Daten zum Objekt
Standort
Paris/FR Google Maps
Bauherr:in
Réhabail mit den Vereinen Atoll 75, Travail et vie und Bail pour tous, Paris/FR
Architektur
Grand Huit, Paris/FR, www.grandhuit.eu
Statik
Scoping, Nantes/FR, www.scoping.fr
Holzbau
Vaninetti, Rosny-Sur-Seine/FR, www.vaninetti.fr
Fertigstellung
2019
Typologie
Integratives Wohnen und urbane Landwirtschaft
In jeder Stadt gibt es brachliegende Grundstücke. La Ferme du Rail zeigt, wie man diese in grüne Oasen verwandeln kann, in denen man solidarisch lebt. Die „Eisenbahnfarm“ liegt in einem Arbeiterviertel im Nordosten von Paris, am Rande der ehemaligen Ringbahn Petite Ceinture. Man muss nur durch einen kurzen Tunnel unter den Schienen hindurchgehen, um die laute Avenue Jean-Jaurès zu vergessen und dem Charme dieses friedlichen, grünen Ortes zu verfallen. Zwei Holzbauten umrahmen dort einen üppigen Gemüsegarten. Links, auf der mit Obststräuchern und Kräutern bewachsenen Böschung, führt ein Weg zum Restaurant Le passage à niveau. Hier genießen die Gäste Obst und Gemüse, das direkt vor Ort oder bei landwirtschaftlichen Partnerbetrieben angebaut wird.
La Ferme du Rail ist ein Ort des Wohnens, der Arbeit, der Ausbildung und der Begegnung rund um die urbane Landwirtschaft. Dieses Projekt wurde mit viel Engagement und Geduld von Clara Simay und Julia Turpin getragen. Die beiden Architektinnen initiierten es gemeinsam mit Bewohner:innen des Viertels und reichten es als Antwort auf den Projektaufruf „Réinventer Paris“ ein. Diese Initiative wurde 2015 von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit dem Ziel in Leben gerufen, neue Wohn- und Nutzungskonzepte für Grundstücke im Besitz der Stadt zu finden. La Ferme du Rail wurde 2016 zur Verwirklichung ausgewählt und beweist nach seiner Umsetzung, dass ein nachhaltiger Lebensstil auch in einer Metropole möglich ist. Es verfolgt außerdem einen integrativen Ansatz des Wohnens, verschränkt mit Aktivitäten zur Arbeitsplatzbeschaffung.
Das Projekt umfasst 1.000 m2 bebaute und 1.300 m2 bepflanzte Fläche. In der Mitte thront ein Gemüsegarten, der von Obstbäumen umgeben ist. Daneben wird in einem Filterbecken Regenwasser zur Bewässerung gesammelt. Ein zweites Becken beherbergt ein Aquaponik-System mit Fischen. Ob im Freiland, im Gewächshaus, auf dem Dach oder auf den Balkonen – überall werden von Permakultur inspirierte Praktiken angewandt und die Erde wird nur durch Kompost angereichert, der aus den Grünabfällen von rund dreißig Restaurants und hundert Haushalten hergestellt wird.
Flankiert wird der Garten von zwei Baukörpern. Im Wohnheim im Osten leben fünf Student:innen und 15 Personen, die sich in einem sozialen und beruflichen Prozess der Wiedereingliederung befinden. Mehrere arbeiten auf der Ferme du Rail, einige im Bauwesen. Im Erdgeschoss sowie jedem der drei Obergeschosse befinden sich fünf Einzelzimmer mit eigenem Bad. Ein großes gemeinsames Wohnzimmer pro Stockwerk und die Terrasse im Erdgeschoss fördern den Austausch und das Leben in der Gruppe. Im zweiten Gebäude in der nördlichen Ecke des Grundstücks befinden sich im Erdgeschoss Werkstätten und eine Pilzzucht, das Restaurant im Obergeschoss und ein Gewächshaus unter dem schrägen Glasdach. Zwischen beiden Häusern entsteht ein sichtgeschützter Außenbereich mit Terrasse, die den gemeinschaftlichen Speisesaal der Bewohner:innen verlängert.
Beide Gebäude sind nach bioklimatischen Grundsätzen konzipiert und beispielhaft für die Energieeffizienz, das Wassermanagement und die Wahl biobasierter Materialien. Die Außenwände bestehen aus mit Stroh gefüllten Holzkästen, die so dimensioniert sind, dass sie Decken und Dach tragen. Die Kästen wurden von einem Unternehmen aus dem Großraum Paris aus Lärchenholzbrettern vorgefertigt. Eine Gipskartonplatte an der Außenseite sorgt für die Aussteifung. Während die Dachelemente direkt in der Zimmerei mit Stroh isoliert wurden, erfolgte die Füllung der 3 Meter hohen Wandelemente vor Ort auf der Baustelle. Das verwendete Stroh stammt aus der Region Rambouillet, die etwa 60 km entfernt liegt.
Jedes Fach der Wandkästen nimmt einen senkrecht gestellten Strohballen auf, dessen Abmessungen (ca. 37 × 47 × 110 cm) etwas größer sind als die des Hohlraums. Das eingepasste Stroh wird so unter Druck gehalten. Einige Ballen wurden auf der Baustelle nachgeschnitten, um die kleinen Kammern im oberen Teil der Wände zu füllen. Auf der Innenseite wird das Stroh durch eine Dampfbremse vor Feuchtigkeit geschützt. Auf der Außenseite wurden Halbrundhölzer aus ungeschälter Kastanie auf schwarz gestrichene horizontale Leisten geschraubt, die für eine gute Belüftung an vertikalen Leisten befestigt wurden. Die Feuchtigkeit kann somit leicht durch die Gipsfaserplatte und die Regenschutzmembrane abgeführt werden. Der Wandaufbau entspricht den 2012 veröffentlichten französischen Fachregeln für den Strohbau. Aus Baustoffrecycling, das in Frankreich zunehmend an Bedeutung gewinnt, stammen viele weitere Materialien, wie die Fliesen in den Badezimmern und das Holz der Blumenkästen. Die Steine der Trockenmauern, die die Böschung halten, schmückten früher Pariser Straßen oder Friedhöfe.
Die Ferme du Rail bietet sozial benachteiligten Menschen einen geselligen Ort und fördert über gemeinnützige Tätigkeiten und ein Ausbildungsangebot die Chancen, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Durch die nachbarschaftliche Vernetzung und die gemischte Nutzung lädt das Projekt zur Teilhabe ein und macht Lust, an diesem friedlichen, genügsamen und fröhlichen Ort zu verweilen. Die Strahlkraft reicht dabei weit über das Viertel hinaus.