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„Man schmeckt’s“
Käserei inRadenthein
Das Holz liefern die Käsegenossenschafter aus dem
eigenenWald. Fichte für dieWände, Lärche für die
Böden. Sowie es beim traditionellen Bauernhaus in
der Gegend üblichwar, von dem auch die Lab’n
stammt. Der Vielzweckraum trennt hier allerdings
Käserei und Käseladen. Auch die Einbauschränke
sind aus den Fichten der umgebenden Nockberge
gezimmert, die stärker beanspruchten Bänke
und Tische wiederum aus Lärchenbrettern. Am
8
.Dezember dann das Bangen: Schneeregen. Feier-
liche Eröffnung im Bergbaustädtchen Radenthein
mitten in Kärnten. Matsch auf den Schuhen.
Die Dielen aber liegen da, wie das Sägewerk sie
geschaffen hat. Hätteman sie wenigstens geölt,
flucht die Sorge! Bald schafft die Seifenlauge jene
vergrauende Einheitlichkeit, Monate intensiven
Gebrauchs jene Patina, die sich über die Ein-
maligkeit jedes Bretts legt. Eine ganz besondere
Beschichtung. Der Baum bleibt am Leben.
Rund
200
Besucher kommen täglich in die Schau-
käserei. „Besser als erwartet“, kommentiert man
dort heute den Alterungsprozess nicht ohne Augen-
zwinkern; auch das Salz imWinter sei „völlig pro-
blemlos“, „gut abwaschbar“ die Fichtenvertäfelung,
die sanfter nachdunkeln darf als die beanspruchte
Lärche. Sogar die jungenGäste übten Zurückhaltung,
hätten noch keine Oberfläche bemalt. Aber das
ist nicht verwunderlich, denn das Holz präsentiert
seineMaserungwie einOrnament. Das erfreut
die Besucher und erfüllt den Raummit Wärme.
Die Oberflächen der Wände undDeckenwurden
gebürstet –man spürt’s –, die Böden gehobelt.
Jede Diele ist
18
cm breit und bis zu
5,5
Meter lang.
Kein Brett ging verloren: Das schmale, das blau-
stichige, allzu astige verschwand in der Diagonal-
schalung der Wände. Hinter Anstrichen oder
Farbschichten versteckt sich nichts. Dem Spuk,
der Holz nach lang geübtem Brauch zu Kunststoff
wandelt, ist ein freudiges Ende gesetzt. Das Prinzip
lautet Körperhaftigkeit undUnmittelbarkeit ganz
nach dem Vorbild der silolosenHeumilch.
Albert Kirchengast
Fichte
Farbe
weißlich, rahmgelb bis stroh-
gelb, rötlich, sowohl im Splint
als auch imKern (Reifholz),
bei Lichteinwirkung starke
Neigung zumVergilben,
es entwickelt sich ein gelb-
licher, brauner Farbton
Querschnitt
Jahrringgrenzen deutlich
ausgebildet, der Übergang
von Frühholz zu Spätholz
vollzieht sich allmählich.
Sehr feine, nicht zahlreiche
Harzkanäle (wesentliches
Unterscheidungsmerkmal
zu Tanne)
Radialschnitt
deutlich gestreifte Textur
Tangentialschnitt
markante Flader durch die
scharfe Jahrringabgrenzung
des Spätholzes
Geruch
nicht auffallend, im frischen
Zustand leicht harzig
Härte
weich
Eigenschaften
Fichtenholz ist leicht (Darr-
dichte
410
kg⁄ m
3
) undweich
(Brinellhärte
12
N⁄ mm
2
).
Die Angleichgeschwindigkeit
der Holzfeuchte an das
Umgebungsklima ist eher
langsam, das Stehvermögen
gut. Allgemein gilt Fichten-
holz alsmäßig schwindend,
ist leicht zu bearbeiten, gut
zu schälen und zumessern,
sofernAnzahl undGröße
der Äste gering sind. Bei der
Oberflächenbehandlung sind
keine Probleme bekannt.
Verwendung
Bau- und Konstruktionsholz,
Bautischlerarbeiten, Innen-
ausbau, Halbfertigwaren,
Rahmenbau (Fenster,
Haustüren, Wintergärten),
Innenwand- undDecken-
bekleidungen
ÄhnlicheHölzer
Tanne
5
m
Beim Primärtragwerk greift man ganz pragmatisch
auf Leimbinder und Stahlverbindungen zurück.
Ihr Skelett ist im Inneren ablesbar, bildet mit der
Vertäfelung eine Fläche. Abstrakt wirkt das nicht,
aber auch für Rustikalität ist kein Platz.
Wie ist die Kaslab’n? Direkt und unverblümt, voller
Lust amAnalogen, angetrieben vomWunsch, im
Tun zu begreifen, aus Prozessen zu lernen – in einer
Landschaft, die durch achtsame Bewirtschaftung
schönwirdwie das Haus in ihr. Die Käsemacher
sagen: „Man schmeckt’s.“ Die Architektenmeinen:
„Das Haus reift.“
Albert Kirchengast
ist Architekturtheoretiker und Publizist. Er arbeitet amKunst-
historischen Institut in Florenz (Max-Planck-Institut) und
unterrichtet an der
tu
Wien und der
fh
Kärnten; Bücher zum
Thema: „Landschaft und Lebenssinn“, „Franz Riepl baut auf
dem Land. Eine Ästhetik des Selbstverständlichen“.
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