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Holz(an)stoß
David Hammons

erschienen in
Zuschnitt 89 Holz und Spiele, Juni 2023

Über viele Jahre weigerte sich der amerikanische Künstler David Hammons, von Galerien vertreten zu werden oder an Retrospektiven in Museen und Biennalen teilzunehmen. Erst 2002 erlaubte er einer Kuratorin, seine Arbeiten in einem winzigen Projektraum im Obergeschoss der Galerie White Cube am Hoxton Square in London zu zeigen. Dort präsentierte er neben einer Skulptur mit dem Titel „Rock Head“ (2000) – einem grauen ovalen Stein, der mit afroamerikanischen Haaren versehen war – auch eine Arbeit zum Thema Basketball: „Traveling“ (2002) war ein gerahmtes, 3,05 Meter hohes Papier (die reguläre Höhe eines Basketballkorbs), das mit „Harlem-Dirt“ beschmutzt war, wie es im Ausstellungstext hieß. Dieser Schmutz war demnach auf dem Papier haften geblieben, weil Hammons im Entstehungsprozess einen Basketball gegen das aufgehängte Papier geworfen hatte – durch das Aufprallen und Reiben des Balls auf dem Papier erzeugte Hammons eine Art modernistische Abstraktion.

Die Anfänge von Hammons’ Basketball-Arbeiten gehen bis ins Jahr 1982 zurück. Während der Künstler damals in New York direkt auf der Straße in überwiegend schwarzen Vierteln arbeitete, ­konzipierte er die Arbeit „Human Pegs/Pole Dreams“: Sieben maskierte Performer stellten eine Art Basketballkorb auf, eine ­dekorierte Stange, auf der ein mit Federn geschmücktes Fahrradrad befestigt war, ähnlich einem Schild der amerikanischen Ureinwohner:innen. Die Inspiration dazu kam ihm, als er improvisierte Basketballkörbe aus verschiedenen Materialien in Harlem sah. Eine spätere Version des Werks, die 1985 entstand, wurde an dem Ort aufgestellt, wo der amerikanische Aktivist und Bürgerrechtler Malcolm X in seinen Anfängen öffentliche Reden ge­halten hatte. 1986 schuf Hammons im Cadman Plaza Park in Brooklyn die hier abgebildete Arbeit „Higher Goals“. 

Auf den ersten Blick wirken diese zwischen 6 und 9 Meter hoch aufragenden Telefonmasten wie eine Hommage an den Basketballsport. In einem arbeitsintensiven Verfahren nagelte Hammons mehr als 10.000 Flaschenverschlüsse auf die Oberfläche jedes der fünf Holzpfosten, mit denen er Rauten-, Spiral- und Netzmuster kreierte. An der Spitze sieht man dekorierte Basketballkörbe inklusive den dazugehörigen Rückwänden. Die vermeintliche Festlichkeit ist allerdings trügerisch, da es sich für Hammons um eine „Anti-Basketball-Skulptur“ handelte: „Basketball ist in der schwarzen Gemeinschaft zu einem Problem geworden, weil die Kinder keine Bildung erhalten. Sie sind Spielfiguren in einem fremden Spiel. Deshalb heißt es ja auch ‚Higher Goals‘ (Höhere Ziele). Es bedeutet, dass man im Leben höhere Ziele haben sollte als Basketball.“ Hammons war zu dieser Zeit eine bewunderte, wenn auch schwer fassbare Figur in der Kunstwelt. Einst bezeichnete er das zeitgenössische Kunstpublikum als „das schlechteste Publikum der Welt“, und ein Großteil seiner Kunst, auch wenn sie schlussendlich in die elegantere Umgebung des Galeriesystems gelangte, war oppositionell und widerständig. Wie sein Kommentar zu „Higher Goals“ andeutet, sind seine Basketball-Arbeiten auch von der Abneigung gegen den Sport selbst getrieben; als Kind, so Hammons 1990 gegenüber dem Magazin Sports Illustrated, wollte er Basketballer werden, hörte aber bei 173 cm auf zu wachsen. „Ich bin wütend auf Basketball, ... das ist meine Rache“, sagte er.

Abgesehen von Hammons’ außergewöhnlicher Fähigkeit, dem Duchamp’schen Readymade eine aktualisierte Bedeutung abzuringen, könnten wir über die Chancen und kreativen Impulse nachdenken, die es mit sich bringt, eine:n Gegner:in (oder mehrere) zu haben und schlagen zu wollen. Wut ist, wie Punk sagt, eine Form von Energie, doch Künstler:innen haben in der Regel keine Rival:innen oder Gegner:innen mehr. Wir können uns vielleicht eine Blockbuster-Ausstellung von Matisse und Picasso ansehen, aber die Kombination aus Respekt und Feindseligkeit, die ihr ­paralleles kreatives Leben bekanntlich angetrieben hat, scheint größtenteils der Vergangenheit anzugehören.

Wie gewinnt man beim Basketball, welche Lernerfahrungen sind übertragbar? Vielleicht diese: sich selbst präzise zu platzieren, die psychologische Entschlossenheit beizubehalten, die andere Seite auszuspielen, ohne zu foulen, kreativ die Regeln zu biegen, die man nicht erfunden hat. Wenn eine Mannschaft das schafft, ist das beeindruckend. Aber wenn man es alleine schafft, dann ist das inspirierend.

David Hammons

geboren 1943 in Springfield, Illinois
Lebt und arbeitet in New York

Einzelausstellungen (Auswahl)

2016

  • Five Decades, Mnuchin ­Gallery, New York
  • Give Me A Moment, The George Economou Collection Space, Athen

2014

  • White Cube, London
  • Xavier Hufkens, Brüssel

2011

  • L&M Arts, New York

2007

  • L&M Arts, New York
  • Sequence 1, Palazzo Grassi, Venedig

2006

  • Media Series, Saint Louis Art 
  • Museum, Missouri

2004

  • Phat Free, The Fabric ­Workshop and Museum, Philadelphia 

2003

  • Hauser & Wirth, Zürich

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2018

  • Memory Palace, White Cube, London 

2017/18

  • Being Modern: MoMA in Paris
  • Fondation Louis Vuitton, Paris 

2017

  • From the Vapor of Gasoline, White Cube, London
  • Non-fiction, The Underground Museum, Los Angeles 

2016

  • Painting 2.0: Malerei im Informa­tionszeitalter, Museum Brandhorst, München
  • FORTY, MoMA PS1, New York 

2015

  • The Great Mother, Palazzo Reale, Mailand
  • A Constellation, The Studio Museum in Harlem, New York 

verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator.

Erschienen in

Zuschnitt 89
Holz und Spiele

Velodrom, Dreifachturnhalle, Kegelbahn – in diesem Zuschnitt dreht sich alles um das Bauen für den Sport.

8,00 €

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Zuschnitt 89 - Holz und Spiele