Eine der wesentlichen Regeln des Holzbaus lautet, nach außen möglichst diffusionsoffen zu bauen und nach Möglichkeit zusätzlich zum Feuchteabtransport hinterlüftete Deckschichten einzusetzen. Gerade bei Flachdächern kann aufgrund der sd-Werte 1 der Dachbahnen und eingeschränkter thermisch bedingter Luftwechsel dieser Grundsatz nicht eingehalten werden. Es sind aus diesem Grund aufbauend auf Baustoffentwicklungen im Bereich der Dampfbremsen neue Konstruktionen zu entwickeln und deren Einsatzgrenzen auszuloten.
Grenzen des Glaserverfahrens
Für die bauphysikalische Planung von Bauteilen hinsichtlich der Feuchtebeanspruchung aus dem Gebäudeinneren ist ÖNORM
b 8110-2 heranzuziehen. Gemäß dieser Norm werden, neben der Ausführung der dort präsentierten nachweisfreien Konstruktionen, auch instationäre thermisch-hygrische Simulationen oder eine Berechnung nach ÖNORM EN ISO 13788 (Berechnung nach dem so genannten Glaserverfahren mit Monatsmittelwerten als Außenklima) als feuchteschutztechnischer Nachweis akzeptiert. Da das Glaserverfahren keinen Feuchteeintrag aufgrund von Konvektionserscheinungen durch Leckagen in der luftdichten Ebene berücksichtigt, könnten auch für Aufbauten mit beidseitig hohen sd-Werten positive Nachweise errechnet werden.
dicht-dicht = Planungsfehler
In der praktischen Umsetzung ist allerdings immer mit leichten Luftundichtheiten und somit zusätzlichen Feuchteeinträgen zu rechnen. Das Material kann bei »Dicht-dicht« Aufbauten durch die so eingedrungene Feuchtigkeit nicht mehr austrocknen und es ist mit Bauschäden zu rechnen. Holzkonstruktionen mit beidseitig diffusionsdichten Baustoffen entsprechen aus diesem Grund nicht mehr dem Stand der Technik.
Es sind generell Konstruktionen mit entsprechendem Austrocknungspotenzial vorzusehen. In den letzten Jahren wurden so genannte feuchteadaptive Dampfbremsen entwickelt. Diese haben die Eigenschaft, dass sie bei geringen mittleren Luftfeuchtigkeiten einen höheren sd-Wert aufweisen. Bei hohen relativen Luftfeuchtigkeiten verringert sich der sd-Wert in den Bereich von diffusionsoffenen Produkten. Bei richtigem Einsatz können diese Produkte Sicherheitsreserven der Holzbauteile darstellen. Im Winter ist in der Regel an der Dampfbremse eine geringe Luftfeuchtigkeit vorhanden, wodurch eine dampfbremsende Wirkung vorherrscht. Im Sommer kommt es bei hohen Temperaturen auf der Dachoberfläche zu einer Feuchteumverteilung im Element, wodurch höhere Luftfeuchtigkeiten an der Dampfbremse vorherrschen. Dadurch verringert sich der sd-Wert und die Elemente können in den Innenraum abtrocknen. Die Produkte und ihr Einsatz sind somit vom Innenklima und den Temperaturen auf dem Dach abhängig. Bei Nutzungen mit hohen mittleren Luftfeuchtigkeiten während des Winters und bei Konstruktionen mit geringen Temperaturen auf dem Dach während des Sommers funktionieren die Aufbauten nicht bzw. nur eingeschränkt. Da sich bei vollständig beschatteten, bekiesten und begrünten Dächern bzw. Dachbereichen, aber auch hellen Dachoberflächen geringere Temperaturen im Sommer einstellen und somit nur eine eingeschränkte Rücktrocknung vorliegt, sind bei diesen Dächern Zusatzdämmungen erforderlich.
Einflussfaktoren
Die Einflussfaktoren hinsichtlich des Feuchtehaushalts eines Flachdaches stellen somit die sd-Werte der inneren und äußeren Bekleidungen und Folien, der solare Absorptionsgrad der Dachbahn, das Innenklima, die Luftdichtheitsklasse, das Außenklima und der Beschattungszeitraum dar. Planer und Ausführende können die Materialkennwerte beeinflussen. Dem Nutzer sind allerdings der Einfluss einer Änderung des Innenklimas bzw. einer späteren Beschattung z. B. in Form einer nachträglichen Montage von Photovoltaikmodulen auf den Feuchtehaushalt eines Flachdaches nicht immer klar und deshalb deutlich darzulegen. In zwei im Jahr 2009 abgeschlossenen Forschungsprojekten wurden die Grenzen der sommerlichen Rücktrocknung beim Einsatz von feuchteadaptiven Dampfbremsen mess- und simulationstechnisch untersucht. Aus den Forschungsarbeiten der Holzforschung Austria entstand eine Planungsbroschüre mit Konstruktionsvorschlägen für nachweisfreie flachgeneigte Dachkonstruktionen (»Flachgeneigte Dächer aus Holz«, Martin Teibinger, Bernd Nusser, HFA-Schriftenreihe 29, Wien 2010).
Nachweismöglichkeiten
Das feuchtetechnische Verhalten von feuchteadaptiven Dampfbremsen kann mit dem Glaserverfahren nicht abgebildet werden. Es ergeben sich, in Abhängigkeit von den Randbedingungen, die unten stehenden Nachweismöglichkeiten für Flachdächer. Werden die als Konsens der Referenten des Kongresses Holzschutz und Bauphysik am 10. und 11. Februar 2011 publizierten sieben goldenen Regeln eingehalten, dann ist kein weiterer Nachweis erforderlich. Die Grundlage hierfür stellen die Ergebnisse der angeführten Forschungsprojekte sowie die langjährige Simulationserfahrung der Unterzeichner der sieben goldenen Regeln dar.
(1) Der sd-Wert gibt an, wie dick eine ruhende Luftschicht sein muss, um denselben Diffusionswiderstand zu erreichen wie das Material selbst.
sd = Wasserdampfdiffusionsäquivalente Luftschichtdicke in Metern.
1.) Sieben goldene Regeln für ein nachweisfreies Flachdach
(bei normalem Wohnklima nach en 15026 bzw. WTA Merkblatt 6-2)
- Gefälle ≥ 3 Prozent vor bzw. ≥ 2 Prozent nach Verformung
- dunkel (Strahlungsabsorption a ≥ 80 Prozent), unverschattet
- keine Deckschichten (Bekiesung, Gründach, Terrassenbeläge)
- eine feuchtevariable Dampfbremse
- keine unkontrollierbaren Hohlräume auf der kalten Seite der Dämmschicht
- eine geprüfte Luftdichtheit
- Dokumentation der Holzfeuchte (u) von Tragwerk und Schalung
(u ≤ 15 ± 3 Masseprozent) bzw. Holzwerkstoffbeplankung
(u ≥ 12 ± 3 Masseprozent) vor Schließen des Aufbaus
2.) Planungsbroschüre »Flachgeneigte Dächer aus Holz«
Sofern die sieben goldenen Regeln nicht eingehalten werden können (temporäre Verschattung, höhere Feuchtelast, geringere Strahlungs-absorption), können Konstruktionen der Planungsbroschüre (Teibinger und Nusser, 2010) gewählt werden. In der Broschüre werden vollgedämmte Foliendächer aufgelistet, die in Abhängigkeit von der Luftdichtheitsklasse, dem Beschattungsgrad und dem Innenklima mit unterschiedlichen innenseitigen sd-Werten und Absorptionsgraden der Dachbahn nachweisfrei sein können. Als Grundlage wurden hygrothermische Simulationen durchgeführt.
3.) Objektspezifische hygrothermische Simulation
Sollten bei einem Objekt die Randbedingungen nicht den Vor-gaben der Planungsbroschüre entsprechen, z. B. wenn die Beschattungsintervalle länger sind, so können objektspezifische hygrothermische Simulationen auf Basis einer objektbezogenen Beschattungsanalyse durchgeführt werden. Diese hygrothermischen Simulationen müssen unter Berücksichtigung von konvektiven Feuchteeinträgen (Luftleckagen) und gegebenenfalls vorhandenen Beschattungssituationen erfolgen.