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Essay
(Berg-)Hütten
Lei dumme Schof gian aufn Berg aui.*Das war eine jener lapida-
ren Ansagenmeines Großvaters, diemich als Fünfjährigen eher
ratlos zurückließen. Schafe konnten dumm sein. Das wusste ich,
seit ich dabei geholfen hatte, eine Horde Schafe auf die Alm zu
treiben. Aber weshalb nur die dummen Schafe auf den Berg
hinaufgehen, erschloss sichmir erst allmählich. Vorsichtshalber
vermied ich es als Kind und Jugendlicher, auf Berge zu steigen.
Amwenigstenwollte ich auf unserenmarkantenHausberg. Bei
Schulausflügenmit diesem Ziel war ich stets durch plötzliche
Krankheit verhindert. Und als ich als junger Erwachsener diesem
Grundsatz untreuwurde und eine Theateraufführung auf dem
Gipfel besuchte, verlor der Bergmeiner Kindheit seinen Zauber
und ichmusstemir einen neuen suchen, den ich von unten be-
wundere und nicht besteige. Etliche Jahre pflegte ich das Ritual,
einmal im Jahr imAugust amNachmittagmeist querfeldein in
Richtung irgendeines Gipfels zu gehen. Bei Einbruch der Dunkel-
heit setzte ichmichmit Isomatte und Schlafsack auf einen
trockenen Platz nochweit unter demGipfel und beobachtete
Sternschnuppen, dasMondlicht und das Leuchten im Tal. Ich
wäre nie auf die Idee gekommen, zur Übernachtung eine Berg-
hütte aufzusuchen. Dementsprechend schreibe ich über etwas,
was ich nur von außen kenne. Ähnlichkeiten der beschriebenen
Hüttenmit realen sind daher zufällig.
Die erstenMenschen auf dem Bergwaren Jäger, Hirten und
Reisende, die aus zwingenden Gründen dorthinmussten. Wahr-
scheinlich hat somancher übermütige Bauernbursch nebenbei
die eine oder andere Erstbesteigung vorgenommen, ohne sich
der historischen Bedeutung seines Unterfangens bewusst zu sein.
Unterstände undHütten, die für denwiederholten Aufenthalt in
unwirtlichenHöhen notwendigwaren, bestanden hauptsächlich
aus den dort unmittelbar vorhandenenMaterialien Stein undHolz.
Hüttenwurden anOrten errichtet, die nach langer Beobachtung
am sichersten vor Unwettern, Lawinen und Steinschlägenwaren.
Der Mensch zog sichmehr oder weniger die Landschaft als Decke
über den Kopf und schuf sich eine schützende Höhle, die das
Nötigste fürs Überleben sicherte.
Vor
200
Jahren entdeckten Poeten und abenteuerlustige Städter
mit Freizeit die Berge. Sie schätzten die Erhabenheit der Bergland-
schaft undwohl auch die euphorisierendeWirkung der dünnen
Luft. Sehr viele unserer Berghütten tragen die Namen deutscher
Städte. Es sind eher einfacheHotels und Gasthäuser als Hütten
im ursprünglichen Sinn. Sie sind ein Stück Stadt in den Bergen.
Einige Gipfelstürmer der Moderne wollten es mit den Bergen auf-
nehmen und ihnen Ebenbürtiges entgegensetzen, wenn auchmit
beschränktenMitteln. Heutige Kristallträume versuchen diesen
Weg fortzusetzen. Undmit der Finanzkraft des Tourismus, der mit
einer forciertenDosiserhöhung und Beschleunigung der Lange-
weile des Schon-zweimal-Gesehenen entgegenzuwirken versucht,
scheint nichts mehr unmöglich.
Berghütten abseits vonAufstiegshilfen sind da ein liebenswürdiger
Kontrapunkt. Sie sind Stützpunkte für Menschen, die bereit sind,
für außergewöhnliche Erfahrungen auch Anstrengungen auf sich
zu nehmen, oder die gerade diese Anstrengungen als Ausgleich
zum vollklimatisierten Alltag schätzen.
In die Jahre gekommeneHütten zumodernisieren oder zu ersetzen,
ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Einfühlungsvermögen
erfordert. Neben der Notwendigkeit, die Hütten heutigen öko-
logischen Standards anzupassen, stellt sich damit zusammenhän-
gend die Frage, welchen Komfort eine Berghütte bieten soll.
Die Bedürfnisse und Erwartungen der Bergwanderer und Berg-
steiger sind naturgemäß eher bescheiden. Ihr Interesse gilt der
Landschaft und demAbenteuer, sich in ihr zu bewegen. Diemög-
lichenHaltungen der Architektur reichen von einem euphorischen
Heroismus, der es, wie schon erwähnt, der bombastischen Land-
schaft gleichtunwill, bis zu einem demütigen Verschwinden in der
Landschaft, einer Minimierung der Störung des vorgefundenen
Gefüges. Alle Haltungen kämpfenmit einer latentenDeplatziert-
heit und einer maßstäblichenGratwanderung zwischen Zumutung
und Lächerlichkeit.
Grundsätzlich halte ich den zurückhaltenden Ansatz, der wie die
Urhütten das Notwendigemit möglichst minimalenMitteln ab-
deckt, für angemessener, solange das Ergebnis demOrt gerecht
wird und seineMöglichkeiten nutzt.
Ein Schlafraum braucht nicht viel größer zu sein als ein Bett und
ein Rucksack. Dafür ist er vielleicht nach außen hin so verglast,
dass einen der Mondweckt oder dieMorgensonne. Anders als die
ursprüngliche Schutzhütte kann der Hüttenraummit den heutigen
Mitteln ohne großen Aufwand seine spektakuläre Umgebungmit
gezielten Außenbezügen inszenieren. Windgeschützte, teilweise
überdachte Sonnenterrassen rund um die Hüttemit einer ein-
fachen, liebevollen Gastronomie erfüllen den Traum jedes Berg-
wanderers und könnten auch als Notschlafstellemit Schlafsack
und Isomatte dienen, ohne die Natur mit Stickstoff zu belasten.
Ein solches zeitgemäßes Refugium aus den am Bauplatz vorge-
fundenenMaterialien herzustellen, scheitert derzeit an den hohen
Arbeitskosten. Beim heutigen Stand der Technik scheint für hoch-
alpines BauenHolz am besten geeignet zu sein. Insbesondere
vorgefertigte Brettsperrholzstrukturen verkürzen in exponierten
Lagen dieMontagezeit und senken die Kosten für den Flugtrans-
port. Eine Außenhaut aus massivemHolz passt sich unter höchs-
ter Beanspruchung innerhalbweniger Jahre durch Verwitterung
seiner natürlichenUmgebung an. Verschleißteile können relativ
leicht austauschbar gestaltet werden. Bauphysikalisch ist Holz
bekanntlichwesentlich geduldiger als mineralische undmetal-
lische Baustoffe. Eine finale Entsorgungwäre durch Verrottung
anOrt und Stelle, in Tirol auch als Bergfeuer, vorstellbar.
Auf dem Berg stellen sich bestimmte Fragen des Bauens wie die
Angemessenheit der Mittel und die Qualität des konkretenOrtes
verschärft. Zurück im Tal werden diese grundlegenden Aspekte
von scheinbar unbegrenztenMöglichkeiten überdeckt, was zur
Beliebigkeit verleitet, wo die gleiche Konzentration auf das wirk-
lichNotwendige angebracht wäre.
Wolfgang Pöschl
lebt und arbeitet als Architekt in Tirol
*Nur dumme Schafe gehen auf den Berg hinauf.
Wolfgang Pöschl
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