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Rachel Whiteread

Rachel Whiteread gehört zu jener Generation britischer Künstler, die in den neunziger Jahren die Gesellschaft polarisierten. „Felt Floor“ ist ein Filzboden, der in einem sehr komplexen Verfahren die Oberflächentextur von Kiefernholz angenommen hat.

erschienen in
Zuschnitt 15 Lauf Meter, September 2004
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Rachel Whiteread - United (Felt Floor), 1997

Rachel Whiteread, geboren 1963, gehört zu jener Generation von britischen Künstlern (kurz YBA genannt), die in den neunziger Jahren, von London ausgehend, die Gesellschaft quer durch alle Lager polarisierten. Ihr erster großer Erfolg war die 1993 im Londoner East End realisierte Außenarbeit »House«, für die ihr, als erster weiblicher Künstlerin noch im gleichen Jahr der renommierte und prestigeträchtige Turner-Preis zugesprochen wurde. In dieser Arbeit ist bereits jenes Vokabular zu finden, das als sublime reflexive Formensprache in allen Werken von Rachel Whiteread angewendet wird. »House« war ein von innen nach außen funktionierender Negativabdruck der Innenwände eines viktorianischen Wohnhauses, gegossen in Beton. Dabei sind das Öffentlich-Machen des Innenlebens dieses Hauses und ein gleichzeitiges Transformieren zu einer Art Außenhaut zentrale Momente der Arbeit.

Das Sichtbarmachen einer lebendigen Textur, die sich aus Ritzen, Abschürfungen oder baulichen Eingriffen ergibt, ist eng mit dem Menschen verbunden und wichtiges Thema in den Arbeiten von Rachel Whiteread. Der 1997 im Auftrag von »The Fabric Workshop and Museum«, Philadelphia entstandene »Felt Floor« ist eine logische Fortsetzung des Umgangs mit Oberfläche als Indikator für die von den Menschen vergessenen Bereiche des alltäglichen Lebens sowie des kollektiven Gedächtnisses. Holz als Speichermedium von Umwelteinflüssen und Synonym für Dauerhaftigkeit kommt hierbei auch als Archiv von Wissen, das über Jahrhunderte und Jahrtausende gesammelt wurde, eine fast zwingende Rolle zu.

»Felt Floor« ist ein Filzboden, der in einem sehr komplexen Verfahren die Oberflächentextur von Kiefernholz angenommen hat, wobei es sich auch hier um einen Negativabdruck handelt, der verborgene Strukturen sichtbar macht. Rachel Whiteread arbeitete bei diesem »Floorpiece« eng mit einem Tischler zusammen, der den 2,7 x 4,1m großen Holzboden in sechs Abschnitte unterteilte. Jede dieser sechs Holzkomponenten wurde dabei sandgestrahlt, um Maserung und Textur verstärkt herauszuarbeiten und dem Holzboden eine Patina zu verleihen. Im nächsten Schritt wurde ein Kautschuk-Negativabdruck von jedem einzelnen Holzabschnitt angefertigt. Dieses Material war aus Gründen der Biegsamkeit notwendig, da darnach ein Sandnegativabdruck gemacht werden musste. Die daraus resultierende Textur im feuchten Sand wurde mit Bronze ausgegossen, um den letzten und endgültigen Positivabdruck aus Metall zu gewinnen. Abschließend wurden diese sechs Bronzeplatten aneinandergefügt, auf 235° erhitzt und unter einem Druck von 2,5 Tonnen auf einen in Harz getränkten Filz gepresst. Dabei brannten die Bronzeplatten die Holzmaserung in den Filz hinein und dort den Negativabdruck eines Kiefernbodens.

Böden sind für Rachel Whiteread neben anderen alltäglichen Gebrauchsgegenständen ein wichtiges Medium, um Verborgenes aufzuzeigen und für den Betrachter sichtbar zu machen. Holz ist dabei ein Werkstoff, der oft in den Arbeiten von Rachel Whiteread zu sehen ist, wenn auch hautsächlich in Form von Negativabdrücken, die in ein anderes Medium übertragen werden. Es sind die versteckten Räume, wie in diesem Fall zwischen Oberfläche und Untergrund, die von Rachel Whiteread nach außen getragen werden, um die Wahrnehmung auf das vermeintlich Unwesentliche zu richten und das Vergessene zurück in das kollektive Gedächtnis zu holen.

Rachel Whiteread

1963 in London geboren
1982–85 Studium der Malerei am Brighton Polytechnic
1985 –87 Studium der Bildhauerei an der Slade School of Fine Art
1993 Turner Preis, Tate Gallery, London
1998 Ehrendoktorat des Brighton Polytechnic
Lebt und arbeitet in London

Einzelausstellungen (Auswahl)

  • 2000, Wien, Holocaust-Mahnmal
  • 1999, New York, Luhring Augustine Gallery
  • 1998, New York, Public Art Fund, Water Tower Project
  • 1997, Madrid Reina Sofia;
  • XLVII. Biennale di Venezia, British Pavilion; Philadelphia, The Fabric Workshop and Museum, Artist-In-Residence Program
  • 1996, London, Karsten Schubert LTD;
  • Liverpool, Tate Gallery, "Shedding Life"

verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator

Erschienen in

Zuschnitt 15
Lauf Meter

Wie viele Meter – oder Kilometer? – legen wir täglich zu Fuß zurück? Was nehmen wir dabei wahr, wie wirkt es sich auf uns aus? Der Boden aus Holz hat jedenfalls Steherqualität, ob im Bestand oder im Neubau, ob außen oder innen. Man kann ihn sehen, hören, riechen und vor allem fühlen – und immer, wenn es um unser Wohl-befinden geht, ist Holz fast schon ein Muss.

8,00 €

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Zuschnitt 15 - Lauf Meter