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Holz(an)stoß
Maya Lin

erschienen in
Zuschnitt 91 Wald und Holznutzung, Dezember 2023

Die 1959 in Athens, Ohio, geborene Künstlerin Maya Lin erlangte erstmals als junge Studentin an der Yale University internationale Anerkennung, als sie den Wettbewerb für das Vietnam Veterans Memorial in Washington, D.C., gewann. Ihr Entwurf, der sich durch eine schlichte, frei stehende Wand aus schwarzem Granit auszeichnet, in die die Namen der Gefallenen eingraviert sind, ist so minimalistisch wie emotional aufrüttelnd. Die 1982 fertiggestellte Gedenkstätte ist ein eindrucksvolles Zeugnis für den Einfluss von Design auf das kollektive Gedächtnis. Der frühe Erfolg von Lin legte den Grundstein für eine beeindruckende Karriere, in der Kunst und Architektur nahtlos ineinander übergingen. Zu ihren späteren Gedenkarbeiten gehören das Civil Rights Memorial in Montgomery, Alabama, und der Women’s Table an der Yale University. Bei jedem Projekt zeichnet sich Lins Ansatz dadurch aus, dass sie Räume schafft, die zur Kontemplation und zum Dialog anregen, wobei sie sich häufig mit Themen wie Geschichte, Erinnerung und Identität auseinandersetzt. Neben ihren architektonischen und künstlerischen Projekten engagiert sich Maya Lin auch im Umweltschutz und ist zu einer prominenten Figur in diesem Bereich geworden.

Die hier abgebildete Arbeit „Ghost Forest“ verweist als mahnender Appell darauf, wie eng das Schicksal von Natur und Mensch miteinander verflochten ist. Die Installation, die 2021 im Madison Square Park in New York errichtet wurde, lädt die Besucher:innen ein, sich mit der nackten Realität der Umweltzerstörung auseinanderzusetzen, und dient als eindringlicher Aufruf zum Handeln. Der Titel des Werks bezieht sich auf das Verschwinden von Waldflächen, das von extremen Wetterbedingungen, dem Anstieg des Meeresspiegels und anderen Folgen der globalen Erwärmung ausgelöst wird. Riesige Gebiete mit toten Bäumen oder „Geisterwäldern“ bleiben dabei zurück. Die 49 imposanten atlantischen Weißzedern, die Maya Lin für die Installation verwendet hat, stammen aus einem Wiederaufforstungsprojekt in New Jersey.
„Als ich anfing, über eine skulpturale Installation für den Madison Square Park nachzudenken, wusste ich, dass ich etwas schaffen wollte, was eng mit dem Park selbst, den Bäumen und dem Zustand der Erde verbunden ist“, beschrieb Lin ihre Idee. Im Rahmen des Projekts arbeiten die Künstlerin und die Madison Square Park Conservancy mit der Natural Areas Conservancy zusammen, die tausend Bäume und Sträucher in den fünf Stadtbezirken pflanzt, um die Emissionen auszugleichen, die durch die Erstellung des Kunstwerks entstehen.

Maya Lin nutzt strategisch die Sprache der Bäume, um eine komplexe Geschichte zu erzählen. Jeder Baum wird zu einem Symbol für die Vernetzung der Ökosysteme und zu einem stummen Zeugen für die Folgen menschlichen Handelns. Die gespenstische Erscheinung der Bäume dient als Metapher für die Verletzlichkeit der natürlichen Ressourcen unseres Planeten und unterstreicht die Dringlichkeit, den Klimawandel anzugehen und nachhaltige Praktiken zu fördern. „Ghost Forest“ geht damit über den Bereich der Ästhetik hinaus und ist ein ­Katalysator für gesellschaftliches ­Engagement und Umwelterziehung. In Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen hat Maya Lin pädagogische Elemente in die Ausstellung integriert und veranstaltet Workshops, Vorträge und interaktive Programme im Park. Die Installation wird zu einer Plattform für den Dialog und regt die Besucher:innen dazu an, über ihre Rolle bei der Bewahrung der Umwelt nachzudenken und sich für nachhaltige Praktiken einzusetzen. Wenn sie durch die Installation gehen, werden sie nicht nur mit den geisterhaften Formen konfrontiert, sondern auch mit dem Gewicht der öko­logischen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Mit „Ghost Forest“ fordert Maya Lin uns auf, uns den Geistern unserer öko­logischen Vergangenheit zu stellen und aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft mitzuwirken.

Maya Lin

Maya Lin, geboren 1959 in Athens, Ohio
Lebt und arbeitet in New York und Colorado

Einzelausstellungen (Auswahl)

2023

Ghost Forest Seedling, Pace ­Gallery, New York
Nature Knows No Boundaries, Pace Gallery, Seoul

2022

One Life: Maya Lin, National Portrait Gallery, Washington, D.C.
A Study of Water, Virginia ­Museum of Contemporary Art, Virginia Beach

2021

Ghost Forest, Fotografiska, New York
Ghost Forest, Madison Square Park, New York

2019

Flow, Grand Rapids Art Museum, Grand Rapids, Michigan

2018

A River Is a Drawing, Hudson River Museum, Yonkers, New York

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2023

Forest of Dreams. Contemporary Tree Sculpture, Frederik Meijer Gardens and Sculpture Park, Grand Rapids, Michigan

2022

Boil, Toil & Trouble, organized ­by Art in Common, 39 NE 39th Street, Miami
Nature Doesn’t Know About Us, Sculpture Milwaukee, Wisconsin

2019

Occupy Colby. Artists Need to Create on the Same Scale That Society Has the Capacity to ­Destroy, Year 2, Colby College Museum of Art, Waterville, Maine
Here, Ann Hamilton, Jenny Holzer and Maya Lin, Wexner Center for the Arts, Columbus, Ohio

2018

Natural Wonders. The Sublime in Contemporary Art, Brandywine River Museum of Art, Chadds Ford, Pennsylvania
Indicators. Artists on Climate Change, Storm King Art Center, Mountainville, New York


verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator.

Erschienen in

Zuschnitt 91
Wald und Holznutzung

Wald und Holznutzung im Spiegel der Zeit und im Kontext des Klimawandels

8,00 €

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Zuschnitt 91 - Wald und Holznutzung