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In Holz tanken – von Old School bis ultra-fast
Tankstelle Allguth in Olching und E-Ladestationen in Dänemark

erschienen in
Zuschnitt 92 Infrastrukturbauten, März 2024

Tankstellen sind rein funktional betrachtet nüchterne Orte: Zapfsäule, Dach und manchmal ein kleiner Shop, um mit Kaffee und Müsliriegel auch die Autolenker:innen mit Energie zu versorgen. Mitunter fördern sie auch Erinnerungen zutage, an Urlaubsreisen mit der Familie, an Eis und Espresso auf dem Weg zum Camping in Italien – Autogrill-Feeling für Generationen. Im Laufe der Zeit veränderten sich Mobilität, Reisegewohnheiten und Technik rund ums Auto, doch getankt werden muss der benzinfressende Oldtimer ebenso wie das neueste Modell von Tesla. Mancherorts geschieht das heute in Holz.

Holz und Benzin

Die Tankstelle mit Shopgebäude im Gewerbegebiet von Olching scheint sich auf den ersten Blick nicht von den anderen in Bayern verbreiteten Allguth-Stationen zu unterscheiden. Und doch sticht bei genauerer Betrachtung des wohlerprobten Gebäudes von 2015 etwas Ungewöhnliches hervor: Fast alles, was man sieht, ist aus Holz.

Eine Tankstelle für brennbaren Kraftstoff aus Holz zu bauen, scheint ein Widerspruch zu sein. Doch die Anforderungen an den Brandschutz waren kein Hindernis. Für den Shop, der von Beginn an als Holzbau gedacht war, galt die Vorgabe von F30 für die Feuerwiderstandsklasse. Mit einer Anforderung von F0 für das Tankstellendach, also den unmittelbaren Nahbereich zu Benzin, Diesel und Co., stand auch einer Gesamtausführung in Holz nichts im Weg.

Die großzügige Überdachung – ein Wiedererkennungsmerkmal aller Tankstellen von Allguth – erstreckt sich rund um das Shopgebäude und überdeckt Park- und Tankflächen für Pkws, den Lkw-Tankbereich und die notwendigen Rangierflächen. Das in insgesamt sieben Felder unterteilte Holzrippendach umfasst jeweils 80 cm hohe und 14 cm breite Brettschichtholz-Träger im Raster von 1,25 Metern und darauf verlegte Dreischichtplatten mit darüberliegender Dämm- und Abdichtungsebene. Getragen wird die Konstruktion mit unterschiedlichen Auskragungslängen von Stahlunterzügen und nur neun geschickt platzierten und aus Brandschutzgründen verkleideten Stahlstützen. Der längste Träger überspannt 21,5 Meter, 5,75 davon kragen über die Auflagerachse hinaus. Das mit mehr als 600 m2 größte Dachfeld über der Pkw-Tankfläche ist von vier Feldern aus transluzenten Polycarbonatplatten durchbrochen, um den Bereich zwischen Zapfsäulen und Shopeingang mit natürlichem Licht zu versorgen. Alle sichtbaren Teile der Holzkonstruktion sind mit einer UV-stabilen und witterungsbeständigen silikatischen Farbbeschichtung weiß lasiert.

Der Shop mit seiner 21,5 mal 21,5 Meter großen Grundfläche und einer Gesamthöhe inklusive Attika von 7,3 Metern überragt das umlaufende Dach um 1,5 Meter und wirkt dadurch wie hindurchgesteckt. Hier bilden ebenfalls Brettschichtholz-Träger und Stahlunterzüge das Dach und 5,5 Meter hohe Elemente aus 23 bzw. 18,2 cm dickem Brettsperrholz den tragenden Teil der Wände. Eine vorgesetzte Pfosten-Riegel-Fassade mit einer abschließenden Schicht aus Faserzementplatten bildet die äußere Gebäudehülle. Die erste Tankstelle in Holzbauweise in Deutschland konnte durch den hohen Vorfertigungsgrad in nur acht Wochen errichtet werden.

Volle E-Kraft voraus

Klimafreundlich und emissionsarm, diese Attribute beschreiben Elektromobilität und Holz gleichermaßen. In Sachen nachhaltiger und ökologischer Verkehrswende erscheint eine Kombination als logische Folge. Dabei geht es hier nicht um Autos aus Holz – diese sind vorwiegend in Kinderzimmern zu finden. Vielmehr bilden Ladestationen in Holzbauweise und Elektroautos ein zukunftsträchtiges Paar in Sachen grüne Mobilität.

Das dänische Architekturbüro Cobe lieferte dazu einen vielversprechenden Entwurf. Seine modulare Ladestation aus Holz besteht aus einer flexibel erweiterbaren Tragstruktur aus konstruktiven Holzbauelementen mit Add-ons wie einer PV-Anlage und einem Begrünungs-Set. Die einzelnen Einheiten können an die ortsspezifischen Anforderungen und Gegebenheiten adaptiert und skaliert werden. Geplant nach dem Prinzip der Rückbaubarkeit (Design for Disassembly), sind Weiterverwendung und Wiederverwertung impliziert. Eine Stütze aus acht zusammengesetzten biegesteifen Rahmenecken aus Fichten-Brettschichtholz, die jeweils acht Tragarme ausbilden und damit die Basis für das Flachdach aufspannen, ist das Herzstück jedes einzelnen Moduls. Der rechteckige Dachrahmen ist wiederum in acht Segmente unterteilt, die entweder geschlossen und begrünt sind oder ausgespart den Blick in den Himmel freigeben. Das Gründach ist so konzipiert, dass es auch heftigen Regenfällen standhält und die wasserführende Ebene überschüssiges Wasser über Fallrohre zu Sickerflächen ableitet. Das Konzept für die Dachbegrünung und Bepflanzung rundum wurde in Kooperation mit der Danish Society for Nature Conservation auf die ortsspezifische Biodiversität abgestimmt. Integrierte Sitz- und Spielmöbel wie Schaukeln steigern die Aufenthaltsqualität.

Die technisch ausgeklügelte Hochleistungsanlage ermöglicht eine Vollladung in nur 15 Minuten. Bedenkt man die sonst üblichen Ladezeiten von ein bis zwei Stunden, ist das durchaus flott, doch auch diese kurze Zeit soll angenehm überbrückt werden. Dan Stubbergaard, Architekt und Gründer von Cobe, hat diesbezüglich eine klare Vision: „Recharge the batteries of both vehicles and drivers.“ Während das Fahrzeug mit Energie versorgt wird, sollen sich Autofahrende eine Pause zum Aufladen ihrer eigenen Batterien in einer ruhigen Oase gönnen. Das Konzept für die Mobilität der Zukunft beginnt für ihn bei Elektroautos und spiegelt sich in der damit verbundenen Architektur, deren Materialien und dem gesamten Tank-Setting wider. Weg von Lärm, Luftverschmutzung und Verbrennungsmotoren hin zu einer „refueling experience“ an ruhigen, stressfreien Lade-Spots im Grünen. Die Betreiber E.ON Drive und Clever formulieren es so: „Charged up in a few minutes. Of doing nothing. Or anything.“

Das Konzept hat Erfolg. Cobe sicherte sich damit den Danish Building Award 2018 im Bereich Infrastruktur und die Ladestationen bewähren sich in der Praxis. Den ersten Stationen in Fredericia und Knudshoved folgten bereits 13 weitere in unterschiedlichen Größen von einem Einzelmodul in Aarhus bis zur umfangreichsten Station mit 28 Modulen in Odense. Die Planung von 48 weiteren Standorten entlang skandinavischer Autobahnen ist bereits im Gange. Weitere 46 Station sollen quer durch Europa entstehen – bis zum südlichsten Standort Rom. Ist das flächendeckende Netz einmal fertiggestellt, steht einer Reise von Norwegen nach Italien mit dem Elektroauto nichts mehr im Weg. Tanken wird europaweit zum Entspannungsmoment. Zen ist das neue Autogrill.


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 92
Infrastrukturbauten

Mobilitätswende mit Holz

8,00 €

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Zuschnitt 92 - Infrastrukturbauten