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Essay - Mischung, Mischbau, Mischkulanz ..?

erschienen in
Zuschnitt 17 Holz +, März 2005
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Wenn man über Mischung nachdenkt, kommt man zwangsläufig zum Begriff der Reinheit, und damit betritt man philosophischen, wenn nicht gar ideologischen Boden. Ich vermute, Reinheit ist, abgesehen vom bayerischen Reinheitsgebot beim Bier, eine Entdeckung der Moderne, also des neunzehnten Jahrhunderts.

Klassifizierungen, Unterscheidungen, Beschreibungen von Merkmalen, ob in der Zoologie oder in der Architektur, verleiten zur Reinheit. Die Moderne hat in ihrem wissenschaftlichen Radikalismus vermutlich nicht nur die Reinheit entdeckt, sondern sie auch zum Prinzip, zu einem ihrer Gesetze erhoben: Die Reinheit der Nationen, der Rassen, der Ethnien und Religionen und, natürlich auch, der Verwendung von Materialien. So führten die großen Entdeckungen des neunzehnten Jahrhunderts (nicht nur jene von Gregor Mendel) in die Katastrophen des zwanzigsten. Der ordnende Geist kennt keinen Spaß, ist auf Grund seiner schlichten Regelhaftigkeit immer intolerant, ausschließend, solchermaßen erkannte Ordnungsprinzipien sind eine todernste Angelegenheit. Und die Utopien der Reinheit sind heute noch virulent, gerade bei »hoffnungslos« vermischten Völkern, und Jugoslawien, so ist zu befürchten, wird nicht das letzte Beispiel gewesen sein. Man könnte also auch die Reinheit als den großen, katastrophalen Irrtum der Moderne bezeichnen.

Mischen hat mit Vermischen zu tun, und dem Mischling ist nach den Gesetzen der Reinheit nicht zu trauen. Warum? Er kann sich einfach nicht für die eine oder andere Reinheit entscheiden, er bleibt damit allen Reinheiten suspekt. Die Reinheit als absolute Qualität. Nur: Reiner Blödsinn ist auch rein.

In ästhetischen Bereichen, etwa in der Architektur, geht es zwar nicht so blutrünstig zu, aber nicht minder streng. Der »Sündenfall« begann vermutlich mit der Entdeckung der sogenannten anonymen Architektur, ein Widerspruch in sich selbst. Man entdeckte die Regeln des Bauens in Holz, Stein oder Lehm und vermutete (hinter der Armut) paradiesische Zustände. Die berühmte Not, die für den Ästheten zur Tugend wird. Der Zwang, nur in einem Material bauen zu müssen, provoziert handwerkliche Fähigkeiten, Erfindungskraft, ja Listen und Tricks. Die slowakischen Artikularkirchen, die Dörfer im rumänischen Karpatenbogen oder die norwegischen Stabkirchen (gar nicht zu reden von den japanischen Holzbauten) bringen den ästhetischen Blick zum Glänzen. Doch die Materialreinheit ist auch bei den klassischen Holzbauten ein visionäres Konstrukt: Es gibt auch bei ihnen Stein, Beton, Glas, Papier und Metall, und vor allem die Farbe. Zumindest gilt dies für bewohnbare Architektur.

Es ist ja nicht zu leugnen, dass Bauten in einem Material gerade vor dem Hintergrund der Fülle, der Opulenz oder Überstrapazierung und Vergeudung, ein wiederkehrender Traum des Architekten bleiben werden. Auch das Weglassen, das Ausreizen eines Baustoffs, seine sinnstiftende Allgegenwart ist oder kann eine hohe Kunst sein. Aber Venedig wird deshalb nicht untergehen. Und man kann darüber streiten, ob die Kombination verschiedenster Materialien nicht die noch »höhere«, weil komplexere Kunst ist, als die eindimensionale, unduldsame, in ihrer Selbstgerechtigkeit eines Werkstoffs. Man könnte auch behaupten, wenn sich die Einheit eines Materials an einem baulichen Thema »abarbeitet«, so entsteht eine Art von Harmonie, die ihren ästhetischen Seelenfrieden in sich selbst findet, im Glanz einer perfekten Dinglichkeit, die von nichts bedroht erscheint. Bei der Mischung von Materialien treten nicht nur technische, technologische (handwerkliche) Konflikte auf, sondern vor allem kulturelle. Jedes Material hat seine Geschichte, ist vielfältig »belastet«, ja kann zeitweise tabuisiert sein (etwa der römische Travertin oder die Solnhoferplatten nach 1945), so dass jede Mischung a priori Konflikt bedeutet. Gottfried Semper sah in der Form die Überwindung des Stofflichen, was auch den Stoffwechseltheorien neue Spielwiesen eröffnete. Damit wäre die Diskussion in der ihn überholenden Moderne eigentlich selbst schon überholt gewesen.

So gesehen war der Streit um die Materialgerechtigkeit im zwanzigsten Jahrhundert ein Rückfall, um nicht zu sagen ein Holzweg. Damit fiel ein ganzes Jahrhundert auf die Nase. Das Material will (das ist eine strafbare Behauptung), um all sein Können zu zeigen, zu entfalten, überlistet, betrogen, überfordert werden. Wo bleibt da die Gerechtigkeit, wenn plötzlich Holz wie Stein, Lack wie Marmor oder Kunststoff wie Holz erscheinen will? Wer hätte das gedacht: die ganze Materialgerechtigkeit eine Trickkiste?

Es gibt offenbar in unserer mitteleuropäischen Baugeschichte eine Kontinuität und das ist die lineare Koexistenz der Abwechslung: Auf die katholische Üppigkeit folgt protestantischer Purismus, auf Gegenreformationen der Materialien die Doktrin ihrer vernünftigen und sparsamen Verwendung, auf Fülle und Opulenz Sparsamkeit und Reduktion. Flut und Ebbe haben ihre kosmische Konstanz im Wechsel. Sag mir keiner, die Wahrheit liegt diesmal in der Mitte. Das sicher nicht.


verfasst von

Friedrich Achleitner

  • geboren 1930
  • Studien der Architektur bei Clemens Holzmeister und des Bühnenbildes bei Emil Pirchan
  • 1953 – 58 freischaffender Architekt, in der Folge Schriftsteller
  • Mitglied der „wiener gruppe“
  • Architekturkritiker und Lehrer
  • seit 1965 Arbeit an einem Führer zur „Österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert“, der seit 1980 in Einzelbänden erscheint
  • Zahlreiche Preise und Auszeichnungen 

Erschienen in

Zuschnitt 17
Holz +

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