuern. Diverse Einkerbungen, Haken und Nasen sollten dafür sorgen, dass die Verbindungen als die vielleicht wichtigsten bautechnischen Elemente zur Sicherstellung eines dichten Bauwerks mit stetig steigenden Ansprüchen und Erwartungen Schritt halten konnten. Sobald die Handwerker die technischen Probleme mehr oder weniger zufriedenstellend im Griff hatten, verlegten sie sich auf optische »Verbesserungen« – sie begannen zu dekorieren. Es scheint heute nahezu unvorstellbar, zu welchen Spielereien sich Zimmerleute hinreißen ließen, und vielleicht noch mehr, was Auftraggeber zu zahlen bereit waren. Ebenflächige Stoßfugen wurden zugunsten gekrümmter Flächen aufgegeben. Zunächst sinnvolle Hakenformen wurden zu ausschließlich dekorativen Zwecken vervielfacht. Es wurden mögliche und »unmögliche« Formen realisiert. Unmöglich heißt, dass unter Umgehung des konstruktionstechnisch bedingten Ablaufs des Abbunds der Balken rein ornamentale Formen ausgeführt wurden.

Diese Entwicklung war nicht sinnvoll fortsetzbar. Als neue Holzbautechnologien basierend auf Holzwerkstoffen zur Verfügung standen, schien sie endgültig der Vergangenheit anzugehören. Umso erstaunlicher sind Bauten wie der Golfklub in Yeoju von Shigeru Ban (siehe Zuschnitt 38 – Holz trägt). Die Fügung der doppelt gekrümmten Balken seiner Dachkonstruktion schließt praktisch nahtlos an die handwerkliche Tradition an. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Art der Verbindung ihren Beitrag zu einer Lebenszeitverlängerung der Bauten wird beitragen können. Jenseits von allem verbalen Missbrauch des Begriffs Nachhaltigkeit ist die möglichst lange Nutzung eines Gebäudes nach wie vor die nachhaltigste Lösung. Die Adaptierung und Nachrüstung alter Gebäude gewinnt an Attraktivität. Das kann nicht nur an Nostalgie liegen. Jahrhundertealte Häuser strahlen die Zuversicht aus, dass sie auch zukünftig ihren Zweck erfüllen können. Die Fügung der handwerklich gebauten Holzhäuser hat sich bislang als die langlebigste herausgestellt. Reine Holzverbindungen scheinen ihren Beitrag zur Beständigkeit der Bauten zu leisten.

Fotos

© Klaus Zwerger


verfasst von

Klaus Zwerger

habilitierte sich 2012 zum historischen Holzbau. Er hat fast alle Staaten Europas sowie China und Japan zu Forschungszwecken besucht. 2015 hatte er eine Gastprofessur an der Hosei University in Tokio inne. Er ist Autor mehrerer Bücher.

Erschienen in

Zuschnitt 57
Altes Holz - neu gedacht

Wer Holzbauten modernisiert, erweitert und neu belebt, weiß die Qualitäten des Alten zu schätzen, schafft Mehrwert und nutzt wertvolle Ressourcen.

8,00 €

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Zuschnitt 57 - Altes Holz - neu gedacht