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Holzgewebemit Schattenwurf
Arbeitsintensive, aber materialsparende Konstruktion, die nur
durch das Zusammenwirken vieler Kräftemöglichwurde
Für die Flüchtlings-Erstaufnahmestelle in einer ehemaligen amerikanischen Kaserne
riefen
2015
die Baukulturbeauftragte Tatjana Dürr und der in Kaiserslautern lehrende
Holzbauexperte Stefan Krötsch eine Initiative ins Leben: Studenten sollten in die Bau-
praxis geführt und Geflüchtete von der vorgeschriebenen Passivität befreit werden.
18
Studentenund
25
Flüchtlinge bauten in sechsWochen zusammen einGemeinschafts-
haus, dessen Entwurf in einem universitärenWettbewerbsverfahren ausgewählt wurde.
Das untemperierte Konstrukt bietet einen ruhigen Gartenhof mit Rückzugsnischen
und einen halboffenen Raum, der für gemeinschaftliche Aktivitäten vorgesehen ist,
außerdem Lager- undWerkstattraum. Balkendecken (Konstruktionsvollholz undDrei-
schichtplatten) sowie dieWände (Holzrahmenbauelemente aus Konstruktionsvollholz
mit Beplankungen) wurden in einer benachbartenHalle präzise vorgefertigt undmit
Transportwägen beziehungsweiseMontagegerüsten, die die Studenten selbst ent-
wickelt hatten, aufgestellt und eingebaut. Die geschlossenenWände aus Fichte-
Dreischichtplattenwurden teils nur außenseitig, teils beidseitigmit senkrecht ange-
schraubten Brettern beplankt. Die Gitterträger und -wände sindmit fünf Lagen
vertikal und diagonal montiertenDouglasien-Latten (
3
mal
5
cm) zu einem hochleis-
tungsfähigen, auch in der Dachebene aussteifendwirkenden dreidimensionalen
Tragsystem verschraubt, das nur weniger Einzelfundamente bedurfte.
Die Gitterfassadenstruktur lässt in ihrer dreidimensionalenOffenheit von vielen Rich-
tungen aus sehr unterschiedliche Transparenzzustände erkennen. Bei Sonnenschein
werden zauberhafteMustervarianten als Schatten auf den Boden oder gegenüberlie-
gendeWände geworfen. Eine symbolische Aussage ist mit dem konstruktiv bedingten
„Ornament“ nicht verbunden, was seinen ästhetischen Reiz aber nicht im geringsten
mindert. Bei der Planung, die Bauprozessematerialgerecht und zugleich einfach zu
halten, kamen Stefan Krötsch seine Erfahrungen aus Projekten in Afrika zugute:
Arbeitsintensive Bauprozesse sind dort preiswert, hier beimMannheimer Projekt sind
sie zudemmit Erfahrungs- und Erkenntnisgewinn für die Studierenden undGeflüch-
teten verknüpft. Die Erstaufnahmestelle liegt in einemBereich der Bundesgartenschau,
die
2023
inMannheim ausgetragenwird. Dort lässt sich der vielfach ausgezeichnete
undmakellos konstruierte Holz-Pavillon problemlos weiternutzen.
Ursula Baus ist Architekturpublizistin und -wissenschaftlerin. Sie istMitbegründerin von frei
04
publi-
zistik und seit
2014
Mitherausgeberin des Online-Architekturmagazins frei
04
sowie seit
2017
Marlowes.
Ursula Baus
Gemeinschaftshaus der Flüchtlingsunterkunft Spinelli
Standort
AmAubuckel, Mannheim⁄ D,
Bauherr
RegierungspräsidiumKarlsruhe, Karlsruhe⁄ D,
Planung
Studentengruppe Atelier
u20
, FachbereichArchitektur der
tu
Kaiserslautern unter Leitung der Fachgebiete Tektonik imHolzbau, Tragwerk
undMaterial undDigitaleWerkzeuge, Kaiserslautern⁄ D,
Holzbau
Edgar Körber GmbH, Mannheim⁄ D,
mit Studierenden des Ateliers
u20
und Flüchtlingen
Fertigstellung
2016
Stenogramme. Ornamente sind Zeichen und können Symbolkraft haben. Sie ermöglichen uns Zuordnung, Zugehörigkeit und Individualisierung. Gegenwärtig findet das Ornament in der
Damit
die
Oberfläche
nicht
zum
Oberflächlichen
wird,
bedarf
es
entsprechender
Reflexion.
Irmgard
Frank,
Architektin
und
Professorin
im
Ruhestand
1,2,3,4,5,6,7 9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,...28
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