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Holz im Namen
Auf den Spuren der Pecher, Strabler und Triftleute

erschienen in
Zuschnitt 91 Wald und Holznutzung, Dezember 2023

Die Spuren, die die Wald- und Holznutzung an ruralen und urbanen Orten hinterlassen hat, sind zahlreich und liegen oft im Verborgenen. Selbst wenn die einstigen Nutzungszusammenhänge materiell längst verschwunden sind, können sie in Namen und Adressen überdauern. Der Polterplatz in Bad Wildbad im Schwarzwald etwa geht auf den „Polter“ zurück, der das gesammelte und sortierte Rundholz bezeichnet, das gewissermaßen polternd auf einem Sammelplatz zum Abtransport bereitgelegt wurde. Heute steht der Polterplatz in dieser Gemeinde ­synonym für ein Open-Air-Festival, das alljährlich eine wohlklingendere Geräuschkulisse verheißt.

Das Holzmarktquartier am Spreeufer in Berlin-Friedrichshain wiederum entstand auf einem Areal, auf dem 300 Jahre zuvor der Holzhandel erblüht war. Nach heterogenen Zwischenphasen – Gaswerk, Mülldeponie, Brache und Technoclub – ist der Holzmarkt heute Versuchslabor für nutzergetriebene Stadtentwicklung. Jüngst wurde das kleinteilige, genossenschaftlich organisierte Kulturquartier um einen signalroten Stadtbaustein des Berliner Büros Office ParkScheerbarth ergänzt. Der zeichenhafte Baukörper, der sich als „freundlicher Parasit“ schon einen Namen gemacht hat und der unter anderem eine Bäckerei und ein Tattoo-Studio beherbergt, gereicht der Adresse zur Ehre, denn er wurde zur Gänze aus Holz konstruiert. Der Holzrahmenbau mit vorgehängter Lärchenholzfassade verfügt im Inneren über Massivholzwände und Geschossdecken aus Hohlkastenelementen.

Holz bahnt sich seinen Weg

Wo es einen Holzmarkt gibt, ist eine Holzgasse samt Fließgewässer nicht weit. Die Holzgasse in Wien-Döbling geht auf die Holzlagerstätten zurück, die sich früher an der Lände des Donaukanals befunden haben. Holzgassen gibt es aber auch in Ried im Innkreis, in Burgkirchen, Gunskirchen und Hochburg-Ach und an wer weiß wie vielen Orten, die auf die früheren Transportwege des Bau- oder Brennholzes verweisen, die bis ins 19. Jahrhundert auf Schwemmkanälen mittels Flößen und Schiffen verliefen.

So bezeichnet etwa der Flötzersteig in Wien das im 18. Jahrhundert nach den in ihre westliche Heimat zurückkehrenden Donauflößern benannte Stück ­eines Verkehrswegs, der einst in der Rossau begann. Der Floßverkehr für den Holztransport war im 19. Jahrhundert – etwa über den Wiener Neustädter Kanal – besonders intensiv, denn Holz war nicht nur als Baustoff für die Dachstühle und Tramdecken der Häuser relevant, sondern auch als Brennmaterial begehrt. Als Transportgut zeigte Holz im Stadtbild Präsenz und etablierte zahlreiche Berufe: Die Entladung der Flöße und Schiffe wurde von sogenannten Holzscheibern durchgeführt (auch Strabler genannt; strabeln = eilen), die das Holz auf Scheibtruhen auf schmalen Bretterstegen an Land brachten. Die Strabler wiederum wurden von Holzsetzern beaufsichtigt, die für das maßgerechte Aufschlichten des Holzes verantwortlich waren. Auch über den Schwarzenberg’schen Schwemmkanal, dessen erster Abschnitt 1791 eröffnet wurde, wurden enorme Holzmengen aus dem Böhmerwald in die Großstadt gebracht. Nachdem der Heizholzbedarf Ende des 18. Jahrhunderts sprunghaft angestiegen war, wurden auf diesem Kanal, an dem sich heute beschau­liche länderübergreifende Radrouten entlangschlängeln, in den hundert Jahren bis 1891 etwa 8 Mio. Raummeter Brennholz transportiert. Geschwemmt wurde jeweils von April bis Juni, wenn nach der Schneeschmelze im Böhmerwald die Große Mühl eisfrei wurde und im Schwemmkanal der Wasserstand von zumindest 40 cm erreicht war. Auf jeder Station des Schwemmkanals werkten durchgehend rund zwanzig sogenannte Triftleute, die mit Hilfe von Schwemmhaken Verkeilungen der Scheiter lösten. Die Scheitlänge betrug in der Regel 3 Wiener Fuß = 0,948 Meter = 1/2 Klafter. Die Zerkleinerung des an Land gebrachten und verkauften Brennholzes erfolgte meist direkt vor den Häusern mitten auf der Straße, was zu Lärmbelästigungen, Verkehrsbehinderungen und Gefährdungen der Fußgeher:innen führte. Abhilfe schaffte ab 1824 die sogenannte Phorus AG, die „k. k. private erste Wiener Holzzerkleinerungs-Anstalt“, deren Geschäftszweck darin bestand, das Brennholz mit Dampfsägen zu zerkleinern und direkt an die Haushalte zu liefern. Heute erinnern nur noch die Phorusgasse und der Phorusplatz an das in Wien-Wieden ansässige Unternehmen, das mit dem Aufkommen anderer Energiequellen Anfang der 1950er Jahre in Konkurs ging.

Von Pech und Frieden

An einen fast in Vergessenheit geratenen Verwendungszweck des Holzes gemahnt die Vinzenzkapelle von Jutta Wörtl-Gössler in der niederösterreichischen Gemeinde Hernstein – mitten im größten Schwarzkieferngebiet Europas. Die Holzkonstruk­tion in Form eines hyperbolischen Paraboloids stößt an der Ostseite auf eine Glaswand des Künstlers Hans Wörtl und versteht sich als Hommage an das Handwerk der Harzgewinnung (Pecherei). Der im Boden eingelassene Schriftzug PIX (Pech) wird in das Wort PAX (Frieden) transformiert: Friede den Pechern. Das aus den Schwarzkiefern gewonnene Harz war einst ein wichtiger Rohstoff für die Kolofonium- und Terpentinerzeugung. Heute gibt es in der Region nur noch einen einzigen harzverarbeitenden Betrieb, dafür aber einen kontemplativen und informativen Pecherlehrpfad; seit 2011 ist die Pecherei in Niederösterreich zudem Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO.

Traditionsreiche Typologien rund um Jagd und Forst

Anders als den Pechern, Strablern und Triftleuten geht Jäger:innen und Forstarbeiter:innen die Arbeit bis heute nicht aus. Ihre Tätigkeit manifestiert sich baulich in einem breiten Spektrum an Holzkon­struktionen, die von großen Betriebsbauten über prächtige oder schlichte Jagdhäuser bis zu einfachen Forsthütten, Waldkapellen und Holzknechtsiedlungen sowie Hochständen und Futterkrippen reichen. Bei einer traditionsreichen Typologie rund um das Thema Jagd und Forstarbeit liegen lebendige Überlieferung und museales Klischee nah beieinander – Stichwort: Krickerl-Luster. Das ehemalige Kruppjagdhaus in der Walstern am Hubertussee, als mächtiger Holzriegelbau um 1900 von Ludwig Baumann entworfen, zählt wohl zu den feudalsten ursprünglich der Jagd (vielmehr der Jagdgesellschaft) gewidmeten Architekturen in Österreich. Heute kann man die Villa Walstern als Hochzeits­location und für private Großfeiern buchen. Einen ganz anderen Ton schlägt das Jagd- und Forsthaus Tannau von Ludescher + Lutz Architekten an.

Als unspektakuläres Volumen steht es auf einer Lichtung inmitten des Tettnanger Waldes, einem Landschaftsschutzgebiet im baden-württem­bergischen Bodenseekreis. Das Forsthaus bietet Wald­arbei­ter:innen eine geschützte Stube mit Teeküche, beherbergt eine Fahrzeughalle mit ­Werkstatt und eine Kühlkammer für erlegtes Wild. Von der betonierten Bodenplatte abgesehen wurde für den Bau ausschließlich Holz aus der Region (Fichte, Douglasie und Weißtanne) verwendet und zu einer nagelfreien Konstruktion gefügt. Wände und Decken bestehen aus massiven Elementen aus unbehandelten Weißtannendielen, die Fassade, das Dach und der hohe Schornstein sind mit Schindeln aus Douglasie bekleidet. Geweihe an der Wand wurden nicht gesichtet.


verfasst von

Gabriele Kaiser

freie Architekturpublizistin und Kuratorin; 2010–2016 Leiterin des architekturforum oberösterreich (afo); seit 2009 Lehrauftrag an der Kunstuniversität Linz; lebt und arbeitet in Wien.

Erschienen in

Zuschnitt 91
Wald und Holznutzung

Wald und Holznutzung im Spiegel der Zeit und im Kontext des Klimawandels

8,00 €

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Zuschnitt 91 - Wald und Holznutzung