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Auf dem Boden und in der Luft
Lokremise in Zweisimmen und Luftschiffhangar in Mülheim an der Ruhr

erschienen in
Zuschnitt 92 Infrastrukturbauten, März 2024

Eisenbahn und Schnee: Das sind die beiden Voraussetzungen für den Bau der Lokremise im schweizerischen Zweisimmen, denn es ist nicht eine einfache Lok, die hier untergestellt ist bzw. gewartet wird, sondern eine Lok mit Schneepflug. Das Gebäude wurde im Zuge des Bahnhofsumbaus von Januar bis Februar 2020 errichtet. Möglich machten diese kurze Bauzeit eine genaue Bedarfsanalyse, die einfache Konstruktionsweise mit Dreigelenkbögen, der hohe Vorfertigungsgrad, die Beplankung ohne Wärmedämmung und die Tatsache, dass haustechnische Einrichtungen wie Heizung oder Lüftung nicht nötig waren.

Formal anknüpfend an die regionale Formensprache, entstand ein schlichtes Holzgebäude mit flach geneigtem Satteldach aus Trapezblech und geringem Überstand, das trotzdem hohen gestalterischen Anspruch zeigt. Die südöstliche Giebelwand ist fensterlos, von Nordwesten fährt die Lok durch ein transparentes Falttor in die Remise ein. An der Südwestfassade gibt es schmale, raumhohe Holzmetallfenster mit jeweils zwei übereinanderliegenden Öffnungsflügeln in jedem Feld zwischen den Dreigelenkbögen, an der Nordostseite in jedem zweiten Feld. Die vertikale Lattung an der Außenfassade wird über die Fenster weitergezogen, die Kämpfer ergeben eine zarte horizontale Gliederung. Diese repetitive Struktur erinnert an die Schwellen zwischen den Geleisen, die Lattung erweckt – vor allem vor den Fenstern und in der Nacht – im Vorbeigehen oder -fahren den Eindruck, als würde sich der lange, schmale Baukörper wie ein Eisenbahnwaggon vorwärtsbewegen.

Während das Bahnfahren boomt, entfaltete die Luftschifffahrt nie große Breitenwirkung. Trotzdem gibt es sie, die Zeppeline, so beispielsweise jene sechs Stück der Firma WDL Luftschiffgesellschaft, die weltweit als fliegende Werbeträger unterwegs sind. Einer davon ist in Mülheim an der Ruhr stationiert, und weil der alte Hangar den Anforderungen nicht mehr entsprach, wurden Smyk Fischer Architekten mit einem Neubau für Wartung, Reparaturen und als Winterquartier beauftragt. Mit ihren Maßen von 92 mal 42 mal 26 Metern und einem Raumvolumen von 71.000 m3 ist die Halle beeindruckend groß, ihre Form ist der räumlichen Effizienz geschuldet und bildet die Funktion ab, wobei man sich auch vorstellen könnte, dass es sich um eine Klinik für Walfische handelt.

Die stützenfreie hölzerne Fachwerkkonstruktion besteht aus 15 Zweigelenkbögen, die beiden Torflügel sind jeweils als ein Viertel eines Kugelsegments ausgebildet und öffnen den Hangar über die gesamte Breite. Viele konzeptionelle Entscheidungen wurden in Hinblick auf Ressourcenschonung getroffen: Das betrifft die Verwendung von Holz als CO2-speicherndes und wiederverwendbares Material, die Positionierung auf derselben Grundfläche wie der Vorgängerbau, den Einsatz von Abbruchmaterial, die Verkleidung mit recyclebaren Aluminiumpaneelen und – nicht zuletzt – die Mehrfachnutzung, denn die „Garage“ bietet nicht nur Platz für ein Luftschiff, sondern kann auch als Veranstaltungsraum für 1.500 Menschen genutzt werden.


verfasst von

Eva Guttmann

ist Autorin, Lektorin und Herausgeberin im Fachbereich Architektur

Erschienen in

Zuschnitt 92
Infrastrukturbauten

Mobilitätswende mit Holz

8,00 €

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Zuschnitt 92 - Infrastrukturbauten