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„Früher habenwir nur das Tragwerk berechnet,
heute bearbeitenwir den komplettenHolzbau“
Warum uns der Begriff des Ingenieur-Holzbaus immer fremder
wird und der des Holzbau-Ingenieurs immer vertrauter.
Eine Spurensuche in vier Kapiteln
Der Begriff des Ingenieurholzbaus ist nicht eindeutig, ist er doch
Anfang des letzten Jahrhunderts entstanden, um ihn vom zimmer­
mannsmäßigenHolzbau abzugrenzen. Heute verstehen die einen
darunter weitgespannte Tragwerke, für andere aber ist jeder
Holzbau ein Ingenieurholzbau, weil heutzutage der Tragwerks­
planer bei jeder Bauaufgabemit an Bord ist. Um herauszufinden,
wie sichmit der Entwicklung des Holzbaus auch die Rolle des
Ingenieurs verändert hat undwas es mit demHolzbauingenieur
auf sich hat, sprachenwir mit Holzbauexperten.
Was ist ein Ingenieurholzbau?
„Anhand der Entwicklung unserer Firma kannman den Begriff
Ingenieurholzbau gut erklären“, sagt ErichWiesner, Eigentümer
undGeschäftsführer der Firma
wiehag
. „Früher wurde nicht
gerechnet, der Handwerker hat auf Basis seiner Erfahrung die
Dimensionierung vorgenommen. Das war nicht mehr möglich, als
Holzbauprodukte die Dimension eines natürlichen Baumes über-
schritten. Mit der Entwicklung des Brettschichtholzes sindwir
mit demHolzbau in neue Dimensionen gekommen. Ab dem Zeit-
punkt habenwir in unseremUnternehmen vom Ingenieurholzbau
gesprochen. Für die Dimensionierungwaren Ingenieurwissen
und Berechnungsmethoden erforderlich. So habenwir uns vom
Zimmereibetrieb zu einem Ingenieurholzbaubetrieb entwickelt.“
Weder im Stahlbau noch im Stahlbetonbau gibt es eine Unter-
scheidung zum Ingenieurbau. Es ist bei diesenDisziplinen selbst-
verständlich, dass ein Tragwerksplaner das Tragwerk berechnet.
ImHolzbauwar das nicht immer so. Früher dimensionierteman,
ohne zu rechnen. Erst als neueHolzbauproduktewie Brettschicht-
holz die Errichtungweitgespannter Tragwerkemöglichmachten,
erforderte dies auchmoderne Rechenmethoden undman grenzte
sich durch den Begriff des Ingenieurholzbaus vom handwerklich
orientiertenHolzbau ab.
Wie hat sich damit die Tätigkeit des Tragwerksplaners verän-
dert?Welche Aufgaben übernimmt er immodernenHolzbau?
„Früher habenwir nur das Tragwerk berechnet, heute bearbeiten
wir den komplettenHolzbau“, erzählt der Tragwerksplaner
Tobias Götz, Geschäftsführer des Büros Pirmin JungDeutschland.
„Dazu gehören auch die angrenzenden Fachbereichewie Brand-
schutz, Schallschutz undWärmeschutz.“
Dass es beimHolzbau sowichtig ist, über das eigentliche Tragwerk
und damit auch über die eigene Disziplin hinaus mitzudenken,
betont auch der Vorarlberger Tragwerksplaner KonradMerz: „Im
Stahl- und Betonbau berechnet der Ingenieur nur das Tragwerk.
Die Gebäudehülle und der Brandschutz sind Sache des Archi-
tekten. BeimHolzbau aber ist es notwendig, dass der Tragwerks-
planer auch die Aspekte der Gebäudehüllemitbedenkt, da die
Grenze zwischen Tragwerk, Hülle und Ausbau fließend ist.“
„Wennwir mit einem Entwurf anfangen, sitzt immer ein Tragwerks-
planer unseres Vertrauenmit uns am Tisch“, erzählt der Berliner
Architekt Tom Kaden. „Das entspricht unserem Entwurfsver-
ständnis: Wir entwerfenmit demWuchs des Holzes und denken
auch im Entwurf über die Ausführung nach. Die Entscheidung,
ob es zum Beispiel eine Rahmen- oder Massivbauweise wird,
muss mit dem Tragwerksplaner gemeinsam getroffenwerden.“
Wird dieses interdisziplinäre Planen auch an denUniversi-
täten gelehrt?
„Unser Masterstudio zum ThemaHolzbau findet zusammenmit
denBauingenieuren statt“, erzählt TomKaden von seiner Professur
Architektur undHolzbau an der
tu
Graz. „Bei jeder Besprechung
ist auch einVertreter des Instituts für Tragwerksplanungmit dabei.“
KonradMerz, der den berufsbegleitenden und interdisziplinären
Masterlehrgang überholz an der Kunstuniversität Linz zusammen
mit Helmut Dietrich leitet, sagt, dass durch eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit die Studenten in der Grundausbildung zumin-
dest die unterschiedliche Sprache der Architekten beziehungs-
weise Bauingenieure kennenlernen können.
Er hält den interdisziplinären Austausch aber eigentlich nur dann
für effektiv, „wenn bereits Praxiserfahrungen vorhanden sind,
vor allem auf der technischen Seite. Ein guter Architekt kann auch
schon ohne viel Erfahrung daran teilnehmen, aber ein Ingenieur
muss Ahnung von der Bauphysik, von der Detaillierung und der
Montageplanung haben, damit es überhaupt Sinn hat zusammen-
zuarbeiten. Bei überholz praktizierenwir genau diesen Austausch
zwischen Ingenieuren und Architektenmit Praxiserfahrung.“
Tobias Götz fordert ein radikales Umdenken im Planungsprozess
und in der Ausbildung vor allem der Bauingenieure: „Ich sehe an
unseren Praktikanten und an der
tu
Kaiserslautern“, wo er seit
2015
Lehrbeauftragter für Ingenieurholzbau ist, „wie Ingenieure
ausgebildet werden. Das entspricht einer veraltetenDenkweise.
Die Bauingenieure werden leider immer noch zu speziell und
in vielen Fällen zu ‚Fachidioten’ ausgebildet, sie lernen nur Statik,
ohne nach links und rechts zu schauen und die einzelnen Fach-
disziplinenmiteinander zu verknüpfen.“
Ist der Holzbauingenieur, wie er sich in der Schweiz etabliert
hat, die Lösung?
Das Berufsbild des Holzbauingenieurs hat sich in den letzten
Jahren vor allem in der Schweiz entwickelt. Sein Betätigungsfeld
umfasst die Tragwerksplanung und Ausschreibung der Holzbau-
konstruktion, holzbaurelevanten Ausführungsdetails bis hin zu
Brandschutz und Bauphysik. Warum der Holzbauingenieur sich
inÖsterreich undDeutschland nicht so einfach etablieren kann,
hängt laut KonradMerzmit denHonorarordnungen zusammen.
Er und sein Team vonMerz Kley Partner unterstützen die Archi-
tekten bei der Ausschreibung und in konstruktiven Fragen zur
Gebäudehülle. Grundsätzlich sind sie jedoch der Meinung, dass
die Gebäudehülle Teil der Objektplanung ist und in den Verant-
wortungsbereich des Architekten gehört.
Tobias Götz geht hier einen anderenWeg. Er bietet mit seinem
Büro eine umfassende Bearbeitung an: „Wir machen Statik, Wär­
meschutz- und Schallschutznachweise sowie Brandschutzkonzepte.
Architekten, die nicht holzbauerfahren sind, kannmit einer reinen
Statikleistung nicht geholfenwerden. Das ist unsereÜberzeugung.“
Vom Ingenieurholzbauwird oft nur mehr dann gesprochen, wenn
es sich umGroß- und Sonderprojekte handelt und ein aufwen-
diges Engineering erforderlich ist. Heutzutage braucht man den
Ingenieur nicht mehr vor denHolzbau stellen, weil der Ingenieur
immer involviert ist. Den auf Holzbau spezialisierten Ingenieur
hingegenwirdmanmehr denn je brauchen.
Anne Isopp
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