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Modellvorhaben Bayern
Aus der ruhigen Nische des Experiments an die zugige Kante der landläufigen Praxis. Mietwohnungen in Holzsystembauweise. 1992-2000

1992 startete das bayerische Modellvorhaben »Mietwohnungen in Holzsystembauweise« und »Holzhäuser in amerikanischer Bauweise«. Ergebnis: Bewohner und Bauherren sind mit ihren Wohnanlagen zufrieden.

erschienen in
Zuschnitt 1 Wohnen im Holzstock, 1. Auflage Mai-Juni 2001
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Der öffentliche Anschub für die Holzsystembauweise hat sich in Bayern als sinnstiftend erwiesen. Sie hat zu neuer Variationsbreite im Wohnbau beigetragen, aber sie musste ihre Kriterien zuspitzen, um praktikabel zu sein. Sie ist trotzdem kein Selbstläufer geworden. Wichtige Erkenntnisfelder sind: die Abwägung des Standorts, die Akzeptanz bei den Zielgruppen, die Detailkultur, die industrielle Vorfertigung und die Baulogistik, der Preisvergleich mit dem Massivbau.

Ökonomische Dimension
Kosteneinsparungen im Wohnungsbau sind eine wichtige Voraussetzung, um erschwingliche Preise und Mieten zu erreichen. Relativ zum Einkommen haben sich die Kosten für das Wohnen seit Mitte der Fünfzigerjahre verdoppelt. Um diese Entwicklung zu bremsen und umzukehren, initiiert die bayerische Oberste Baubehörde Pilotprojekte des experimentellen Wohnungsbaus, um am gebauten Beispiel zukunftsfähige Wohnkonzepte und innovative Bauweisen zu erproben.

Ein 1989 begonnenes Sonderprogramm zum Bau von Aussiedlerunterkünften erbrachte erste Erkenntnisse zur Holzbauweise. Nach von der staatlichen Bauverwaltung entwickelten Typenplänen entstehen 7.600 Wohnungen in nicht unterkellerten Zweigeschoßern. Fertighausfirmen errichten diese einfach gehaltenen Bauten in Holzrahmenbauweise binnen eines halben Jahres. Die Bauwerkskosten liegen bei den günstigsten Projekten bei 1.350 DM je m² Wohnfläche.

1992 starteten die auf insgesamt 960 Wohnungen ausgelegten Modellvorhaben »Mietwohnungen in Holzsystembauweise« und »Holzhäuser in amerikanischer Bauweise«. Ziel war es, durch den Einsatz der vorfabrizierten Rahmenbauweise bzw. der amerikanischen »Platform frame«-Technik, durch eine kostenoptimierte Planung und durch »Komfortaustausch« Bauzeit und -kosten zu sparen, ohne dabei an Qualität zu verlieren. Als Obergrenze für die reinen Baukosten wurden 1.800 DM (etwa 12.600 Schilling) je m² Wohnfläche festgelegt, das war rund ein Drittel weniger, als die damals im sozialen Wohnungsbau üblichen Bauwerkskosten. Im Modellvorhaben sollten erstmals in Deutschland drei- und viergeschoßige Wohnhäuser in Holzbauweise entstehen, um eine für den Mietwohnungsbau wirtschaftlich sinnvolle Verdichtung zu ermöglichen.

Organisation des Modellvorhabens
Zunächst suchte die Oberste Baubehörde Wohnungsunternehmen, die bereit waren, Pionierarbeit zu leisten. Bedarf an Sozialmietwohnungen musste bestehen und die jeweilige Gemeinde bereit sein, das Projekt im Rahmen ihrer Planungshoheit mitzutragen. Der Freistaat Bayern stellte für die Förderung der Modellvorhaben insgesamt 66 Millionen DM (etwa 462 Millionen Schilling) aus einem Sonderkontingent des sozialen Wohnungsbaus bereit. Aus einer großen Anzahl an Bewerbungen wurden 23 Grundstücke in ganz Bayern ausgewählt. An zwei weiteren Standorten sollte die amerikanische Holzbautechnik erprobt werden.

Die Förderung galt bei den Bauherren als attraktiv, die Anforderungen des Programms waren aber auch in Bezug auf die Bauherrenleistungen anspruchsvoll. Neun im Holzbau erfahrene Architekturbüros wurden zu einem Plangutachten eingeladen, in dem sie Haustypen mit einem differenzierten Wohnungsangebot ausarbeiten sollten, die auf mehreren der vorgesehenen Grundstücke wirtschaftlich zu realisieren waren. Die Bauherren wählten fünf Architekturbüros zur Realisierung aus - drei aus Bayern, eines aus Österreich und eines aus Dänemark.

Alle Planungen wurden von Fachingenieuren für die Tragwerksplanung und für den Brand-, Schall-, Feuchte- und Wärmeschutz begleitet. So konnten entgegen anfänglicher Befürchtungen alle für den Wohnungsbau einschlägigen Vorgaben eingehalten, zumeist sogar übererfüllt werden. Die Rolle der Obersten Baubehörde war über die des Initiators und Geldgebers hinaus während der gesamten Planungs- und Realisierungsphase der Projekte die eines Begleiters, Vermittlers, Ermutigers, aber auch Qualitätssicherers.

Baurechtliche Vorgaben
Dreigeschoßige Wohnbauten sind nach der bayerischen Bauordnung in Holzbauweise zulässig. Für Gebäude von geringerer Höhe ist eine feuerhemmende Bauweise ausreichend, die mit herkömmlichen Holzkonstruktionen ohne großen Aufwand erreicht werden kann. Einen Sonderfall stellen dagegen die viergeschoßigen Modellvorhaben in amerikanischer Bauweise dar, weil sie in feuerbeständiger Bauweise zu errichten und somit nicht mehr als Holzsystembau möglich gewesen wären.

Um dennoch erstmals ein viergeschoßiges Holzhaus abweichend von den Vorschriften verwirklichen zu können, wurde der Artikel 77 der bayerischen Bauordnung herangezogen, der Abweichungen von den bauaufsichtlichen Anforderungen zulässt, wenn die Sicherheit durch gleichwertige andere Lösungen erreicht wird. Als Ersatzmaßnahme für die unzureichende Feuerwiderstandsdauer wurden dem US - Standard entsprechend die Rettungswege verbessert und Sprinkler installiert, die einen eventuellen Brand bereits in der Entstehungsphase löschen. Einen Schritt weiter ging ein Vorhaben in Ingolstadt, das der Prototyp eines viergeschoßigen Hauses ohne Sprinklerung ist. Dort wurde die Abweichung von der bayerischen Bauordnung im Wesentlichen durch Stahlbeton-Treppenhäuser, einen zusätzlichen Rettungsweg und die F 90-Verkleidung der Holzkonstruktion erreicht.

Baukonstruktive Aspekte
Moderner Holzbau ist Hightechbauweise mit einem ökologischen, nachhaltigen Baustoff. Für die meisten der 23 Modellprojekte wurden flexible und robuste Bausysteme der vorgefertigten Rahmenbauweise verwendet. Im Laufe des Modellvorhabens wurden diese optimiert und es kamen auch neuartige Methoden der Holzanwendung zum Einsatz, wie Holz-Beton-Verbunddecken oder die neu entwickelte Dickholz- und Brettstapelbauweise. Viele Holzbaufirmen haben Aufträge aus dem Modellvorhaben zum Anlass genommen, in cad, in hochmoderne Fertigungsanlagen und -straßen zu investieren: Eine Entscheidung, die den Firmen heute einen Wettbewerbsvorteil auf dem wachsenden Holzbaumarkt bietet.

Soziale Qualitäten der Wohnanlagen
Die Aufgabe der Architekten beschränkte sich bei den Modellvorhaben keineswegs auf die Rolle von »Discountern«, die mit allen Mitteln versuchen sollten, Kosten zu sparen: Gefordert waren identitätsstiftende Siedlungen und Häuser, in denen sich die Bewohner heimisch fühlen. Die Wohnungen besitzen einen hohen Wohnwert, sie sind insbesondere auf die Belange von Familien mit Kindern ausgelegt. Viele Wohnungen sind barrierefrei erschlossen. Das Wohnumfeld bietet neben privaten Gärten vielfältige Möglichkeiten gemeinschaftlicher Nutzungen, beispielsweise in Gemeinschaftshäusern oder -räumen.

Baukulturelle Verpflichtung
Gerade die »Wohnmodelle«, die Vorbildcharakter haben sollen, dürfen sich nicht in der Banalität des Normalen erschöpfen. Einfach und doch gut zu bauen ist alles andere als einfach. Architekten und Holzbauer haben nicht nur bei den technischen Aspekten Grundlagenarbeit für das Experiment geleistet, sie konnten auch in gestalterischer Hinsicht durch die Zurücknahme von »nervöser« Vielgestaltigkeit und durch den Verzicht auf kurzlebiges modisches Beiwerk eine Ästhetik der Sparsamkeit einläuten, die von Außenstehenden leider bisweilen als Frontalangriff auf den gefälligen Durchschnitt empfunden wird.

Fazit und Ausblick

Der Großteil der in dem bayerischen Modellvorhaben entstandenen Häuser wurde in den Jahren 1995 bis 1998 fertig gestellt, so dass inzwischen Erfahrungen mit den Pilotprojekten vorliegen. Das Kostenziel wurde, Baukostensteigerungen eingerechnet, erreicht: Der bayerische Oberste Rechnungshof hat bei reinen Baukosten von 1.670 bis 2.165 DM durchschnittlich 1.867 DM (also rund 13.069 Schilling) je m² Wohnfläche festgestellt.

Bewohner und Bauherren sind mit ihren Wohnanlagen bis auf wenige Ausnahmen, die aber nichts mit dem Baustoff an sich zu tun haben, zufrieden. Dies wurde auch in einer Nachuntersuchung festgestellt, die die Oberste Baubehörde im Jahr 2000 erarbeiten ließ. Bei dieser positiven Bilanz ist es erstaunlich, dass der Holzbau zwar deutlich aus der Nische des Experiments herausgetreten ist, den breiten Durchbruch aber noch nicht geschafft hat. Mit rund 15.000 Wohneinheiten pro Jahr hat das deutsche Zimmererhandwerk seinen Marktanteil bei den Ein- und Zweifamilienhäusern zwar binnen weniger Jahre von unter einem Prozent auf heute acht Prozent gesteigert. Mehrfamilienhäuser werden aber nur vereinzelt in reiner Holzbauweise realisiert.

Erfreulich ist, dass der Baustoff Holz für das »große Bauen« wieder entdeckt wurde: Das Expo-Dach von Herzog. Natterer hat Millionen Besucher der Expo 2000 Hannover begeistert. Obwohl dem Baustoff Holz in Deutschland leider immer noch zu viel Indifferenz entgegenschlägt, die auf längst überholten Vorurteilen beruht, ist der Holzbau auf dem Weg, sich seinen Platz im Konzert der Baustoffe zu sichern. Je mehr Holzhäuser gebaut werden und je mehr Erfahrungen vorliegen, desto schneller werden die Vorzüge des Holzbaus wahrgenommen werden. Dies insbesondere dann, wenn ökologische Gesichtspunkte beim Bauen mehr an Gewicht gewinnen.

23 Bauten im Modellvorhaben

»Mietwohnungen in Holzsystembauweise«

Aich - Friedberg 1996, 55 WE
Arch. Schröder +Widmann
Elsenfeld 1996, 15 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann
Erlangen - Büchenbach 1995, 33 WE
Arch.Tegnestuen Vandkunsten
Erlenbach 1996, 33 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann
Ingolstadt 1996, 17 WE
Arch. Ebe + Ebe
Ingolstadt 1994, 132 WE
Arch. Schröder + Widmann
Ingolstadt 2000, 26 WE
Arch. Tegnestuen Vandkunsten
Mainleus 1995, 25 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann
Marktredwitz 1997, 27 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann
Mellrichstadt 1997, 18 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann
München- Alt - Perlach 1999 28 WE
Arch.Meyer-Sternberg
Neudrossenfeld 1996 10 WE
Arch. Tegnestuen Vandkunsten
Nürnberg -Langwasser 1995 30 WE
Arch. Tegnestuen Vandkunsten
Ochsenfurt 1997, 12 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann
Olching 1997, 27 WE
Arch. Widmann
Regensburg 1996, 16 WE
Arch. Fink + Jocher
Rödental - Spittelstein 1996, 44 WE
Arch.Tegnestuen Vandkunsten
Schwabach 1994, 56 WE
Arch.Riess
Schweinfurt 1998, 40 WE
Arch. Riess
Sulzbach -Rosenberg 1995 36 WE
Arch. Fink + Jocher
Waldkraiburg 1996, 30 WE
Arch. Riess
Weitnau 1994, 24 WE
Arch. Fink + Jocher
Würzburg - Lengfeld 1996 48 WE
Arch. Grellmann, Leitl, Kriebel, Teichmann


verfasst von

Karin Sandeck

  • Baudirektorin, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, München

Erschienen in

Zuschnitt 1
Wohnen im Holzstock

Wer den Holzwohnbau propagiert, will mit Qualitäten überzeugen: leicht statt schwer, trocken statt nass, schnell statt langsam! Aber letztlich auch sagen: preiswert statt billig, absehbar statt ewig, sein statt scheinen. Das Modellvorhaben in Bayern und hochwertige Bauten in Österreich belegen: die erste Generation der Mehrgeschoßer hat die Bewährungsprobe bestanden. Zum Durchbruch braucht es einen Reformschub bei der Rationalisierung des Holzbaus und bei der Information über Holz.

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Zuschnitt 1 - Wohnen im Holzstock