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Bauten wie Bäume
Weiterwachsen als kulturelle Tugend

erschienen in
Zuschnitt 90 Weiterbauen in Holz, September 2023

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wer an Holz denkt, denkt zunächst an Bäume, also ans Wachsen, nicht ans Weiterbauen und an Häuser. Ich denke gerade an kalifornische Küstenmammutbäume, Sequoia sempervirens, weil die warme Jahreszeit des Reisens gerade zu Ende gegangen ist – womöglich bald die Zeit lustigen Fernreisens überhaupt? So hoch wie sie sind unsere urbanen „Baumhäuser“ gegenwärtig noch nicht: über 100 Meter. Und wenn es stimmt, wurde so mancher Riese gar über 2.000 Jahre alt. Da ist man ernüchtert ob der natürlichen Grenze, an die wir gerade stoßen, und sucht Allianzen zwischen Weiterwachsen und Weiterbauen, handfeste wie poetische. Könnte das Bauen nicht dieselbe grüne Kraft entwickeln wie Kalifornisches Rotholz, das ja quasi für „Ewigkeit“ steht, für eine sympathische, die im Diesseits wurzelt? Denn immer mehr Menschen wird klar: Das Versprechen linearen Wachstums, gedeckt von Technik und Profit, trägt nicht mehr. Gutes Bauen könnte in Zukunft dagegen ein Wachsen sein: Wo das Bauen zum Kreislauf würde, müsste es Stoffe nutzen, Zuschläge brauchen, nur solche „Abfälle“ zurücklassen, die bedenkenlos rückführbar wären in jenen Boden, auf dem auch Bäume wachsen, die selbst vermehrt zum Baustoff würden. Das zugrunde liegende Prinzip ist längst in aller Munde, füllt Bücher: Weiterbauen. Ein Nutzen und Erweitern des Bestands, ein Verbessern, Ergänzen, mehr als das alte Zu- und Anbauen.

Haltung. Sie würde alltägliche „Monumente“ schaffen, die nicht nur aus Gründen der ökologischen Ökumene keiner abreißen will, sondern weil wir als wertvoll achten, was als kultureller Ressourcenluxus gelten kann, gespeichert in unseren Bauten, die sich entwickeln, weitergereicht werden, bleiben und so wachsen. Wachsen und Bauen als Einheit. Wo stehen wir heute? Vorher, also vor Beginn der Ökologie vor fünfzig Jahren, fällt bekanntlich die Industrialisierung ein. Zu Besuch in Niesky in der Oberlausitz bei der Christoph & Unmack AG. Hier erhält man Einblick in eine kurze historische Holzbaukunde und endlich stellt sich die Frage: Was taugt das Holz fürs Weiterbauen? Man kann das Weiterbauen als Weiterdenken klassischer Holzkonstruktionen nachverfolgen und damit als ein Stück Industriegeschichte. Es ist nämlich so: Zu den ältesten Bauten Europas zählen die Ruinen von Pfahlbauten an Seen. Bodengewinnung durch Rodung, Ackerbau und Überleben unterm schützenden Dach hängen unmittelbar zusammen, wenn Holzpfähle in die Seeufer gerammt werden, an für die Landwirtschaft ungünstiger Lage. Damit ist auch die eine, historische Holzbauweise benannt – neben dem komplexeren, holzaufwendigeren Blockbau, der das Schwinden des anisotropen Baustoffs zum Thema seiner Details machen muss. Erstere Konstruktionsweise dient dem Fachwerk als Vorbild. Schon in der Antike bekannt, setzte es sich erst um das 12. Jahrhundert durch. Es wird die vorherrschende Bauweise in Europas Städten, bis diese (erst) im 19. Jahrhundert steinern „herausgeputzt“ werden oder, im Norden, backsteinern bleiben. In so manchem mittelalterlichen Stadtkern ist diese pittoreske Verbundbauweise aus Schwelle und Rähm, Steher und Strebe und Ausfachung in Ziegel erhalten. Das aber war vor der Industrialisierung.

1927, in Niesky, plant Konrad Wachsmann, der kühle Konstrukteur, sein – neben Einsteins Caputher Sommerhaus – bekanntestes Holzhaus. Das Direktorenwohnhaus entsteht, da haben Scharoun, Poelzig, Gropius oder van de Velde bereits moderne Inkunabeln in Holz gebaut. Das Besondere an Niesky ist der üppige Bestand moderner Holzbauten und eben jenes Unternehmen, das zeitgenössische Formvorstellungen mit neuen Technologien verbindet. „Mit der heute allgemein verbreiteten Vorstellung des Begriffs Holzhaus stimmt dies zwar wenig überein. Aber sie ist die organische Weiterentwicklung der jahrhundertealten Holzbaukunst“, meint Wachsmann 1930 vollmundig, in dem Wissen, dass Holzbaukunst ein konstruktives Weiterbauen über Jahrhunderte bedeutete – wogegen sich sein Blockhaus mit steilem Satteldach altbacken ausnimmt. Als Wachsmann dann den Fachwerkbau zu Serienhäusern in Holz weiterentwickelt, steht schon das expressionistische Haus Sommerfeld von Gropius und Meyer, während Riemerschmid seine Typenhausserie für die Werkstätten Hellerau entwickelt hat. In der Weimarer Republik aber sind Tropenhäuser und militärische Baracken der Christoph & Unmack AG gefragt, der Holzbau boomt und die Lausitzer Fabrik wird zur größten ihrer Art in Europa.

Für Wachsmann und Gropius geht es mit der kurzlebigen „General Panel Corporation“ in den USA der 1940er Jahre weiter. Die Zauberworte lauten bereits damals: Holztafelbau, Ökonomie der Arbeitszeit. Schon im mittelalterlichen Fachwerkbau ist das angelegt, die Erweiterbarkeit, das Maß an Vorfertigung. Jedes Lexikon nennt die Eigenschaften dieses Baustoffs, die ihn fürs Weiterbauen prädestinieren, zu denen auch seine relative Leichtigkeit, seine guten wärmetechnischen Eigenschaften zählen – und natürlich die ökologische Dimension seiner Herkunft, geht man von nachhaltiger Forstwirtschaft aus. Heute also, da das Paradigma der Verstädterung noch in der Klimakrise gilt, kehrt das Holz mit gutem Grund zurück in die Großstädte – als Begrünung und als Baustoff. Städte in der ganzen Welt übertrumpfen sich mit Holzwolkenkratzern. Stimmt es also noch, dass in der Wiener Seestadt Aspern mit dem 84 Meter Hohen „HoHo“ das höchste der Welt steht? Beinahe so hoch wie ein Baum. Es geht auch anders. Monolithisch.

Florian Nagler ist dafür bekannt, fürs Einfache zu plädieren, seit es ihm zu kompliziert wurde, zu „energieeffizient“. Er zeigt dabei gerne eine Holzhütte aus seinen jungen Jahren. Sein hölzerner Massivbau im Bad Aiblinger „Forschungshaus“ baut auf Nadelhölzer, möglichst wenig Kleber, Leim. Kurzum: auf Lowtech und Highskill, auf klare Linien für den historischen Baustoff, die sich nicht unbedingt „modern“ geben müssen – wie das Holz eben, das – so besehen – nie alt wurde. Erlebt man da nicht auf besondere Weise das „Prinzip Anschaulichkeit“? Wer einmal in einer mehrere Menschengenerationen alten Stube, etwa in einem Vorarlberger Wirtshaus, gesessen ist – der Boden aus Holz, gealtert, die Decke hölzern, gealtert, auch die Tische und freilich Stühle, womöglich in Teilen erneuert, aber überall schon vom Gebrauch gezeichnet –, wer den seltsam warmen Zusammenklang des Kleinteilig-Gefügten, Gefüllten, Rahmenden wahrnimmt, der weiß und riecht und hört zugleich: Holzbau ist Weiterbau. Holzbau, wo er in die Feinheit des Tischlermäßigen und auch an die Oberflächen des Gebrauchs vordringt, hat Charakter. Ähnliches findet man in den europäischen Wirtsstuben und Stuben allerorts: Schatullen des Beisammenseins, ob verspielt oder sachlich. Nicht nur fügt sich Holz zu Holz, es ist auch gut im Ausfüllen zur Wohnlichkeit. Und es hat Patina, die weiterwächst, wo der Baum „begraben“ ist. Wer denkt da etwa nicht auch an das Fisher House von Louis I. Kahn, das in Pennsylvania alle erdenklichen Daseinsweisen und Dienstbarkeiten von Holz vor Augen führt. Der Bauplatz: eine sanfte Lichtung; das Haus: ein Holzbau auf steinernem Sockel; die Möbel: aus Holz entworfen; die Fenster: kleine Holzraumwunder. Im steinernen Kamin brennt das Holz den Schaulustig-Frierenden und wird als Asche den Boden nähren, wenn Rauch schon nach draußen zieht, wo die Bäume sommers Schatten spenden, munter rauschen und Privatheit schenken. Dieses Haus ist ein wirkliches Baumhaus – und es lebt. Wo ein Baum dafür gefallen ist, wird er geehrt und wohnlich bedacht. So zu bauen, heißt am Baustoff wachsen.

In manchem Baugesetz findet sich ja die „Eingriffsregelung“. Gerade in der Stadt hütet man den beachtenswerten Baumbestand, so im „Wiener Baumschutzgesetz“, das rückwirkend am 15. August 1973 in Kraft trat. Der erste Paragraph besagt: „Zum geschützten Baumbestand im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Bäume, das sind Laub- und Nadelhölzer mit einem Stammumfang von mindestens 40 cm, gemessen in 1 m Höhe vom Beginn der Wurzelverzweigung, einschließlich ihres ober- und unterirdischen pflanzlichen Lebensraumes.“ Das zeigt eigentlich alles Wesentliche in einem Lehrsatz für eine mögliche, sprichwörtlich nachhaltige Zukunft vereint: Respekt vor der gewachsenen Gestalt, nötigenfalls Ersatz, Balance halten, Gleichgewicht. Also nicht nur ein Weiter- und Ausbauen in Holz, sondern eine „neue Industrialisierung“ tut Not, die nicht die Baumnatürlichkeit und daher den Kreislauf verdeckt, der unser Handeln leiten kann. Denn wo er präsent bliebe, leben wir anders. Es ist ein ganz sinnliches Gesetz: Die Wertschätzung der Baumgestalt, dann aber auch des gut aus ihm Gefügten, das Weiterbauen in Holz, ob als Stab oder Platte oder gar Zelle, durchs Weiterwachsen von Orten, die es schon gibt. Die Kardinaltugend des Weiterbauens, jenseits von Ökologie, Not und Trend: dass schon etwas da ist, lebendig, an dem wir Anteil haben, woraus wir weiter schaffen und wachsen.


verfasst von

Albert Kirchengast

Architekturtheoretiker, lehrt an diversen Hochschulen und ist Autor von Fachbeiträgen und Büchern. 2022 erschienen die Anthologien „Landscape Analogue. About Material Culture and Idealism “ sowie „Brutalismus in Österreich 1960 – 1980. Eine Architekturtopografie der Spätmoderne in neun Perspektiven“.

Erschienen in

Zuschnitt 90
Weiterbauen in Holz

Aufstocken, Implementieren, Drumherumbauen – der Umgang mit dem Bestand ist diesmal unser Thema.

8,00 €

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Zuschnitt 90 - Weiterbauen in Holz