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Besser warten
Haltestellen für Bahn und Bus in Holz

erschienen in
Zuschnitt 92 Infrastrukturbauten, März 2024

Die auf Bahnhöfen und Flughäfen zugebrachte Wartezeit ist eine ungeliebte Zeit, sie wird als unproduktiv und als notwendiges Übel auf dem Weg von einem Ort zu einem anderen empfunden. Stehend oder sitzend im zugigen Freien oder auf einem Drahtsessel in einer Glasbox zählt man auf der Anzeigentafel die Verspätungsminuten herunter und freut sich auf den gepolsterten Sitzplatz im herannahenden Verkehrsmittel, der – sofern man einen ergattert – dem Unterwegssein wieder einen wohligen Halt gibt. Flughäfen, Busterminals und Wartehallen sind Übergangsräume, bei denen die Aufenthaltsqualität – so das gängige Klischee – zugunsten einer möglichst friktionsfreien Anschlusslogistik nicht selten „auf der Strecke“ bleibt. Das Warten findet in wartungsarmen Infrastrukturen statt, die von Reisenden bereitwillig ausgeblendet werden. Mit dem Smartphone in der Hand lässt sich die Wartezeit überall in weltangebundener Ortlosigkeit überbrücken.

Der französische Anthropologe Marc Augé bezeichnete die kontextlosen Räume des Transits als „Nicht-Orte“. Er bezog sich dabei auf den Kulturphilosophen Michel de Certeau, der den Begriff in den 1980er Jahren prägte, um der Stabilität des Ortes die Dynamik des Raumes und des Nicht-Ortes entgegenzusetzen. Ein Nicht-Ort sei etwas Vorübergehendes, nur temporär Vorhandenes. „Gehen bedeutet, den Ort zu verfehlen“, heißt es bei ihm. Könnte man im Hinblick auf Reisende, die ihr mehr oder weniger fernes Ziel vor Augen haben, nicht sagen: Warten bedeutet, den Ort zu negieren? Ist doch gerade das Warten ein Zustand, in dem der eigentliche Ort, der Ort, auf den man zustrebt, fühlbar vorenthalten bleibt. Für viele Warteräume und Bushaltestellen mag diese Vorenthaltung, die Marc Augé in seiner Studie „Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit“ beschwor, nach wie vor paradigmatisch sein – gerade so, als bestünde der Zweck von Transiträumen wie Flughäfen und Bahnhöfen allein darin, die „transzendentale Obdachlosigkeit“ des modernen Menschen zu illustrieren.

Warten mit Mehrwert

Gegen eine solche Zuspitzung sprechen die vielen Freizeit- (oder Zeitvertreibs-)Angebote in zeitgenössischen Bahnhöfen und Terminals, die darauf ausgerichtet sind, Menschen durch Konsumangebote möglichst abwechslungsreich an diese Durchgangsräume zu binden. Die seit einigen Jahren gepflegte Praxis, Bahnhöfe in Einkaufszentren umzumünzen, die auch von Nicht-Reisenden frequentiert (und zum Teil auch als öffentliche Treffpunkte genutzt) werden, verdeutlicht den Anspruch, Verkehrsknoten mit anderen (kommerziellen) Nutzungen eng zu vernetzen. Viele der Mitte des 20. Jahrhunderts aufgebauten Bahnhofsinfrastrukturen sind in die Jahre gekommen und müssen an heutige technische Standards angepasst und im Sinne der Barrierefreiheit adaptiert werden. Durch die Aufwertung des öffentlichen Verkehrs im Zuge des Klimawandels wird außerdem verstärkt versucht, die Sanierungsnotwendigkeit mit einem ökologischen Anspruch und einem atmosphärischen Update zu verbinden.

Dabei wird vielfach darauf geachtet, hochwertige, „warme“ Materialien wie Holz einzusetzen, die den Klimaaspekt betonen und dem Warten einen angenehmen und sinnlich ansprechenden Rahmen geben. So bieten etwa die Brettsperrholz-Elemente der begrünten Überdachung am Fernbus-Terminal in Frankfurt von schneider+schumacher den Reisenden den Anblick einer facettierten Holzoberfläche, die Modernität und Behaglichkeit ausstrahlt. Die auf Betonstützen ruhende Konstruktion aus umgedrehten „Schirmen“ lässt Wartende nicht im Regen stehen und bildet, vor allem wenn sie nachts beleuchtet ist, eine signifikante Silhouette.

Bauwende in der Stadt und auf dem Land

Ein markantes Zeichen des Wandels setzte die südschwedische Universitätsstadt Växjö, die sich vorgenommen hat, bis spätestens 2050 vollkommen ohne fossile Energieträger auszukommen. Für die schwedische „Holzstadt“ inmitten von Wäldern und Seen war es daher naheliegend, eines ihrer zentralen Bauprojekte – es vereint unter einem gemeinsamen Dach das Rathaus mit dem Bahnhof und einem „öffentlichen Wohnzimmer“ – großteils in Holzbauweise zu errichten. Unter der 14.000 m2 überspannenden Dachstruktur hat das Planungsteam von Sweco Reisebüros, Cafés und Läden, aber auch Warte- und Konferenzräume, Arbeitsplätze für kommunale Mitarbeiter:innen sowie einen Ausstellungsbereich angeordnet und damit eine Durchmischung programmiert, die über die kommerzielle Eintönigkeit eines Einkaufszentrums hinausgeht. Die Verkehrsflächen sollten als Aufenthaltsräume für Ankommende und die ansässige Bevölkerung gleichermaßen attraktiv sein.

Ein erhöhter Anspruch an Komfort und „Wohnlichkeit“ bei Verkehrsbauwerken lässt sich nicht nur bei Bahnhöfen in größeren Städten beobachten, sondern auch bei ganz kleinen Infrastrukturbauwerken im ländlichen Raum. Ein Beispiel dafür ist die Bushaltestelle der Gemeinde Brand-Laaben, die 2019 von der Baukooperative als archetypische „Hütte“ errichtet wurde. Das kleine Wartehäuschen mit großen Sichtfenstern, Sitzbank und Geldautomat bietet nicht nur den Wartenden Schutz, sondern gliedert sich auch baulich in die dörfliche Struktur ein.

In der Artikulation der zunehmend wichtigen Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Verkehrsmitteln Pkw, Bahn, Fahrrad und Bus entwickeln auch die regionalen Bahnhöfe der ÖBB ein neues Profil, wie die von mohr niklas architekten gestalteten Bahnhöfe in Eichgraben-Altlengbach, Neulengbach und Strebersdorf zeigen. Beim Bahnhof Eichgraben-Altlengbach war es dem Planungsteam ein Anliegen, Licht in den bestehenden Durchgang zu leiten, um Angsträume zu vermeiden. Hier setzte das Architekturbüro mit einem unterschiedliche Funktionen überspannenden Holzdach aus Brettschichtholz-Platten eine großzügige „schwebende“ Geste; in der nächtlichen Beleuchtung strahlt die Dachuntersicht eine besonders angenehme Atmosphäre aus. Bei der vergleichbaren Aufgabenstellung in Neulengbach an der Westbahnstrecke ging es auch darum, die Verkehrsstation barrierefrei zu machen. Dabei wurden die beiden neuen Stiegenaufgänge als Turmbauwerk ausgebildet, das in der stadträumlichen Verdichtung ein sichtbares Zeichen setzt.

Die Haltestelle Strebersdorf der Schnellbahn-Linie S3 öffnet sich ebenfalls zur durchgrünten Umgebung, wobei das Holzdach und die raumhohen Glaswände die Reisenden „vor den Launen der Natur“ schützen, sodass sie nicht im „Zugigen“ auf den Zug warten. Die vier Bahnhofsprojekte zeigen beispielhaft, welchen Mehrwert die Abweichung von der bisherigen Regelplanung erbrachte. Die Vordächer nicht in herkömmlichen Alu-Sandwich-Paneelen, sondern als vorgefertigte Holzelementdecken zu planen, verkürzte nicht nur die Bauzeit, sondern kommt auch den Reisenden atmosphärisch zugute. Selbst wenn die Wartezeit auf Bahnhöfen und Terminals eine ungeliebte Zeit bleibt, verstreicht sie im freundlichen Ambiente vielleicht sogar schneller.


verfasst von

Gabriele Kaiser

freie Architekturpublizistin und Kuratorin; 2010–2016 Leiterin des architekturforum oberösterreich (afo); seit 2009 Lehrauftrag an der Kunstuniversität Linz; lebt und arbeitet in Wien.

Erschienen in

Zuschnitt 92
Infrastrukturbauten

Mobilitätswende mit Holz

8,00 €

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Zuschnitt 92 - Infrastrukturbauten