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Essay
DieWahl desHolzes ist eine Frage
des Farbklimas
Die wilden Furnierbilder aus meiner Kindheit sindmir noch gut
in Erinnerung. DieWohnzimmereinrichtungmit Wurzelwalnuss-
furnier, doppelt gespiegelt verarbeitet, mit Schellackpolitur ver-
sehen, war äußerst fantasieanregend. Diese Furnierbilder hätten
sich gut für einen Rorschachtest geeignet.
Walnuss, Eiche, Birkensperrholz, Kirsche oder Buchenfurnier,
hell oder dunkel, schlicht oder opulent, naturbelassen oder ober-
flächenbehandelt oder überhaupt ein Fake – sprich eineHolz-
imitation. Holz gilt bei Laien als heimelig, und auch Fachleute
wissen, dass manmit Holz Raumatmosphäre schaffen kann. Das
führte aber auch dazu, dass Holzimitationen inzwischen nicht
nur bei Dekorspanplatten und Laminatböden, sondern auch als
pvc
-Bodenbelag und selbst als Keramik erhältlich sind. Diese
Spielarten kommen nicht mehr nur optisch, sondern auch struk-
turell demOriginal verblüffend nahe. Sie haben vielleicht dort
eine Berechtigung, wo das Bedürfnis nachHolz als Sinnbild für
eine vertraute, einladende Atmosphäre aus diversen Gründen
nicht immer gestillt werden kann, etwa imKrankenhauswesen
bei Patientenzimmern. Auch der Wunsch nach einer wertvoll
wirkendenOberfläche aus Holz ist keineswegs ein Phänomen
jüngerer Zeit. Sowurden beispielsweise Holztüren aus billigerem
Weichholz, etwa Fichtenholz, mit einer Holzlasur inMaserier-
technik zu edler wirkenden Eichentüren hochgerüstet. Bis ins
frühe
20
. Jahrhundert war Holz fast ausschließlich als Vollholz
im Einsatz. Das bedeutete etwa bei Türen, mit Rahmen und
Füllungen zu arbeiten, um die unterschiedliche Bewegung des
Holzes in Längs- undQuerfaser in den Griff zu bekommen.
Auf diese Art undWeise verleugnete eine deckend lackierte Türe
oder eineWandverkleidung nie den Charakter desMaterials. Die
Anforderung anMaterialien, die sichmöglichst nicht mehr ver-
ändern –weder in der Dimension noch optisch – und natürlich
pflegeleicht sind, hat Verbundwerkstoffe hervorgebracht.
Holz im Innenausbau trifft man vermehrt in zeitgenössischen
Lösungen des konstruktivenHolzbaus an. Raumcharaktere ganz
aus Holz, als Futteral mit oft erstaunlich guten akustischen
Qualitäten ohne jegliche zusätzliche akustischeMaßnahmenwie
Lochplatten undmit – je nachOberflächenbehandlung undHolz-
wahl –mehr oder weniger erkennbarem Eigengeruch sind positiv
konnotiert. Holz mit sichtbarer Holzcharakteristik im urbanen
Geschosswohnbau ist meist nur für Fußböden im Einsatz. Aus-
bau- und Einbauelemente, die aus demGrundmaterial Holz bzw.
Holzwerkstoff bestehen, findet man jedoch in vielen anderen der
Öffentlichkeit zugänglichen Bauten, seien es nun Bibliotheken,
Schulen, Theater- und Konzerthäuser, Hotels, Restaurants oder –
heute wieder vermehrt – Bürogebäude.
Die Auswahl anHolzarten, furniertenOberflächen undOberflä-
chenbehandlungen ist unendlich groß. Die Frage, worauf man
das Augenmerk lenkt, kannmit der Wahl einer Holzart und Ver-
arbeitung stark geprägt werden. Ein lebendiges Furnierbild kann
das Augenmerk auf sich ziehen und damit die Bedeutung eines
Raumes signalisieren, wie esMies van der Rohe imHaus Tugendhat
mit der kreisförmigen raumbildendenWand für den Essbereich
gemacht hat. Die vertikal furnierteWand aus dunklemMakassar-
holz gibt in dem lichtdurchfluteten Raumgefüge dieser Raumzone
Halt. Es muss jedoch keineswegs einemarkanteMaserung sein.
Auch eine schlichte Variante, etwa eine helle Eiche horizontal
oder vertikal eingesetzt, trägt zur Raumcharakteristik bei. DieWahl
des Holzes ist grundsätzlich auch eine Frage des Farbklimas. Hier
gilt es, die feinenNuancen von unterschiedlich hellen und dunk-
lenHölzern zueinander und auchmit den anderenMaterialien im
Raum abzustimmen. Beispielsweise haben helle Hölzer wie Birke,
Ahorn, Weißesche undWeißtanne zwar eine ähnliche Gradation
(Helligkeit), jedoch korrespondieren sie jeweils mit einem spezi-
fischen Farbklima, weil sie sich in der Farbtemperatur (Farbton)
unterscheiden. Der goldgelbe, warme Farbton eines Ahorns bewirkt
oder unterstützt je nachGewichtung daher auch eine andere
Raumatmosphäre als eine im Farbton kühlereWeißesche.
Wir nehmen Raum nicht nur visuell, sondern auch akustisch, olfak-
torisch und haptischwahr. Holz hat die Eigenschaft, alle diese
Sinne bedienen zu können. Es wäre daher begrüßenswert, würde
man allen diesen Eigenschaften, vor allem den haptischen von
Holz, wieder mehr Augenmerk schenken. In der Bibliothek des
Museums für Angewandte Kunst inWien gibt es Lesetische, deren
Oberfläche sich anfühlt wie samtigeHaut. Siewurden vomKünst-
lerpaar Aichwalder und Strobl mit großemAufwand bearbeitet.
Ähnlichwie alte Bauerntische sind diese Tischplatten inmehreren
Arbeitsgängenmit Seifenlauge gewaschen und geschliffen und
wieder gewaschen und geschliffenworden und bekamen so einen
sehr schönen, seidigen Glanz undmit der Zeit eine Patina. Man
greift dieses Holz sehr gerne an, streicht gerne darüber.
Holz ist etwas Lebendiges und es gibt kein Stück, kein Furnier-
bild, das dem anderen gleicht. Es setzt mehr Sorgfalt imUmgang
damit, Wissen über dieMöglichkeiten undMeisterschaft in der
Verarbeitung voraus. Sorgfältig verarbeitete Stücke erhalten ein
besonderes Augenmerk, sei es auf das edle Furnierbild, die Ober-
flächenbehandlung oder auf die Füge- und Verleimtechnik von
Vollholzteilen. Holz ist mit einer bestimmten Robustheit ausge-
stattet. Es verzeiht die Verletzungen, die ihm durch die Nutzer
zugefügt wurden undwerden und erzählt damit eher eine Ge-
schichte des Gebrauchs, als dass es einenHinweis auf Zerstörung
und Vergänglichkeit gibt.
Irmgard Frank
Architektin undDesignerinmit Kanzleisitz inWien. Von
1998
bis
2018
Ordinaria
für Raumkunst und Entwerfen an der TechnischenUniversität Graz. Forschungs-
schwerpunkte sind raumphänomenologischeÜberlegungen sowie dieBedeutung
von Licht als Gestaltungselement und immaterielle Komponente der Raumwahr-
nehmung. Sie ist u. a. Autorin undHerausgeberin von „Raumdenken. Thinking
Space“
2010
und von „Raum_atmosphärische Informationen. Architektur und
Wahrnehmung“
2015
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Irmgard Frank
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