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Innovation durchReduktion
HermannKaufmann undArnoRitter imGespräch
Arno Ritter
Dieses Zitat habe ich im Zuge
der Recherche gefunden. Kannst du der
Aussage zustimmen?
HermannKaufmann
Ja, aber nur dann,
wenn ein hoher Grad an Kultiviertheit
besteht. Ichmeine damit, dass es nur
Menschen, die vom übermäßigenWohl-
stand satt sind, leicht fallenwird, auf
Überflüssiges zu verzichten und darin
neue Qualitäten zu entdecken. Um
direkter und schneller diese Erfahrungen
zumachen, ist der Berg ein guter Lehrer,
somit kann uns das Bauen in diesen
Umgebungen das einfache Bauen lehren.
Arno Ritter
Nimmt man das Thema der
sogenanntenHütte alsMetapher für eine
Haltung, so kannman erkennen, dass die
Hütten zum Beispiel vonHeidegger bis
Wittgenstein Bautenwaren, die sich durch
einen Rückzug aus der Welt, die Reduktion
von Raum und die Beschränkung auf das
Wesentliche im Verhalten auszeichnen.
Betrachtet man deinen Ansatz bei der
Olpererhütte, so steht dieser in jener Tradi-
tionwie auch in der Tradition des Bauens
in den Bergen und folgt zugleich dem
aktuellenBegriff der Suffizienz in der Archi-
tektur, der unabhängig vom Standort des
Gebäudes von Bedeutung ist. Wie würdest
du den Begriff der Suffizienz in der Archi-
tektur und imHolzbau definieren?
Hermann Kaufmann
Suffizienz bedeutet
für mich Verzicht auf alles Unnötige und
die Entdeckungsreise in die Grenzerfah-
rungen der eigenen Ansprüche – ein ent-
schlacktes Dasein ohne unnötigen Ballast.
„Einer naturverträglichenGesellschaft kannman in der Tat nur auf
zwei Beinennäherkommen: durch eine intelligenteRationalisierungder
Mittel wie durch eine kluge Beschränkung der Ziele. Mit anderen
Worten: die ‚Effizienzrevolution‘ bleibt richtungsblind, wenn sie nicht
von einer ‚Suffizienzrevolution‘ begleitet wird.“Wolfgang Sachs
Arno Ritter
Einwesentlicher Aspekt dei-
nes Entwurfs bei der Olpererhütte war der
Ansatz der „Innovation durch Reduktion“.
Dieses Konzept ist aber allgemeingültig
und kein Alleinstellungsmerkmal für das
Bauen in den Bergen oder von Berghütten.
HermannKaufmann
Da hast du recht, das
ist ein sehr aktuelles Thema in der Archi-
tektur. Die nächste Stufe in der Weiterent-
wicklung des Bauens wird die Frage nach
dem notwendigenMaß an Technik für
unsere Bauten sein. Wir haben uns in den
letzten Jahren viel zu sehr auf diese ver-
lassen in der Hoffnung, dass sie und nicht
die Architektur die Probleme der Energie-
effizienz lösen und zugleich unseren Kom-
fortanspruch vollkommen befriedigen
wird. Das war ein Trugschluss, denn die
Technik ist zu anfällig, benötigt viel Erhal-
tungsaufwand und die rasanten Entwick-
lungen in diesem Bereich lassen die Syste-
me schnell altern. Ich bin überzeugt, dass
es um eine Rückbesinnung auf dieMög-
lichkeiten der Architektur gehenmuss, der
intelligenten Baukonstruktionen, dass also
zu fragen ist: Wie kann ichmit denMitteln
des klimatisch angepassten Bauens die
grundlegenden Ansprüche nachWohlbe-
finden unter Einhaltung eines limitierten
Energieverbrauchs befriedigen?
Arno Ritter
Im Fall der Olpererhütte hast
du den Begriff des „hölzernen Steines“
geprägt. Was meinst du damit?
HermannKaufmann
Die alten Berghütten
warenmeist aus Stein gebaut. Durch die
Verfügbarkeit desMaterials, das Vorhanden-
sein von billigen Arbeitskräften und die
eingeschränkten Transportmöglichkeiten
war das naheliegend. Das historische Bild
der Hütten ist also vom Stein geprägt,
von grauen Gebäuden imGrau der Steine.
Das Grau des verwittertenHolzes erzeugt
ein identisches Bild. Das hat mich dazu
verleitet, den Ausdruck des „hölzernen
Steins“ zu verwenden.
Arno Ritter
Einwesentlicher Begriff in
diesem Zusammenhang ist die Robustheit
eines Gebäudes bezüglich seiner Nutzung
und seiner Lebensdauer. Wie würdest du
den Begriff definieren?
Hermann Kaufmann
Der Begriff Robust-
heit ist vielseitig anwendbar. Schon die
spezielle klimatische Situation auf
2.400
Metern Seehöhe verlangt ein robustes
Baugefüge. Je einfacher die Bauteil-
fügungen und je klarer die konstruktiven
Lösungen sind, umso langlebiger und
widerstandsfähiger, umso robuster wird
das Haus sein. Robustheit gibt es aber
auch in der Gestaltung.
Jeweniger modisch etwas ist, umso länger
wird es in der architektonischenWahr-
nehmung bestehen. Es istmeine Erfahrung,
dass Gebäude, die ihre Form aus den
diversen Bedingungen des Ortes und der
Aufgabe ableiten, also auf verschiedenen
Ebenen verständlich und lesbar sind,
eine wichtige Grundlage für gestalterische
Robustheit erhalten. Nicht zuletzt ermög-
lichen einfache strukturelle Konzepte eine
Robustheit gegenüber sich ändernden
Nutzungen.
zuschnitt
69.2018
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Bauen am Berg
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