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beim "sidewalk"
Tadashi Kawamatas zeitgebundene Irritation

Das Material des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata ist Holz: altes, bereits gebrauchtes Holz, mit Spuren der Verwendung und des Verfalls.

erschienen in
Zuschnitt 4 Holzaltern, Dezember 2001 - Februar 2002
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beim »sidewalk«

So wie Konstruktivismus und Objektkunst wesentliche Elemente der zeitgenössischen Kunst sind, so ist es die Unbekümmertheit im Umgang mit Materialien. Alles und jedes wird verwendet, und seit den Collagen der Kubisten und dem Urinoir von Marcel Duchamp kann alles zu einem künstlerischen Produkt werden: der Müllplatz wird zum Materialienreservoir und Alltagsgegenstände werden zu Kunst. Der Künstler ist zum Herausforderer geworden, dem es um eine andere Wirklichkeit geht, um eine veränderte Perspektive in Inhalt und Form. Auch Tadashi Kawamata geht es um jene veränderte Perspektive, die sich allemal dort einstellt, wo ein neuer Blick gefordert ist, der gleichermaßen Störung wie Neuorientierung ist. Sein Material ist Holz, aber nicht der sorgsam ausgesuchte Stamm oder das edle Brett, sondern altes, bereits gebrauchtes Holz, benutzt und weggeworfen, mit Spuren der Verwendung und des Verfalls.

Schon seine ersten Objekte in Japan (1979 - 84) fielen auf, aber seit den Arbeiten in New York (1985 - 86), Den Haag (1986), vor allem seit der Documenta 1987 - um nur einige Stationen seiner weltumspannenden Projekte zu erwähnen - gehört der Künstler zur Avantgarde, thematisch vergleichbar etwa mit Christo, dem es mit seinen Verpackungen ebenfalls um die temporäre Veränderung eines Ortes geht. Die Herausforderung stellt sich für Tadashi Kawamata in der Stadt oder an ihren Randgebieten, wobei es ihm wichtig ist, die Bedeutung einer Gegend, ihre geschichtliche und gegenwärtige Situation zu erfahren. 1995 war in Wien im Rahmen der Festwochen in der Remise eine Installation zu sehen. 1996 wurde er eingeladen, in Wiener Neustadt auf dem Hauptplatz, der gerade umgebaut wurde, ein Projekt zu entwickeln. Mit Einfühlungsvermögen, Improvisationstalent und Präzision errichtete er den »sidewalk«, eine ebenso raffinierte wie einfache Holzkonstruktion: eine Rampe und Treppen führten 4,5 Meter hoch über den Platz zu einem 250m langen Holzweg, rund um ein Haus, das in der Mitte des Platzes steht.

Der »sidewalk« bot Überblick und neue Perspektive, man konnte schauen, spazieren gehen, diskutieren, der Weg wurde zum Teil der Stadt und doch abgehoben vom alltäglichen Geschehen auf dem Markt und der Baustelle. Tadashi Kawamata liebt Bauplatzprojekte mit Altholz, er will sie als »endlosen Kreislauf von Abbau und Aufbau darstellen«, als eine Art »stirb und werde« in der Architektur. Das Wiener Neustädter Projekt war zwar - wie alle seine Arbeiten - eine temporäre Installation, sie bot aber auch die Erfahrung einer veränderten Sicht und bleibt als Erkenntnis im Gedächtnis der Menschen haften, als ein neuer Zugang zum Thema Stadt. Jede künstlerische Idee ist ein Prozess und Kawamata will, dass sie öffentlich realisiert wird, das Publikum zuschauen und Fragen stellen kann. Fragen nach der Konstruktion, aber auch, was denn an dieser Installation Kunst ist, es sei doch eigentlich nur Tischler- und Zimmermannsarbeit.

Die Erfahrung des Künstlers ist, dass »Leute entweder künstlerische Äußerungen mögen oder nicht. Meine Arbeit ist ja sehr persönlich und hat etwas mit meinen Gefühlen und Empfindungen zu tun und mit einer sensiblen Reflexion auf die städtische Situation, in der ich etwas konstruiere«. Deshalb braucht er das Publikum als Partner, er will wissen, wie erlebt es die Stadt durch die Veränderung. Wenn etwas akzeptiert wird, dann ist es Teil des Selbstverständnisses und der Künstler kann darauf hoffen, dass das Beobachten von künstlerischen Aktionen, das Nachdenken über Zusammenhänge und das Erkennen von ästhetischen Aussagen auch Bewusstseinsprozesse auslöst.

Tadashi Kawamata

1953 geboren in Hokkaido/Japan, lebt in Tokyo. Beschäftigung mit dem Raum, zunächst Innengestaltungen, seit den 70er Jahren vor allem temporäre Installationen im urbanen Raum und in Randgebieten von Städten. Seine Konstruktionen baut er aus gebrauchtem Holz.

Projekte (Auswahl)

  • 1979 »By Land« Riverside, Tachikawa
  • 1984 Under Construction, Tokyo
  • 1985 Limelight Project, New York
  • 1986 Construction Site Project »SPUI«, Den Haag
  • 1987 Destroyed Church, Kassel
  • 1988 »Hien-So«, Kyoto
  • 1989 Colonial Tavern Park, Toronto
  • 1991 Favela in Houston, Houston
  • 1992 Peoples' Garden, Kassel Passagio, Prato
  • 1993 Prefabrication, Hiroschima
  • 1995 Tram Passage, Wien
  • 1996 »sidewalk«, Wiener Neustadt
  • 1997 »reflecting pool« Felsenbad Hotel Castell Zuoz, Zuoz
  • 1998 Garden Sheds, Sydney
  • 2000 Work in Progress: Project in Toyota City Lodging London, London
  • 2001 Lodging Tokyo, Haneda, Tokyo


verfasst von

Angelica Bäumer

  • geboren 1932 in Frankfurt am Main
  • Studium der Musik, Kunstgeschichte und Architektur
  • langjährige Mitarbeiterin beim österreichischen Rundfunk und Fernsehen
  • Autorin zahlreicher Kataloge und Monografien

Erschienen in

Zuschnitt 4
Holzaltern

Was dem Architekten gewollte Ästhetik ist - die natürliche Holzalterung - ist dem Bauherren oftmals ein unakzeptabler Effekt. Übermächtig belegt mit einer Barackensemantik wird das Vergrauen zum Grauen. Holz lebt aber, es altert und zeigt, der Witterung ausgesetzt, schon bald Veränderungen in der Materialstruktur oder an den Schutzstoffen. Nur sachgemäße Planung, die Verwendung geeigneter Materialien und sorgfältige Ausführung von Holzbauten lässt die Alterung von Fassaden zu einem kontrollierten Prozess werden. Mit geringem Unterhalt und - durch Patina veredelt - zusätzlicher Qualität.

8,00 €

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Zuschnitt 4 - Holzaltern