In wenigen Wochen ist es wieder soweit: An überbordenden und proteingeschwängerten Festtafeln begehen wir erneut unseren archaischen Vegetationskult, in dessen Mittelpunkt jener ominöse Zauberbaum aus österreichischen Wäldern steht. Freilich, wen erinnern Truthahn oder Karpfen noch daran, dass wir hier ein Opfer zur Umkehrung des Todes in eine neue Geburt zu Ehren des Saatgottes inszenieren? Wer denkt beim Anblick der drei Könige vor der Plastikkrippe noch an ihre Eigenschaft als Sterndeuter und wer vermutet beim Anbrennen der Wunderkerzen einen Rückfall in astralkultische Gewohnheiten, mit denen wir den anlässlich der Wintersonnenwende lichtschwach gewordenen Gestirnen neue Kraft verleihen wollen?
Und verschweigen Sie Ihren Kindern besser, dass die Beschenkung der Kleinen auf die Bräuche des Unschuldigkindleinstages zurückzuführen ist, jene saturnalische Praxis der Klöster nämlich, einen Kinderbischof zu ernennen, der an diesem Tage die Herrschaft über Schule, Kinder und Klöster übernahm und mit kindlichem Gefolge die Gaben wie eine Steuer eintreiben durfte. Denn diese Bescherung war symbolisch als Entschädigung für den großen Kindsmord gedacht, der im Matthäusevangelium beschrieben wird und von dem Befehl des Herodes zur Ermordung aller kleinen Kinder Bethlehems handelt, so dass die heilige Familie zur Flucht nach Ägypten gezwungen wurde. Dieser Umzug des Kinderbischofs wurde übrigens im 13. Jahrhundert auf das Nikolofest am 6. Dezember verschoben und er selbst endete im 19. Jahrhundert in der Gestalt des Weihnachtsmannes auf einem Rentierschlitten. Angesichts der modernen Praxis des Feierns wird man ohnehin wieder an die alte Tradition der römischen Saturnalien erinnert, die am 17. Dezember begannen und am 24. Dezember den Höhepunkt erreichten. Denn im Zeichen einer »verkehrten Welt« und zweifellos im Sinne der alten Kultpraxis wird nun als Kontrastprogramm zur Familienidylle am 24. Dezember in der Disco bei Techno, Hip Hop und DJ- Music abgefeiert.
Und wenn Sie nach Vorbereitungsstress und Fressanfällen planmäßig in eine Weihnachtsdepression verfallen, so schlage ich zwei Erklärungsmodelle vor. Menschen mit Naturnähe und alpiner Neigung empfehle ich eine Theorie von der unheimlichsten Zeit des Jahres: Denn wenn die wilde Jagd und ihre Toten durch die Dörfer rasen und die Seelen der verstorbenen Kinder auf den Friedhöfen irrlichtern, so kann dies nicht ohne Wirkung bleiben. Urbane Typen mit Neigung zur forcierten Selbsterfahrung seien daran erinnert, dass die Melancholie immer schon im Zeichen des Saturn stand und es sei ihnen die Lektüre der entsprechenden Schriften des Neoplatonikers Marsilio Ficino angeraten.
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