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Hängedach
Sport- und Freizeitbad
in Surrey, Kanada
Das GrandviewHeights Aquatic Centre ist ein Sport- und Frei-
zeitbad in Surrey, einer der am schnellstenwachsenden Städte in
British Columbia, Kanada. Mit der Zahl der Einwohner stieg auch
der Bedarf an Freizeit- undGemeinschaftseinrichtungen. Dasmar-
kante Schwimmzentrum, das von Familien, Leistungssportlern
und für internationaleWettkämpfe gleichermaßen genutzt wird,
wurde von
hcma
Architecture+Design in enger Zusammenarbeit
mit den Statikern von Fast+Epp entwickelt. Die langjährige
Kooperation beider Büros förderte den freien Austausch von
Ideen, Gedanken und Informationen innerhalb des Projektteams.
Die wie an einer Kette hintereinander angeordneten Sport- und
Freizeitbecken erlauben es, diese Bereiche unabhängig vonein­
ander zu bespielen und bei Bedarf ohne großen Aufwand zu
trennen. Die Polycarbonat-Verkleidung der Fassade taucht die
Schwimmhalle in ein diffuses, warmes Licht und vermeidet
störende Blendeffekte. Die Stahlrohrstützen der bis zu
20
Meter
hohen Fassadenstruktur sind perforiert und nehmen dieWind-
lasten auf. Als Zuluftverteiler erfüllen die Stützen eine Zusatz-
funktion, durch die der Innenraumweitgehend von Lüftungsroh­
ren freigehaltenwerden konnte.
Am deutlichsten spiegelt die gewagte Dachkonstruktion die enge
Beziehung zwischen Architektur und Statik wider. Bei derartigen
Schwimmhallen entscheidet man sich oft aus wirtschaftlichen
Gründen für eine Spannrichtung über die kurze Seite der Halle.
ImGrandviewHeights Aquatic Centre sollte hingegen auch die
Konstruktion die lang gestreckte Gebäudeform unterstreichen.
Zudem reduziert die Dachform das Gesamtvolumen. Das Dach
erreicht seinemaximaleHöhe oberhalb des Sprungturms und der
Wasserrutsche und senkt sich von dort nach allen Seiten hin ab.
Damit können auf lange Sicht die Betriebskosten reduziert werden.
Inspiriert von der „Wood First“-Richtlinie der Stadt Surrey entwi-
ckelten die Statiker von Fast+Epp eine Hängedachkonstruktion
mit Zugbändern aus Brettschichtholz. Der unkonventionelle
Ansatz bildet nicht nur eine perfekte Verbindung aus Form und
Funktion, sondern kommt mit einer wirtschaftlich relevanten
statischenHöhe von nur
30
cm aus.
Zwischen denMittelpfeilern und den Stützpfeilern an den Rän-
dern überspannt Brettschichtholz mit einemQuerschnitt von
13
mal
26,6
cm paarweise undmit einemAchsabstand von
80
cm
eineWeite von
45
bzw.
55
Metern. Auf diese Zugbänder ist
eine doppelte Lage aus
1,6
und
1,2
cm dicken Sperrholzplatten
aufgebracht. Randstreifen aus Stahlbeton fassen die Zugkräfte
aus denHängegliedern zusammen und übertragen sie in die
mittleren und äußeren Stützpfeiler.
Im Laufe des Planungsprozesses wurde das Zusammenspiel zwi-
schen Form und Konstruktion immer weiter optimiert. So ließen
die unterschiedlichen Krümmungsradien der Holzprofile hohe
Produktionskosten erwarten. Dieses Problem konnte durch eine
Anpassung der Bauteillängen gelöst werden, sodass der gleiche
Radius für alleHolzprofile eingesetzt werden konnte und die Ab-
weichungenüber Passleisten inQuerrichtung ausgeglichenwurden.
Hängestrukturen reagieren zudem sehr empfindlich auf ungleich
verteilte Lastenwie Schnee. Erste Berechnungen ergaben bis zu
1,2
Meter vertikale Verformung. Aussteifende Stahlprofilstreben in
Fassadenebene und die Kopplungmit einer innerenWandscheibe
begrenztenhorizontaleVerschiebungen. Zusätzlich konnten Schnee-
rückhalteschwellen ungleichmäßig verteilte Lasten reduzieren.
Eine weitere Herausforderungwar das zu geringe Eigengewicht
desHängedachs. Um einAbheben durchWindkräfte zu verhindern,
schlugen die Tragwerksplaner eine Lösung vor, bei der die Brett-
schichtholzelemente als flache umgedrehte Druckbögen dimen­
sioniert und schubfest mit der Schalung verbundenwurden. Durch
diese Abweichung von einem reinen zugbeanspruchtenHänge-
dach kann auch einemögliche Lastumkehr bewältigt werden.
Der Aufbauwurde von zwei Anforderungen bestimmt. Einerseits
wurde die Länge der vorgefertigten Brettschichtholzelemente
aus Douglasie durch die Transportmöglichkeiten auf
25
Meter be-
schränkt, andererseits musste dieMontage sehr schnell erfolgen,
um das Holz vor Regen zu schützen.
Man entschied sich, die Verbindungenmit Bolzen von Stahl zu
Stahl auszuführen, weil diese auf der Baustelleweniger aufwendig
sind als reineHolzverbindungen. Die Verbindungselemente der
Längsstöße bestehen aus
2,2
cm dicken Stahlplatten, die jeweils
zwei Paaremit insgesamt sechs Bolzen verbinden. Um starke
Biegungen der langen, schlanken Brettschichtholzelemente
während der Montage zu vermeiden, wurde bei der kurzen
Spannweite eine Lasttraverse eingesetzt und die lange Spann­
weitemit zwei Kränenmontiert. DieMontage dauerte lediglich
15
bis
20
Minuten pro Paar. Das gesamte Dach inklusive Sperr-
holzlage war in zwölf Tagen errichtet.
Karin Triendl
Architektin, seit
2007
Bürogemeinschaft mit Patrick Fessler, schreibt als freie
Autorinüber aktuelle Stadt(Räume) undArchitekturen,
Karin Triendl
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