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von variablen Bausystemen, sondern standardisierte Haustypen
nach dem Geschmack der Kunden. Außerhalb des Einfamilien-
hausbaus existiert derzeit keine nennenswerte industrielle Vor
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fertigung im strengen Sinn. Zwar gibt es annähernd industriali-
sierte Elementfertigungen für Wände, Decken und Dächer in
diversen Betrieben, die dann als Einzelkomponenten geliefert
werden. Eine serielle Fertigung von kompletten Bausystemen für
den mehrgeschossigen Wohnungs-, Gewerbe- und Industriebau
etc. fehlt jedoch. Eine Ausnahme bildet hierbei die Raumzellen-
fertigung. Raumzellen sind in hohem Maß vorgefertigte Raum-
module, deren Größe durch die Transportmaße bestimmt ist und
die durch Reihung und Stapelung zu funktionellen Einheiten zu-
sammengeschlossen werden. Sie kommen komplett ausgestattet
auf die Baustelle, also mit eingebauten Nasszellen, Haustechnik-
installationen und fertigen Oberflächen, sogar die Möblierung
kann bereits mitgeliefert werden. Überall dort, wo eine große
Anzahl an gleichen Räumen nötig ist, wie zum Beispiel in Hotels
oder Altersheimen, und nur eine begrenzte Bauzeit zur Verfü-
gung steht, ist diese im Vergleich meist teurere Baumethode
sehr sinnvoll. Auch beim Bauen im Bestand, beispielsweise bei
Aufstockungen und Erweiterungen, bieten Raumzellen durch
ihre Leichtigkeit sowie die schnelle und störungsfreie Montage
große Vorteile. Sie werden teilweise von spezialisierten Betrie-
ben, aber auch von normalen Zimmereibetrieben angeboten.
Handwerkliche Vorfertigung
Gerade aufgrund der kleinteiligen Betriebsstrukturen hat sich in
den letzten Jahren im Holzbau die handwerkliche Vorfertigung
durchgesetzt. Individuelle Holzbauten werden heute in den Hand-
werksbetrieben in hohem Maß vorgefertigt und dann in kurzer
Zeit errichtet. Die Branche hat erkannt, dass sie mit diesem
„anderen Bauprozess“ ein Alleinstellungsmerkmal besitzt, und ist
sehr erfindungsreich in der Weiterentwicklung und Perfektionie-
rung von Methoden und baulichen Lösungen mit hohem Präfabri-
kationsstandard. Die Vorfertigung unterliegt eigenen Gesetz-
mäßigkeiten. Die Dimension der Elemente ist begrenzt durch die
Transportmaße, das maximale Transportgewicht bedeutet bei
Holzelementen im Gegensatz zu Beton- oder Ziegelelementen
selten eine Einschränkung. Breiten bis
4
Meter und Längen bis
20
Meter und mehr sind durchaus üblich. Je größer der präfa-
brizierte Bauteil ist, desto wirtschaftlicher ist er in der Regel.
Der Grund dafür liegt in der Reduktion von Elementstößen und
-verbindungen. Die architektonisch größte Herausforderung bei
vorfabrizierten Bauten besteht aber in der formalen Bewältigung
der notwendigen Fassadenfugen. Die Anforderungen an die
Gestaltung schränken oft den Vorfertigungsgrad ein. Nicht jedes
Fassadenmaterial lässt sich bereits in der Werkhalle montieren
und die Gesetzmäßigkeiten des Montageprozesses bestimmen
die Lage der Fassadenfugen. Daher müssen diese Regeln beim
Entwurf von vorgefertigten Gebäuden bereits in einem relativ
frühen Planungsstadium Berücksichtigung finden. Dennoch er-
möglicht es gerade die handwerkliche Vorfertigung, ganz indivi-
duelle Konzepte zu realisieren.
Ausblick
Bauen mit Holz bietet durch die Möglichkeiten der umfassenden
Vorfertigung eine Alternative zu herkömmlichen Bauprozessen.
Zur Umsetzung sind aber entsprechende Voraussetzungen in der
Struktur der Holzbaubetriebe notwendig, die sich langsam zu
entwickeln scheinen. Nicht mehr das immer gleiche Modul mit
seinen standardisierten Abmessungen ist das Kriterium für wirt-
schaftliches Produzieren, sondern die intelligente Systematik von
Bauteilfügungen und Materialkompositionen. Dies zwingt die
Entwerfenden zu Disziplin und kann sogar zu einem inneren
Zusammenhalt des Entwurfs führen, der zwar nicht vordergründig,
aber dennoch spürbar vorhanden ist. Derzeit ist fast jeder größere
Holzbau ein Prototyp. Um mehr Planungs- und Genehmigungs-
sicherheit zu erreichen, sind Standardisierungen notwendig. Die
Befriedigung der derzeit wachsenden Nachfrage nach Holzbau-
ten erfordert die Entwicklung von umfassenden Bausystemen,
abgestimmt auf die einzelnen Bautypen wie Wohnen, Arbeiten,
Gewerbe etc. Auch die Generalunternehmer werden sich zukünf-
tig auf das Thema Holzbau einstellen, denn der Markt verlangt
verstärkt nach ressourcenoptimierten Bauten, und da kann Holz
bereits Lösungen anbieten. Ein großes Aufgabengebiet für For-
schung und Entwicklung zeichnet sich ab, das nur in enger Koope-
ration von Architekten, Ingenieuren und Unternehmern erfolg-
reich bearbeitet werden kann.
Hermann Kaufmann
geboren
1955
in Reuthe im Bregenzerwald, seit
1986
eigenes Architekturbüro
in Schwarzach, seit
2002
Professor am Institut für Entwerfen und Bautechnik,
Fachgebiet Holzbau an der
tu
München
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung des Artikels „Der andere Bauprozess“,
erschienen in der Publikation zur Ausstellung „Bauen mit Holz – Wege in die
Zukunft“, München
2011
.
zuschnitt
50.2013
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5
Essay
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