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Beim Blick auf die Produktion von Gebäuden bietet sich in der
Regel ein ernüchterndes Bild. Noch immer findet für einen Groß-
teil der Gebäudekomponenten die Fertigung und Montage auf
der Baustelle statt. Rohbau, Haustechnik und Ausbau werden der
Reihe nach getrennt voneinander ausgeführt. Vor allem witte-
rungsbedingt und durch unvorhergesehene Ereignisse treten auf
der Baustelle häufig Störungen im Ablauf auf, das Geschehen
gleicht allzu oft einem unorganisierten Chaos. Bereits fertigge-
stellte Bauteile werden teilweise von nachfolgenden Handwerkern
oder aufgrund unzureichender Wetterschutzmaßnahmen wieder
beschädigt, mangelnde Koordination behindert den Baufortschritt.
Die charakteristischen Unwägbarkeiten der Fertigung vor Ort
zeigen oft dramatische Auswirkungen auf den Bauablauf mit
den typischen Folgen wie mangelhafte Bauqualität, Kosten- und
Terminüberschreitungen. Dass auf der Baustelle Adaptionen
lange möglich sind und Planungsmängel vor Ort repariert werden
können, verführt geradezu zu ungenügender planerischer Vor-
bereitung. Das heutige Bauen ist vielfach weit entfernt von pro-
fessioneller Produktentwicklung und koordinierter Fertigung.
Auch die Vielzahl an gerichtlichen Auseinandersetzungen –
Gerichtsverfahren im Bereich des Bauwesens gehören zu den
häufigsten – ist eine Auswirkung dieser unbefriedigenden Situa-
tion. Dazu kommt, dass fast jeder Bau ein Prototyp ist, die mo-
mentane Struktur des Bauwesens lässt nichts anderes zu.
Begünstigt und möglich wird diese Art der Herstellung von Bau-
ten durch die Dominanz der handwerklichen Strukturen, zumin-
dest im mitteleuropäischen Raum. Es sind fast ausnahmslos
Klein- und Mittelbetriebe, die Bauleistungen ausführen, was
die individuelle Fertigung erst ermöglicht. Die oben genannten
Unzulänglichkeiten scheinen somit systemimmanent zu sein.
Interessanterweise ist aber gerade dort, wo das traditionelle
Handwerk noch lebt, die höchste Bauqualität weltweit festzustel-
len – scheinbar ein Paradoxon. Folglich ist also zu unterscheiden
zwischen dem Bauprozess und dem Ergebnis, denn auch bei
unbefriedigendem Bauablauf kann ein qualitativ hochwertiges
Bauwerk entstehen. Wesentlich ökonomischer und mit einem
Bruchteil an Schwierigkeiten wäre dies jedoch mit einem opti-
mierten Bauprozess möglich, und diese Optimierung steht oft in
direktem Zusammenhang mit dem Grad der Vorfertigung eines
Gebäudes. Schon lange lassen sich in der Geschichte des Bauens
Bemühungen registrieren, eine Alternative zur Fertigung auf der
Baustelle zu finden. Als Gusseisen für das Bauwesen entdeckt
wurde, entstanden besonders für größere Bauten zahlreiche vor-
gefertigte Systeme, die eine Errichtung der Gebäude innerhalb
kurzer Zeit ermöglichten. Joseph Paxtons Kristallpalast in London
(
1851
), die Maschinenhalle Paris von Victor Contamin und Charles
Louis Ferdinand Dutert (
1889
) sowie die Bauten von Gustave
Eiffel zeigen dies eindrücklich. Die Hoffnung auf eine Revolutio-
nierung war angebracht, das Industriezeitalter schien auch im
Bauwesen Einzug zu halten. Doch es blieb bei diesen Anfängen.
Der bereits damals erreichte Grad der Industrialisierung ist heute
noch immer nicht Stand der Technik.
Holz war und ist unter allen Baumaterialien dasjenige, das auf-
grund seiner Eigenschaften die besten Voraussetzungen für eine
Vorfertigung mit sich bringt. Schon immer fabrizierte der Zimmer-
mann so viel wie möglich vor, der historische Abbund kann im
Prinzip als früheste Form echter Präfabrikation gelten. Die Ver-
lagerung der Produktion in die Werkstatt ist wegen der guten
Bearbeitbarkeit sowie der Leichtigkeit des Materials gut möglich,
denn gerade das Transportgewicht ist das entscheidende Kriteri-
um dafür, ob vorgefertigte Elemente sinnvoll sind. Der moderne
Holzbau bietet heute im Vergleich zu anderen Materialien einen
durchaus alternativen Bauprozess an. Schon die Tragstruktur
eines Holzgebäudes ist nahezu immer vorgefertigt. Dies wird als
Abbund bezeichnet. Die Tragelemente werden in der Abbundhalle
konfektioniert, die Verbindungsmittel vorbereitet und teilweise
bereits in die Holzteile eingebaut mit dem Ziel, die Primärkon-
struktion sehr schnell montieren zu können. Dieser Definition fol-
gend ist auch das Konfektionieren von flächigen Tragelementen
dem Begriff Abbund zuzuordnen, durch das Zusammenfallen von
Tragstruktur und Hülle ist der Vorfertigungsgrad hierbei schon
relativ hoch. Die Vorfertigung der Gebäudehülle hat in den letzten
zwanzig Jahren den Holzbau revolutioniert. Sie findet mittler-
weile nicht nur in der industriellen Vorfertigung im Fertighausbau
Anwendung, sondern auch in jeder Zimmerei, die die handwerk-
liche Vorfertigung als logische Weiterentwicklung der herkömmli-
chen Abbundtradition praktiziert. Moderne Transport- und Hebe-
werkzeuge sowohl in den Fertigungshallen als auch auf der
Baustelle sowie die Unterstützung durch moderne computerge-
steuerte Fertigungsmaschinen ermöglichen diese Entwicklung.
Industrielle Vorfertigung
Den Inbegriff industrieller Vorfertigung im Holzbau stellt nach
wie vor das General Panel System von Konrad Wachsmann
dar, das dieser nach seiner Emigration in die
usa
zusammen
mit Walter Gropius entwickelte. Ihre Idee war es, Häuser aus
standardisierten, in einer Fabrik komplett maschinell vorgefer-
tigten Tafeln aus Holz zu produzieren und sie mit ungelernten
Arbeitskräften in einem Tag aufzustellen. Doch dem System
blieb aus verschiedenen Gründen der Erfolg verwehrt.
Immer wieder wird in diesem Zusammenhang der Vergleich mit
der Autoindustrie bemüht. Weltweit kommt die Fertighausin-
dustrie diesen Ideen am nächsten. Japan zeigt eine fast voll-
ständige Automatisierung in der Herstellung, in Europa dagegen
ist der Prozess noch sehr handwerklich geprägt, denn es bilden
nicht etwa gleichbleibende, modulartige Elemente die Grundlage
Hermann Kaufmann
Essay
Der andere Bauprozess
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