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Der Wald in der Kunst
Eine Zeitreise der Natur- und ­Kultur­geschichte von der Idylle bis hin zur Ressource

erschienen in
Zuschnitt 91 Wald und Holznutzung, Dezember 2023

Das Verhältnis zwischen Menschheit und Wald ist ambivalent, denn sie schätzt ihn und schadet ihm zugleich. In der Kunst lässt sich dieses Verhältnis nach­verfolgen. Dabei wird klar, dass der Wald durch seine schier unumgängliche Präsenz den Menschen bis heute prägt.

Die Anfänge der Walddarstellungen

Der Wald lässt uns heute an Ruhe und Idylle denken. Doch lange galt er als unpassierbares Terrain, als etwas Wildes, fernab der Zivilisation, als Ort der Gefahr und als Lebensraum wilder Tiere. Für den Eremiten im ausgehenden frühen Mittelalter bot er die gesuchte Einsamkeit, für Reisende war er jedoch ein Hindernis, da bis weit ins 18. Jahrhundert hinein keine Straßen durch europäische Wälder führten. In der Kunst wurde der Wald anfänglich zurückhaltend, in Form von groben und schematischen vegetativen Elementen abgebildet, etwa als Schmuck in der Fresken- und Buchmalerei oder in der Architektur, zum Beispiel an Kapitellen, die eine symbolische oder dekorative Funktion im Gesamtwerk hatten oder als Verweis auf einen gesamten Landschaftsraum funktionierten. Der Wald war als Beiwerk dem Kontext des Narrativs untergeordnet und kein eigenständiges Motiv. Er vermittelte somit keine Vorstellungen eines bestimmten, geschlossenen ­Naturraums. Erst in der italienischen Gotik und der frühen Renaissance wurde dem Wald etwas mehr Raum zugestanden, er blieb aber weiterhin ein Randphänomen.

Langsamer Bedeutungswandel

Seine symbolisch-metaphorische Bedeutung war lange Zeit wichtiger: Der Wald diente in christlichen Motiven dazu, das Paradies oder die unberührte Wildnis anzudeuten, die charakteristisch verkürzt wiedergegeben wurden und die zen­trale Geschichte nachvollziehbar machten. Er sollte dem Hauptmotiv als Kulisse oder Kontrast dienen. Zudem war es schlicht einfacher, die weite, offene Landschaft abzubilden. Doch langsam erfuhr der Wald einen Bedeutungswandel.

Um 1500 wuchs das Interesse für die Natur durch den Einfluss der niederländischen Malerei, aber auch durch die Schrift „Germania generalis“ von Conrad Celtis, in der der Wald nicht mehr als Wildnis und Ort der Gefahr beschrieben wurde, sondern als Ort der Freiheit und als Landschaft, die das Deutsche Reich gliederte. „Wilde Leute“, die im Wald wohnten, dienten als Vorbilder. Sie galten als ehrlich und einfach und ließen sich nicht durch weltliche Gegenstände ­beeinflussen. Die Zurückgezogenheit wurde als edel wahrgenommen, während Menschen in der Zivilisation verdorben seien. Der Wald wurde somit zu einem verklärten Ort. Zu dieser Zeit nahm auch die Rodung von Waldflächen zu, um den Rohstoff Holz für Bergbau und Hüttenwesen zu gewinnen. In der Malerei wurde der Wald weiterhin in Clair-obscur-Darstellungen von religiösen oder mythologischen Motiven eingesetzt. Während der Wald Dunkelheit brachte, symbolisierte die Lichtinszenierung Schutz und Behaustsein.

Religiöse, mythologische und allegorische Darstellungen wurden noch bis ins 17. Jahrhundert gemalt, doch langsam wurde der Bildtypus der Andacht verworfen. Dies zeigen Albrecht Dürers Grafiken oder Arbeiten der Donauschule, wie „Donaulandschaft mit Schloss Wörth“ von Albrecht Altdorfer, das als erstes ­reines Landschaftsgemälde angesehen wird, da es ohne menschliche Staffage auskommt. Obwohl oft noch kleine Menschenfiguren in die Landschaft integriert wurden, erscheint der Wald nun selbstständig und damit als kunstwürdig. Er wurde immer individueller dargestellt und löste sich von seinen Konnotationen als Wildnis oder Paradies. Als Alternative zur Stadt und zum Alltag erhielt er eine neue Bedeutung, was sich im 17. Jahrhundert in der ­Genremalerei des Waldstilllebens manifestierte. Dennoch wurde der Wald immer noch nur andeutungsweise in Form von Waldausschnitten abgebildet.

Der Wald als Sehnsuchts- und Rückzugsort

Kirche und Monarchien verloren durch die Säkularisierung Europas, die Aufklärung und Revolutionen an Einfluss, neue Bild­inhalte wurden in Auftrag gegeben. Die Natur erfuhr dadurch eine Aufwertung, ebenso durch die Industrialisierung. Diese trieb, da der Kulturraum immer mehr in die Naturwelt hineingriff, die Vorstellung vom Wald als idyllischem Kraft- und Erholungsort voran. Allerdings wurde der Wald noch nicht als eigenständiger Naturraum gezeigt, wie Bildtitel wie „Landschaft mit Wald“ oder „Waldige Landschaft“ verraten. Vielmehr wurden einzelne Aspekte als Skizzen und Notizen festgehalten und im Atelier neu zusammengestellt. Doch der Unterschied war, dass nun die situativen Bedingungen und die persönliche Erfahrung im Wald, das Naturempfinden, mit ins Werk einflossen. Diese Erfahrungen sollten genau und logisch wiedergegeben werden und eine ideale Landschaft abbilden. Die vielfältige „Epoche“ der Romantik brachte somit subjektive Gefühle mit ein und löste die kompositorischen und perspektivischen Ordnungen auf, wie etwa Caspar David Friedrichs „Der Chasseur im Walde“ (1814). Die Natur wurde mit Symbolik aufgeladen und als Sehnsuchts- und Rückzugsort für die Seele erhöht. Diese Romantisierung erweckte auch Nationsgefühle und förderte ein Identitätsbewusstsein, wobei der Wald als Ursprung der „Deutschen“ verstanden wurde. Dies beeinflusste die spätere nationalsozialistische Kunst, welche eine realistische Darstellungsweise in klassizistischer Manier anstrebte, begleitet von einem idyllischen Charakter.

Im späten 19. Jahrhundert rückt der Wald als Bildmotiv in den Mittelpunkt. Durch die Freiluftmalerei wurde die Natur als alleinstehender, kunstwürdiger Gegenstand und als Erfahrungsraum wichtig, etwa bei William Turner. Gehwege machten den Wald nun zugänglich, wodurch markante Stellen wie bestimmte Höhlen, Gruppen von Eichen, Schluchten oder Lichtungen gemalt werden konnten. Entsprechend stand die Atmosphäre, die in den Tiefen des Waldes vorherrschte, im Fokus. Deutlich wird dies in den Bildtiteln, die nun „Waldrand“ oder „Lichtung im Wald“ lauteten. Der Mensch und seine Behausungen verschwanden aus den Darstellungen, wodurch ein Kontrast zur industrialisierten, technisierten Stadt entstand und ein Rück­bezug zur „Urtümlichkeit“ geschaffen wurde. Die Landschaftsdarstellungen standen damit im Spannungsfeld zwischen dem Fortschritt der Malerei und dem eigenen Wohlbefinden. Die flüchtige Form der Malerei fand im Impressionismus ihren Höhepunkt. Ihre Befreiung erzeugte neue Vorstellungen vom Wesen der Dinge, woraus sich eine breite ­Palette an avantgardistischen Bewegungen entwickelte und der Wald sich schließlich von einer analytischen oder natura­listischen Wiedergabe löste, so etwa bei Künstlern wie Max Ernst oder Ernst Ludwig Kirchner. Im Vordergrund standen Form, Farbe, ­Bewegung, Ansichtsmöglichkeiten und Eindrücke. Ein Werk, das den veränderten Wert des Waldes und den schonungslosen Eingriff des Menschen darstellt, ist Hodlers „Holzfäller“ (1910), dessen Axthieb die menschliche Willensstärke und Kraft ausdrückt.

Neue Ausdrucksformen in der Moderne

In den 1960er Jahren kam der Minimalismus auf. Nun wurde mithilfe symbolstarker Materialien und Objekte, die an die Industrie und Holzverwendung ­gekoppelt sind, auf den Wald verwiesen. Beispiele sind Robert Smithsons „Dead Tree“ (1969), Giuseppe Penones „Ripetere il bosco“ (dt. „Den Wald wiederholen“), aber auch Fotografien und Filme wie Nancy Holts „Pine Barrens: Trees“ (1975). Auffallend sind die abgeholzten Bäume, die reduzierten Äste ohne Blätter, die als „tote“ Materie in einem Raum oder in der kargen Landschaft stehen. Der Mensch nimmt sich, was er braucht. Entsprechend wird der Wald als Ressource und kapitalbringendes Gut abgebildet. Auch Beverly Buchanans Hausskulpturen ab den 1980er Jahren, „Shacks“ (dt. „Hütten“) genannt, funktionieren durch den Verweis. Durch den Rohstoff Holz, aus dem die einfachen amerikanischen Südstaaten-Behausungen sind, erinnern sie an das Wohnen in Holz generell, denn der Mensch nutzt das Material dafür bereits seit über 10.000 Jahren. Zugleich machen sie auch auf reale sozialpolitische Zustände aufmerksam. Joseph Beuys setzte sich mit ­dem Lebensraum mittels Aktionskunst auseinander. Er nutzte die Öffentlichkeit, um die unscharfen Grenzen von Kunst und Politik zu betonen und seine Sorgen für die Umwelt auszusprechen.

So wurden bei der Performance „7.000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ an der documenta 7 in Kassel (1982) 7.000 Bäume angepflanzt, um auf die kapitalistischen Verände­rungen aufmerksam und das Stadtbild wieder grüner zu machen.

Der Wald im Zeitalter des Anthropozäns

In der jüngsten Kunst ist der Einfluss der Globalisierung und Urbanisierung Thema, denn obschon der Wald regional geprägt ist, ist sein Erhalt in Anbetracht der Klimaerwärmung eine weltweite Angelegenheit. Klaus Littmann platzierte 2019 inmitten des Wörthersee-Fußballstadions in Klagenfurt einen ganzen Wald und bezog sich damit auf eine Zeichnung von Elmar Peintner von 1970/71. Die Intervention „For Forest – Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ stellte ein Memorial der Natur im Anthropozän dar und blieb fünfzig Tage stehen. Dadurch rückte der Wald klar und deutlich ins Blickfeld und somit auch unsere Vertrautheit und Verbundenheit mit ihm. Das Projekt rief den Betrachter:innen neben der Schönheit des Waldes auch dessen Bedeutung für uns und den Einfluss des Klimas ins Bewusstsein – und damit auch die Angst vor seinem Verlust.

Den Einfluss der Technisierung auf den Wald und unsere Wahrnehmungsgewohnheiten zeigte Pipilotti Rist in der Videoinstallation „Pixelwald“ (2016). Über 300 LED-Lichterketten hingen von der Decke, begleitet von Musik und Naturgeräu­schen. Die Lichter erzeugten Assoziationen zur modernen Welt, die mit Lichtverschmutzung zu kämpfen hat. Zugleich versetzte Rist die Besuchenden in einen märchenhaften Zustand und verwies auf den Wald als Ort, der in Märchen ebenso oft von Schrecken wie von Magie geprägt wird.

Ein Projekt, das sich für die Natur engagierte, war eine Zusammenarbeit des visuellen Gestalters Benjamin Kunz mit Pro Natura Basel. Die Arbeit war 2022 als Plakatausstellung in ganz Basel unter dem Titel „Urbane Paradise – Wildnis in der Stadt“ zu bestaunen und ließ uns unser Verhältnis zur Natur in Bezug zur Stadt reflektieren. Dabei betonen die Fotografien die Schönheit der Stadtwildnis und sensibilisieren zugleich für die Wichtigkeit von Naturschutz und Biodiversität. Die historischen Bedingungen des Waldes sind also nicht wegzudenken aus seiner Repräsentation in der Kunst, die uns dadurch das Verhältnis zwischen Natur und Mensch reflektieren lässt.


verfasst von

Yvonne Roos

ist Kunsthistorikerin und Germanistin und hat an den Universitäten Basel und Wien studiert. Zurzeit arbeitet sie bei art24, wo sie nebst Blogbeiträgen zur Kunstgeschichte auch in den ­ Bereichen Künstler:innenbetreuung und Provenienzforschung tätig ist. Sie kuratiert lokale Kunstausstellungen und lektoriert Ausstellungstexte.

Erschienen in

Zuschnitt 91
Wald und Holznutzung

Wald und Holznutzung im Spiegel der Zeit und im Kontext des Klimawandels

8,00 €

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Zuschnitt 91 - Wald und Holznutzung