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Der Bürgerthron im Garten

Gartenästhetik: Mit dem Frühjahr kommt alljährlich die wiederkehrende Erweiterung des Wohnzimmers in den Garten, die auch in österreichischen Breiten trotz klimatischer Einschränkungen nicht aufzuhalten ist.

erschienen in
Zuschnitt 10 Werkhalle Holz, Juli - September 2003
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Mit dem Frühjahr kommt alljährlich die wiederkehrende Erweiterung des Wohnzimmers in den Garten, die auch in österreichischen Breiten trotz klimatischer Einschränkungen bei permanent zunehmendem Haus- und Gartenbesitz nicht aufzuhalten ist. Diese in der Tendenz durchaus erfreuliche Entwicklung ist mit einem unübersehbaren Haken verbunden, nämlich einer recht grausamen halböffentlichen Darstellung der jeweiligen privaten Gartenästhetik, der auch der unbeteiligte Spaziergänger unbarmherzig ausgesetzt wird. Zudem bestehen gewisse dunkle Zusammenhänge zwischen der Art der Gartengestaltung und der Form der Bestuhlung und sonstigen Möblierung, die den ästhetisch informierten Passanten bei mangelnder Abgebrühtheit zum Schluchzen bringen könnte.

In einem groben Missverständnis von Repräsentation handeln die Leute nach dem Modell Louis XIV, des Sonnenkönigs, der sein Versailles und den von Le Notre angelegten Schlosspark lediglich als eine Einrahmung seines royalen, mithin auch numinosen Körpers verstand. Analog dazu residieren auch zahllose zeitgenössische Gartenbesitzer inmitten der Gartenfülle auf ihren Freizeitthronen als eine Geste der Selbstkrönung in der parzellierten Natur. Zur Überbietung der Nachbarn werden nur Möbel mit dem Maximum an vermuteten Gartenthronqualitäten auf den Rasen gestellt. Es gab Zeiten, da man etwa in Wiener Kleingartensiedlungen noch eine gewisse Noblesse der Einfachheit durch anonyme, simple und unprätentiöse Holzmöbel beobachten konnte und damit quasi der Beweis einer möglichen Vereinbarung von proletarischer Existenz und aristokratischem Ausdruck erbracht wurde. Der soziale Aufstieg und die damit verbundene Chance zur Distinktion unter intensiver Nutzung des demokratischen Grundrechtes auf schlechten Geschmack erhöhte allerdings die Nachfrage nach repräsentationstauglichen Objekten mit den vermeintlich notwendigen Eigenschaftsprofilen des Massigen, Klobigen und Rustikalen, ergänzt durch den floralen Kuschelpolster mit Nässetauglichkeit.

Neben der Demonstration des Königreichs der Parzelle gilt es auch nachhaltig und öffentlich seine Begabung zur Bequemlichkeit zur Schau zu stellen, um nicht in den Verdacht mangelnder hedonistischer Begabung zu geraten. Derlei ist in einem katholischen Land immer noch mit Prestigeverlusten verbunden und so ist heute selbst die wachsende Schar der Asketen zu hedonistischer Tarnung gezwungen. Daran wäre übrigens ein Gestaltungsaufruf für Designer anzuschließen, die dem Gartenmöbel merkwürdigerweise immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit
widmen, was angesichts der Überfülle an sonstigen Möbelentwürfen erstaunlich ist.


verfasst von

Manfred Russo

Kultursoziologe und Stadtforscher. Er war zuletzt Professor an der Bauhaus-Universität Weimar. Langjährige Lehrtätigkeit an der Universität Wien und anderen Hochschulen, im Vorstand der ÖGFA, Sprecher Sektion Stadtforschung der österreichischen Gesellschaft für Soziologie, zahlreiche Studien und Ver­öffentlichungen zum Thema Stadt, zuletzt: Projekt Stadt. Eine Geschichte der Urbanität, 2016 bei Birkhäuser.

Erschienen in

Zuschnitt 10
Werkhalle Holz

Nicht nur holzverarbeitende Betriebe errichten ihre Werkstätten in Holz. Es hat sich längst herumgesprochen: Lichterfüllte Produktionshallen und Gewerbebauten mit neuen, experimentellen Holzkonstruktionen schaffen nicht nur ein gutes Arbeits- und Sozialklima, sondern auch hervorragende Energie- und Ökologiewerte. Ihre hohe Leistungsfähigkeit gegenüber anderen Materialien können sie längst beweisen.

6,00 €

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Zuschnitt 10 - Werkhalle Holz