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Nachgefragt
Welche Weichen stellt die ÖBB bei ihren Infrastrukturbauten in Sachen Holzbau?

erschienen in
Zuschnitt 92 Infrastrukturbauten, März 2024

Im Zuge der Mobilitätswende gewinnt die nachhaltige Fortbewegung und mit ihr der öffentliche Verkehr zunehmend an Bedeutung. Neben den Verkehrsmitteln selbst sind auch die Bauten, die den Betrieb erst ermöglichen, ein wesentlicher Faktor. Welche Rolle spielen der Bausektor, die Architektur und ganz konkret der Baustoff Holz bei den Infrastrukturbauten des größten Mobilitätsdienstleisters Österreichs, der ÖBB? Wir haben dazu bei Thomas Huef und Catharina Wolffhardt, beide in leitender Funktion bei der ÖBB Immobilienmanagement GmbH tätig, nachgefragt.

Die ÖBB kommunizieren, Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und klimafreundliche Mobilität zu sein. Um den Betrieb und vor allem die Kund:innen wortwörtlich auf Schiene zu bringen, braucht es ein dichtes Netz an Bahnhöfen und Haltestellen. Gibt es eine übergeordnete Strategie für die zahlreichen Infrastrukturbauten, für nachhaltiges Bauen und explizit für das Bauen mit Holz bei den ÖBB?

Thomas Huef Grundsätzlich decken wir das Thema Nachhaltigkeit auf unterschiedlichen Ebenen ab. Als Leitfaden dafür dient eine Klimastrategie, die wir für den Mobilitätssektor definiert haben. Ein Thema darin ist beispielsweise der grüne Bahnstrom. Wir benutzen zu 100 Prozent CO2-freien Strom. Auch im Hochbau-Sektor haben wir diesbezüglich Zielsetzungen formuliert. Dabei ordnen wir uns den aktuellen Gesetzen unter und definieren darüber hinaus eigene Zielsetzungen.
Wir versuchen, unseren Service und unsere Prozesse laufend zu optimieren und uns im Sinne der Ökologie immer wieder neu zu orientieren und entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Catharina Wolffhardt Holz hat eine lange Tradition in der Geschichte der Bahnhofsarchitektur, bis es im Zuge der Industrialisierung durch andere Baumaterialien ersetzt wurde. Insbesondere durch Erkenntnisse in der Materialforschung, die Rückbesinnung auf funktionierende Systeme und die weltweit immer öfter gestellte Forderung nach mehr Nachhaltigkeit hat der Baustoff Holz in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen.

Gibt es im Hochbausektor auch ein konkretes Ziel – beispielsweise eine CO2-Bilanz der Bauten oder Ähnliches –, das sich die ÖBB intern gesetzt hat und bei dem das Bauen mit Holz eine wesentliche Rolle spielt?

Thomas Huef In Bezug auf die CO2-Bilanz gibt es das (noch) nicht. Wir haben aber in unseren Regelwerken das Ziel festgeschrieben, mit erneuerbaren Rohstoffen zu arbeiten. Unsere Bauten bzw. Aufbauten müssen unabhängig vom Material so weit wie technisch möglich zerlegbar und recyclebar sein. Holz bietet hier eindeutig Vorteile. Für alle Projekte entlang und abseits der Strecke ist auf die Gesamtwirtschaftlichkeit (lcm = Life Cycle Management) über die gesamte Lebensdauer zu achten. Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte sind hier gleichermaßen zu berücksichtigen. Bei Eingriffen in den Bestand ist es eine größere Herausforderung, die Nachhaltigkeitsziele auf allen Ebenen umzusetzen.

Gibt es in puncto Holzbau einen Meilenstein oder ein bestimmtes Projekt, das für die Umsetzung weiterer Infrastrukturprojekte wegweisend war?

Catharina Wolffhardt Ja, das gab es tatsächlich: die Bahnstation in Eichgraben-Altlengbach. Hier haben wir die in die Jahre gekommene Station nach einem Entwurf von mohr niklas architekten umgebaut. Nach der Fertigstellung 2017 wurden anhand einer Pilotstudie und bauphysikalisch begleitet von der Holzforschung Austria, Prototypen entwickelt. Zwischen 2020 und 2023 haben wir in Ternitz, Strebersdorf, Retz und Neulengbach geringfügig verschiedene Lösungen für Bahnsteigüberdachungen und damit unterschiedliche konstruktive Ansätze, Ausschreibungsverfahren und Ausführungen getestet. Daraus sind standardisierte Vorgaben in unserem Regelwerk für den österreichweiten Einsatz entstanden.

Wie werden diese Vorgaben in der Praxis angewendet und welche Prozesse durchläuft ein Projekt generell – vom Festlegen des Vorhabens bis hin zur standortspezifischen Projektplanung?

Catharina Wolffhardt Hierzu bedarf es einer kurzen Erläuterung, wie wir aufgestellt sind: In unserem Bereich, dem Technikmanagement der Immobilienmanagement GmbH, werden sämtliche Regelwerke beziehungsweise Planungsmanuals für den gesamten Hochbau der ÖBB-Infrastruktur AG erstellt. Hier werden Art der Konstruktion, Materialität, Qualitäten und Erscheinungsbild festgelegt, standardisiert und nach Finalisierung für ganz Österreich geltend gemacht. Diese Regelwerksarbeit bezieht Kolleg:innen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, wie Elektro-, Anlagen- und Sicherheitstechnik, Kundeninformation, strategische Netzentwicklung, sowie aus dem Bereich der Instandhaltung mit ein. Diese Regelwerke sind Grundlage eines jeden Projekts und werden dann orts- und projektspezifisch in den einzelnen Bauvorhaben durch interne Planungsteams gemeinsam mit Architekt:innen und Fachplaner:innen angepasst. Wir unterscheiden hoch und wenig standardisierte Vorgaben. Hoch standardisiert ist der Bahnsteig samt Ausstattung genauso wie das Innere eines Bahnhofsgebäudes. Die Hülle des Gebäudes und das Umfeld, das heißt der Vorplatz, sind weit weniger standardisiert, damit Planende auf den jeweiligen Genius Loci eingehen können, um Beziehungen zu den Kund:innen aufzubauen.

Thomas Huef Wir erarbeiten einheitliche Regelwerke für ganz Österreich. Das heißt, ein Dach muss im Westen genauso wie im Osten funktionieren. Dabei spielen Parameter wie Wetterbedingungen – zum Beispiel Wind und unterschiedliche Schneelasten –, aber auch die Beanspruchung durch vorbeifahrende Züge eine wesentliche Rolle. Generell gilt auch, dass der Fahrgastbetrieb so wenig und kurz wie möglich beeinflusst wird. Hier ist Holz oft im Vorteil. Durch die mögliche Modularisierung und Vorfertigung können Gleissperren sehr kurz gehalten werden.

Catharina Wolffhardt Zum Thema neue Vorgabenentwicklung: Derzeit befindet sich ein Pilotprojekt in der Ausschreibungsphase. Für kleinere Verkehrsstationen haben wir als Wartebereich ein vorfertigbares Raummodul aus Holz mit integrierter Sanitäranlage entwickelt. Als fertiges Produkt angeliefert, sind die Einheiten sofort einsatzbereit. Im Sinne von Reuse kann man das Modul, falls sich die Verkehrsstation verlagert oder umgebaut wird, wieder heben und versetzen. Die ersten Einheiten werden an den Pilotstandorten Völs, Hall in Tirol und Eichgraben umgesetzt.

Sie haben einige Herausforderungen und Vorgaben bei der Planung und Errichtung von Infrastrukturbauten angesprochen. Wo sind beim Einsatz von Holz spezielle Lösungen gefragt?

Catharina Wolffhardt Die große Herausforderung ist, dass wir von den Vorgaben her sogleich die Instandhaltung mitdenken müssen. Durch den Zugbetrieb – und damit in der Nähe einer Starkstromleitung – können wir nicht nach Belieben Dachbegehungen aus Instandhaltungsgründen durchführen. Diese müssen sorgfältig geplant werden, damit sie effizient und einfach abgewickelt werden können. Offene tragende Systeme, wie unser Holzbahnsteigdach, unterstützen diese Vorgaben, da die tragenden Elemente hier besichtigt werden können, zugleich aber eine saubere, glatte Oberfläche bilden. Spezielle Lösungen verlangt der Holzbau in Bezug auf Feuchtigkeit und Wasser.
So kommt bei überdachten Bahnsteigen ein Kaltdach zum Einsatz. Durch hinterlüftete Ebenen und die konstruktive Trennung von Regenrinne und tragenden Holzplatten werden anfallendes Kondensat und sogar Feuchtigkeitseintritte kontrolliert abgeführt, um Bauwerksschäden nachhaltig vermeiden zu können. Im Stützenbereich setzen wir aus unterschiedlichen Gründen weiterhin auf Stahl. Allem voran sind hier die Standhaftigkeit gegen Vandalismus, aber auch die einfache Reinigung sowie die Nutzbarkeit des Hohlraums für Elektroinstallationen und Entwässerung zu nennen.

Welche Vorteile oder positiven Rückmeldungen hat es bei den letzten Projekten in Holzbauweise noch gegeben?

Catharina Wolffhardt Ein großer Pluspunkt ist, dass die Menschen Holz sehr gerne ansehen. Der Baustoff erzeugt ein gutes Gefühl. Aber auch von Seiten der Instandhaltung haben wir explizit positive Rückmeldungen erhalten. Die Dächer sind leicht zu inspizieren und aufgrund ihres durchdachten Aufbaus einfach instand zu halten. Aus unseren vier Pilotprojekten ist die Vorgabe in das Regelwerk geflossen, dass die tragende Ebene gleichzeitig auch die Untersicht des Dachs bildet. Sollten also Schäden im Holz auftreten, sind diese sofort ersichtlich und können schnell behoben werden.

Thomas Huef Ich möchte an dieser Stelle nochmals auf den Wohlfühlfaktor eingehen, da die Aufenthaltsqualität unserer Kund:innen für uns eine große Rolle spielt. Auch wenn der Zug pünktlich kommt, bringt man eine gewisse Zeit mit Warten am Bahnsteig zu. Es ist unsere Aufgabe, das mit vielen kleinen Faktoren so angenehm wie möglich zu gestalten. Ein Beispiel ist unsere Green Furniture. Dort, wo wir die im Winter kalten und im Sommer heißen Stahlbänke durch Holzbänke ersetzt haben, ist die Zufriedenheit gestiegen. Das Empfinden ist einfach schlagartig anders, positiv. Die Holzbänke haben wir mittlerweile in unseren Rahmenvertrag aufgenommen.

Thomas Huef
Leiter Technikmanagement bei der ÖBB Immobilienmanagement GmbH für die Bereiche Architektur, Hochbau und Haustechnik.

Catharina Wolffhardt
Leitung Abteilung Architektur, Hochbautechnik und LCM im Technikmanagement, ÖBB Immobilienmanagement GmbH, unter anderem mit der Erstellung der Regelwerke für sämtliche Hochbauten der ÖBB Infrastruktur AG befasst.

Meilensteinprojekt
​​​​​​​Pilot zur Standardisierung des Bahnsteigdachs in Holzbauweise

Die in die Jahre gekommene Station Eichgraben-Altlengbach wurde barrierefrei gemacht und im Zuge dessen zu einem offenen, übersichtlichen Ort mit optisch zeitgemäßem Erscheinungsbild umgebaut. Dazu wurde ein bereits bestehender Personendurchgang punktuell geöffnet, von dem nun eine Brücke direkt zum Bahnsteig führt. Weitere Treppenanlagen und ein Personenaufzug wurden ergänzt. Ein Holzdach, unter dem sich der Wartebereich für die am Vorplatz abfahrenden Busse sowie Abstellmöglichkeiten für Fahrräder befinden, markiert als großzügige Geste die Zugänge. Dadurch können Fahrgäste witterungsgeschützt von der Bahn zum Bus gelangen.
Das einfache Holzdach besteht aus Brettschichtholz-Platten, die auf einer Stahlkonstruktion aufliegen. Diese erhält im Dachbereich eine Verkleidung aus Dreischichtplatten, in der auch die Installationen geführt werden. So entsteht der Eindruck eines schwebenden Holzdachs, das den Wartenden Schutz vor der Witterung bietet. Durch die indirekte Beleuchtung in der Nacht strahlt die Holzoberfläche warmes Licht ab und erhellt damit die Bahnsteige sowie den Zugang.

Pilotstudie
an vier Standorten

Ziel der Studie war es, Prototypen für Bahnsteigüberdachungen in Holzbauweise für den österreichweiten Einsatz zu entwickeln. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Entwicklung möglichst instandhaltungsoptimierter Konstruktionen. Das Projekt wurde von Expert:innen der Holzforschung Austria bauphysikalisch begleitet. Nach Umsetzung der vier Pilotprojekte wurde eine Kombination aus den jeweils besten Elementen in das Regelwerk für den Hochbau übernommen.


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 92
Infrastrukturbauten

Mobilitätswende mit Holz

8,00 €

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Zuschnitt 92 - Infrastrukturbauten