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Geschichte der hochalpinen Architektur

erschienen in
Zuschnitt 69 Bauen am Berg, März 2018
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Die Geschichte der hochalpinen Architektur ist im Vergleich zur allgemeinen Baugeschichte eine junge Disziplin. Berge und Hochgebirge hatten für die Urvölker meist eine mystischreligiöse Bedeutung. Profane Gründe, die Berge zu erschließen, waren vor allem Handel und militärische Ziele. Unterstände und Jagdhütten gab es von jeher, errichtet von anonymen Schmugglern, Kristallsuchern, Ausgestoßenen, Kriminellen und natürlich Jägern. Die ersten dokumentierten Unterkünfte, die Hospize, entstanden für die zahlreichen Pilger, deren Weg sie über die Alpen nach Rom führte. Diese Hospize können wohl als Vorläufer der heutigen Schutzhütten bezeichnet werden. In der Renaissance und im Humanismus änderte sich das Weltbild der Menschen grundlegend. Die alpinistische Entwicklung fand vor allem durch die Wissenschaft statt, allen voran durch Geographen, Kartographen, Glaziologen, Botaniker, Meteorologen und Maler. Ausgehend von England suchten aber auch immer mehr wohlhabende Bürger und Adlige die Berge auf und errichteten primitive Unterkünfte, die als Stützpunkte dienten und Schutz vor Unwettern boten.

• Historische Berghütten
o Refuge de l’Aigle, Olpererhütte, Schwarzensteinhütte, Winter Cabin/Kanin (v.l.n.r.)

Die Pionierarbeit der Alpenvereine

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in den Alpenländern die Alpenvereine gegründet. Ihr Ziel war es, möglichst vielen Menschen den Zugang zu den Alpen zu erleichtern. Fast alle großen Alpenvereine waren rasch nach ihrer Gründung bestrebt, Hütten und Unterkünfte zu bauen sowie Wege anzulegen.

Die ersten Hütten wurden, zum Schutz vor den Naturgewalten an einen Felsen angelehnt (z. B. Hotel Simony).

Als Baumaterial diente, was in der unmittelbaren Gegend vorhanden war: oberhalb der Baumgrenze oft Stein in Form von nicht verputztem Trockenmauerwerk, in tieferen Lagen meist auch Holz. Felsen und Steine als »vierte Mauer« erwiesen sich jedoch, trotz des Schutzes vor Lawinen und Stürmen, wegen der dauernd eindringenden Feuchtigkeit als nicht zweckmäßig. Ein wesentlicher Schritt in der Weiterentwicklung des Hüttenbaus war daher die Abkehr von diesen an schützende Felsen angelehnten Steinkonstruktionen. Der letzte große Schritt war der Bau von völlig frei stehenden Hütten (z. B. Alte Olperer-Hütte), was auch den Vorteil einer leichteren Erweiterung bot.

Der Holzfachwerkbau galt als Idealtyp der Schutzhütte und ermöglichte bereits eine Standardisierung. Meist fertigte der Zimmerer oder Tischler im Tal die Konstruktion an und stellte die Modellhütte auf, nummerierte die Bauteile und zerlegte die Hütte danach wieder in ihre Einzelteile. Diese wurden dann von Trägern zum Bauplatz getragen, wo die Hütte wieder zusammengesetzt wurde.

Massenansturm in den Bergen

Nach der anfänglichen Phase des Hüttenbaus zur Erschließung neuer Gebiete wurden gegen Anfang des 20. Jahrhunderts Hütten in viel begangenen und bereits gut erschlossenen Gebieten errichtet, die daher als »Zentralhütten« bezeichnet werden können. Sie wurden kranzförmig am Kreuzungspunkt viel begangener Routen angelegt und durch Wege und Pfade miteinander verbunden. Durch die Entwicklung des Alpinismus hin zur sportlichen Betätigung und weg von der wissenschaftlichen Forschung, vergrößerte sich nach dem Ersten Weltkrieg die Anzahl der »Berggeher« rapide und es setzte ein unerwarteter Ansturm auf die Alpen ein, der bis heute anhält. Bereits bestehende Hütten wurden aus- und umgebaut, erweitert und aufgestockt. Die Bautechnik der Schutzhütten der Alpen änderte sich hin zu einem solide tragenden und verputzten Mauerwerk aus vor Ort beschafften Steinen. Dies war die Grundlage für mehrstöckige Bauten.

Allgemein wurden die Abmessungen der Hütten größer und die Räume und die Inneneinrichtung komfortabler.

In der Zwischenkriegszeit kam es, vor allem in Österreich, Deutschland und Italien, durch Faschismus und Nationalsozialismus zur Instrumentalisierung erfolgreicher Alpinisten als Volkshelden und einen immer stärker auch in den Alpenvereinen spürbaren Antisemitismus.

Ende der 1950er Jahre wurde beim Hüttenbau erstmals ein Hubschrauber eingesetzt. Damit wurde nicht nur der Transport der Baumaterialien erledigt, er diente auch als Kranersatz auf der Baustelle. So konnten auch großformatige Fertigteilelemente und Metallpaneele transportiert und an unebenen Bauplätzen Bauten in Ständerbauweise errichtet werden.

Keine neuen Hütten mehr

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts markiert den Beginn eines wachsenden Umweltbewusstseins, was in erster Linie Müllvermeidung, Mülltrennung und Müllentsorgung bedeutete. Der Umweltschutz wirkte sich auch auf die Bauweise der Schutzhütten aus: Energiefachleute erstellten Konzepte alternativer Versorgungsmöglichkeiten unter Einbeziehung von erneuerbaren Energien. Durch die Insel- und Höhenlage vieler Schutzhütten ist die Versorgung mit Wasser und Energie oft stark eingeschränkt. Die wichtigste Devise dabei war und ist: Energie sparen.

Alle Alpenvereine setzen sich heute für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt ein. Es werden keine neuen Hütten, Wege und Klettersteige in unerschlossenen Gebieten errichtet. Ab den 1990er Jahren wurden immer mehr Hüttenprojekte über Architekturwettbewerbe ausgeschrieben. Wegen des hohen Vorfertigungsgrades und des geringen Transportgewichts eignet sich der Holzbau in Kombination mit dem Einsatz des Hubschraubers denkbar gut für Neubauten und Erweiterungen im hochalpinen Raum.

Unabhängig von der architektonischen Formensprache erfolgen Hüttenumbauten und Neubauten landschaftsgerecht unter Einsatz von möglichst umweltfreundlichen Materialien und Technologien.

Literatur:

Hoch hinaus!
Wege und Hütten in den Alpen
Deutscher Alpenverein, Österreichische Alpenverein und Alpenverein Südtirol (Hg.)
Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2016

Hochalpine Architektur
Turrisbabel 92
Fachzeitschrift der Architekturstiftung Südtirol
März 2013, Bozen

Historisches Alpenarchiv
Der Alpenverein in Deutschland, Österreich und Südtirol
www.historisches-alpen-archiv.org

Zuschnitt 30
Holz bauen Energie sparen

Zuschnitt 5
Holz zu Gast
shop.proholz.at

Foto

© European Union, Copernicus Land Monitoring Service 2018, European Environment Agency (EEA), Grafik bereitgestellt von Werner Beer/ÖAV
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verfasst von

Gabriel Kerschbaumer

(1988, Brixen) studierte Architektur an der TU Wien und schloss sein Studium 2015 mit der Diplomarbeit »Hochalpine Architektur« ab. 2017 erschien sein Buch »Hochalpine Architektur« bei Klein Publishing. Seit Juli 2016 arbeitet er bei Kerschbaumer Pichler & Partner Architekten in Brixen.

Erschienen in

Zuschnitt 69
Bauen am Berg

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Zuschnitt 69 - Bauen am Berg