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Die Besten für das Handwerk

erschienen in
Zuschnitt 26 Handwerk, Juni 2007
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Egon Blum (67) ist seit 2003 Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung. 35 Jahre arbeitete er als Manager bei der Beschlägefabrik Julius Blum in Höchst (Vorarlberg), wo er für die Technik (Forschung und Entwicklung, Konstruktion und Werkzeugbau), die Lehrlingsausbildung (Blum bildete 200 Lehrlinge aus) und das Qualitätsmanagement verantwortlich war.

Renate Breuß: Herr Blum, Sie selbst sind gelernter Werkzeugmacher und waren technischer Leiter eines Unternehmens, das heute mit über 4000 Mitarbeitern die ganze Welt bedient, hervorgegangen ist es aus einem handwerklichen Betrieb, einer Huf- und Wagenschmiede. Wie beurteilen Sie den Stellenwert des Handwerks heute?

Egon Blum: Das Gewerbe und Handwerk ist in Österreich nach wie vor jener Bereich, wo die meisten Unselbständigen tätig sind und wo erfreulicherweise nach wie vor die weitaus meisten Lehrlinge bzw. künftigen Facharbeiter ausgebildet werden. Trotzdem kämpft auch das Handwerk mit der Rekrutierung von Nachwuchskräften, der Mangel an Fachkräften macht es offensichtlich. Die demografische Entwicklung verschärft die Situation insbesondere im Handwerk zusätzlich.

Ich sehe diese Problematik schon seit vielen Jahren, es gilt nämlich endlich zu erkennen, dass auf der gesamten Breite zwischen Wirtschaft und Gesellschaft auf die handwerklichen Fähigkeiten nicht verzichtet werden kann. Zu unterscheiden ist dabei zwischen einer handwerklichen Fähigkeit im Rahmen einer normalen Infrastruktur etwa eines, Spenglers und den Hightechbereichen eines Maschinenmechanikers, Konstrukteurs oder Tischlereitechnikers, welcher auch CNC-gesteuerte Maschinen und cad einsetzt, also den 3- und 4-jährigen Lehrberufen. Mit all deren Erzeugnissen sind wir tagtäglich konfrontiert, all diese Dinge muss jemand herstellen. Die Ideenfindung ist eine Sache, die Umsetzung die andere. Und wenn ich heute unsere Arbeitsmarktsituation anschaue, kommen wir ohne diese Umsetzungskompetenzen nicht aus, da gehört der htl-Ingenieur dazu, da gehört der Fachschüler dazu und dazu gehört der manuell qualifizierte Fachmann. Ich nenne das die betriebliche Fachelite. Und die brauche ich im Holz- genauso wie im Metall- und Elektrobereich.

Wo liegt die Qualität des Manuellen?

Die manuelle Qualifikation ist eine Kombination von handwerklicher Qualifikation und Theoriekompetenz. Der manuell Qualifizierte muss in der Lage sein, Geplantes bzw. Konstruiertes in Produkte umzusetzen. Er muss dafür Eignung und Neigung mitbringen, genauso wie der schulisch Orientierte für den Theoriebereich geeignet sein muss. Wir erfahren immer wieder, dass die vorwiegend in der Theorie Tätigen oft nicht in der Lage sind, das Erdachte auch in ein Produkt bzw. in ein Ergebnis umzusetzen. Er weiß, wie es funktioniert, aber er kann es selten selbst herstellen. Die Qualität des Manuellen wird im Trend zur Wissensgesellschaft gerne übersehen oder verschwiegen. Genauso wie die Tatsache, dass wir auch im handwerklichen Bereich einen Trend zu höherer Bildung haben.

Was kann man gegen diese Enthandwerklichung der Gesellschaft tun?

In unserer Gesellschaft sind die schulisch orientierten Bildungswege höher im Kurs als die handwerkliche Bildungsschiene, sprich Lehre. Für viele Eltern ist es nach wie vor ein Imageproblem, wenn ihre Kinder »nur« eine Lehre machen. Der Trend zur Schule zieht vor allem die lernleistungsstarken Jugendlichen vom Weg in eine Lehre ab. Zudem werden Facharbeit und Lehre auch aufgrund des »Arbeiterstatus« übersehen oder ignoriert. Ich schlage vor, wie ich es selbst auch immer praktiziert habe, fertig ausgebildete Lehrlinge in das Angestelltenverhältnis zu nehmen und damit eine gesellschaftliche Anerkennung zu schaffen, wenn diese eine überdurchschnittliche Qualifikation vorweisen können. Wenn wir nicht bald die manuelle Facharbeit aufwerten, sodass junge Menschen wieder bereit sind, sich in diese Richtung qualifizieren zu lassen, werden wir einer verhängnisvollen Qualifikationsschieflage entgegensteuern.

Heißt das, das Handwerk steckt in einer Krise?

Ich warne schon seit Jahren davor, dass wir einer Krise entgegengehen, wenn wir nicht rechtzeitig bzw. sofort versuchen, gegenzusteuern. Leider werden meine Warnungen in Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht so ernst genommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es ca. sechs Jahre dauert, bis aus einem Pflichtschulabgänger respektive Lehranwärter ein selbstverantwortlicher und eigenständig tätiger Facharbeiter geworden ist. Das gilt es in der Personalplanung zu berücksichtigen, sonst funktioniert es nicht.

Wie kann man gegensteuern?

Ich habe in meinen Dokumenten und Projektbeschreibungen zum wiederholten Mal aufgezeigt, dass aufgrund der demografischen Entwicklung der Anteil der 15-Jährigen bis 2015 drastisch sinken wird. Ein Minus von 18 Prozent bedeutet dann rund 18.000 Jugendliche weniger pro Jahr. Es steht zu befürchten, dass es in Konkurrenz zur schulischen Ausbildung noch weniger gute Anwärter für eine Lehre geben wird. Parallel dazu gehen die Erwerbstätigen durch das verstärkte Einsetzen von Pensionierungsschüben zurück. Der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften wird dadurch noch evidenter.

Ein deutlicher Lösungsansatz dazu: Um lernleistungsstarke Jugendliche zu gewinnen, sehe ich in dem Modell »Lehre und Matura«, also der sogenannten Berufsreifeprüfung, ein absolut probates Mittel, auch künftig hochkarätige Facharbeiter mit internationalem Format rekrutieren zu können. Dieses Modell ist primär für handwerklich orientierte, lernleistungsstarke Lehrlinge und Jugendliche gedacht. Es braucht also, wie schon vorhin erwähnt, einen echten Qualifikationsmix, sowohl theorieorientierte als auch praxisorientierte Mitarbeiter.

 

Welche Rolle spielen dabei die berufsbildenden höheren Schulen?

Eine HTL ist ein Ausbildungsbereich mit Zukunft und Chancen. Wir müssen uns nur dessen bewusst sein, dass Abgänger dieser Ausbildungsschiene ihre dominierende Qualifikationskomponente in der Theoriekompetenz haben. Bei der »Lehre mit Matura« hingegen ist die dominierende Komponente die Praxiskompetenz. Und was ich brauche, ist beides. Es gibt Berufe, die brauchen weniger Softskills oder weniger Allgemeinbildung, aber es gibt auch solche, die hier unheimlich viel brauchen. Diese betriebliche Fachelite kann ich letztlich nicht aus der Theorie heraus bestücken. Und das will man nicht gerne hören.

In Deutschland gibt es eine starke Entwicklung zum Abitur mit nachfolgender Fachausbildung oder Lehre. Wie wäre denn die richtige Reihenfolge aus Ihrer Sicht?

Es stellt sich beim deutschen Modell die Frage, wie begründet wird, dass jemand mit guter Allgemeinbildung (Matura) einen anspruchsvollen handwerklichen Beruf mit vier Jahren Lehrzeit (z.B. Tischlereitechniker, Mechatroniker) in nur zwei Jahren erlernen soll. Ich meine, mit dem gleichen Qualifikationsnachweis. Eine gute Möglichkeit sehe ich in einer fünfjährigen Lehre mit gleichzeitigem, parallelem Lehr- und Maturaabschluss, ein Modell, das der Wirtschaft derzeit noch zu teuer erscheint. Aktuell heißt Lehre und Matura für mich Folgendes: Bereits im ersten Lehrjahr werden Vorbereitungskurse für die ersten Prüfungen mit 17 gemacht. In den 4-jährigen Berufen ist es noch besser, hier kann man schon zwei Prüfungen während der Lehre machen, eine mit 17 und eine vor dem Lehrabschluss und den Rest in der Folge. Dieses Modell ist nur für ganz Starke.

Wie sehen Sie die Entwicklung im holzverarbeitenden Bereich?

Die Wirtschaft bzw. die Branche im holzverarbeitenden Bereich hat erfreulicherweise schon rechtzeitig gegengesteuert, der Tiefpunkt scheint bereits überschritten. Ansehen und Image der angebotenen Berufe im Holzbereich ist bereits im Steigen, das steht sicher auch im Zusammenhang mit einer anspruchsvollen Architektur und Möbelherstellung. Mit der Qualität und Komplexität der herzustellenden Produkte hat man Hand in Hand – zum Beispiel mit dem Lehrberuf »Tischlereitechnik« – neue Ausbildungsschienen eingerichtet, die den Anforderungen (auch in Verbindung mit der Berufsreifeprüfung) entsprechend Rechnung tragen sollen.

Wenn ich die Zahlen im Tischlereihandwerk in Österreich anschaue, dann hat sich in den letzten zehn Jahren die Zahl der Lehrlinge fast halbiert, die Zahl der Lehrbetriebe ist von 3.300 Betrieben auf 2.300 zurückgegangen. Warum hören so viele Betriebe auf auszubilden?

Mit dem zusehends sinkenden Potenzial an lernleistungsfähigen Lehranwärtern kann ein Betrieb immer weniger gut ausbilden. Es ist nicht mehr zumutbar, jemanden auszubilden, der nicht einmal die elementaren Kulturtechniken kennt, also sinnerfassendes Lesen, Schreiben, Rechnen. Gerade die vielen kleinen Betriebe, die nur zwei oder drei Mitarbeiter haben, können es sich nicht leisten, ständig den Lehrling zu betreuen. Es liegt nicht immer an der mangelnden Bereitschaft der Betriebe, junge Leute auszubilden, sie sind einfach nicht mehr imstande dazu. Gegen den enormen Lehrstellenschwund gibt es den Blum-Bonus. Doch der Blum-Bonus regelt nur zum Teil das Fachkräftepotenzial, er ist auch ein gesellschaftlich-soziales Projekt.

Ich habe mir zwei Projekte vorgenommen: Das eine ist, etwas zu tun, dass Österreich Produktions- und Dienstleistungsstandort bleibt, das heißt, hochgradig auszubilden. Das andere ist, etwas zu tun, dass uns die Jugendlichen nicht verwahrlosen.

Text:
Dr. Renate Breuß

Kunsthistorikerin, Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Vorarlberg, Studiengang Mediengestaltung
Autorin: »eigen+sinnig, Der werkraum bregenzerwald als Modell für ein neues Handwerk« (mit Florian Aicher)
Publikationen und Aufsätze zu alltagskulturellen Themen


Egon Blum
Rebgarten 5
A-6973 Höchst
M: +43 664 15 68 592
www.egon-blum.at
egon.blum(at)egon-blum.at

Lehrlingsanzahl
1999

2000

2001
2002
2003
2004
2005
2006
Holzbau (Zimmermeister)
2.175
2.070
1.960
1.829
1.684
1.616
1.676
1.762
Tischler
7.004
6.285
5.602
4.929
4.483
4.257
4.211
4.222
Holzindustrie
562
737
736
712
708
698
748
814
Holz- und Baustoffhandel
994
1.003
970
907
912
911
847
761
Kraftfahrzeugmechaniker
9.033
9.295
9.476
9.327
9.190
9.116
9.224
9.407
Schlosser, Landmaschinenmechaniker
5.678
5.726
5.789
5.645
5.656
5.712
5.732
6.084
Gold- und Silberschmiede, Juweliere, Uhrmacher
89
73
66
57
55
54
46
51
Müller
12
7
9
9
12
15
19
23

Erschienen in

Zuschnitt 26
Handwerk

Keine Frage: Das glückliche Österreich wäre weder ganz so glücklich noch so sehr Österreich, ohne sein Handwerk. 
Christine Ax, Handwerksforscherin, Hamburg

8,00 €

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Zuschnitt 26 - Handwerk