Möglicherweise ist der Bregenzerwald die einzige Region in Österreich, in der Architektur, Handwerk und Industrie in eng aufeinander bezogenen Strukturen sowohl qualitativ als auch in ökonomischer Hinsicht florieren. Viele der hier arbeitenden Architekten haben einen handwerklichen Hintergrund, man weiß nicht nur theoretisch, »wie es geht«, sondern ist auch von früher Jugend an gewöhnt, im elterlichen Betrieb, in der Werkstatt des Onkels oder eines entfernten Verwandten Hand anzulegen. Umgekehrt ist es für viele der hier ansässigen Handwerker selbstverständlich, mit Architekten zusammenzuarbeiten, um traditionelle und avancierte Fertigungstechniken zu erproben oder weiterzutreiben. Nicht zuletzt gibt es eine ebenfalls im handwerklichen Kontext sozialisierte Bauherrenschaft, die auf ein qualitatives Lebensumfeld Wert legt und bereit ist, sich auf Neues bzw. auf unkonventionelle Anverwandlungen traditioneller Bauformen einzulassen. Für diese sehr spezielle Kompetenzverdichtung ist im Bereich des konstruktiven Holzbaus die Familie K. ein exemplarisches Beispiel. Die für die vorliegende Ausgabe des Zuschnitt geführten Gespräche mit vier Mitgliedern dieser weitverzweigten Familie haben gezeigt, dass man im Bregenzerwald mit Recht und ohne Sentimentalität von einer »Kultur des Handwerks« spricht. Natürlich hat auch diese Kultur Stagnations- wie Wachstumsphasen zu verzeichnen, doch scheint sie wegen des intensiven Austauschs zwischen als gleichwertig angesehen Berufssparten und aufgrund eines gesunden »Binnenwettbewerbs« kaum Gefahr zu laufen, in einmal erworbenen Mustern zu verharren.
Mit unkonventionellen, »aus der Zimmermannstechnik weiterentwickelten Holzbaukonzepten« (Otto Kapfinger) hat der Architekt Leopold K. (geb. 1932) schon früh und unabhängig vom damaligen kulturellen Establishment Position bezogen. Die Erweiterung der Pfarrkirche in Brand etwa (gemeinsam mit Helmut Eisentle und Bernhard Haeckel, 1961) zählt zu jenen aus dem Handwerk gedachten Bauleistungen, die von Moden unberührt überdauern. Als erfahrener Konstrukteur erweist er sich auch im Gespräch in seinem Atelier in Dornbirn (in welchem auch sein Sohn Oskar Leo, geb. 1969, ein eigenes Architekturbüro führt), indem er immer wieder zum Bleistift greift, um Gesagtes mit angedeuteten Konstruktionsskizzen – vom Brettelbinder bis zum Strickbau – zu verdeutlichen. Leopold K. ist gelernter Zimmerer, hat an der Technischen Hochschule in Graz Architektur studiert, währenddessen und dazwischen immer im Betrieb seines Onkels Josef K. (geb. 1913) gearbeitet, der 1952 in Reuthe eine Zimmerei samt Hobelwerk gegründet hatte. Dieser Onkel genießt in der Familie K. den Ruf eines visionären Draufgängers, der nicht nur sein Handwerk gut verstanden, sondern sich auch nicht gescheut habe, Risiken einzugehen und Neues auszuprobieren. Zu diesem Schaffensdrang dürfte auch die Gabe gezählt haben, sich zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Leuten an einen Tisch zu setzen. So ist etwa in den 1960er Jahren in einer Zusammenarbeit zwischen dem SOS-Kinderdorf-Gründer, Hermann Gmeiner, dem Architekten Willi Ramersdorfer und dem Zimmerer Josef K. ein ganzes Kinderdorf für Saigon im heimischen Werk vorgefertigt und schließlich in Vietnam aufgestellt worden – welches nach Auskunft des SOS-Kinderdorf Sozialwerks heute noch in Betrieb ist.
Leopold K. hat das Zimmermannshandwerk noch in seiner maschinenlosen Zeit erlernt und ausgeübt, wo vieles von Hand in mühsamer Arbeit auf der Baustelle zugerichtet und zusammengefügt werden musste. Aber er hat auch den Aufschwung erlebt, als die Bandsägen und Kreissägen langsam in den Werkstätten Einzug hielten. Aus der Schilderung der Vorzüge dieser Arbeitserleichterung durch Maschinen und bessere Werkzeuge ist dennoch herauszuhören, dass er von einigen Standards heutiger Holzbearbeitung, etwa dem Abfasen der Kanten, wenig hält. Auch würde die Arbeit des Zimmerers heute bisweilen auf die eines Monteurs beschränkt sein, der fertige Wandelemente zusammenschraubt. Im Rückblick auf die eigenen Realisierungen im konstruktiven Holzbau stelle er sich heute und durchaus selbstkritisch die Frage, worin die Innovationen denn eigentlich wirklich bestünden. »Konstruktiv hat sich nicht so viel verändert«, sagt er. Auf die Frage, was er selbst dem Werkstoff Holz gern entlocken würde, gibt er eine entwaffnende Antwort: »Holz schweißen können.« Dann nimmt er ein Überblickswerk aus dem Regal, schlägt eine Seite auf, auf der ein teilweise diagonal verschaltes Haus von Marcel Breuer in New Canaan aus dem Jahr 1948 abgebildet ist. Er verweist auf die schlüssige konstruktive Lösung, die stimmige Proportion des Gebäudes. Von solchen Beispielen könne man immer noch lernen.
Ob es Leopold K. bewusst ist, dass er von der ihm nachfolgenden Generation selbst als Lehrmeister angesehen wird? Etwa von seinem Neffen Hermann (geb. 1955), der an der TU in Innsbruck (u.a. bei Othmar Barth) Architektur studiert, schließlich an der TU Wien bei Prof. Hiesmayr das Diplom gemacht hat. Im Büro seines Onkels Leopold hat er oft in den Ferien gearbeitet, seine erste Anstellung hatte er bei Ernst Hiesmayr in Wien. 1983 gründete Hermann K. eine Arbeitsgemeinschaft mit Christian Lenz in Schwarzach, heute hat er 16 Mitarbeiter. Die Liste der realisierten Bauten ist inzwischen beachtlich, »wobei sich der Holzbau wie ein roter Faden durch die Bürogeschichte zieht«. Mit einem seiner Brüder – Johannes K. (geb. 1967) – hat er kürzlich eine mehrgeschossige Wohnhausanlagen in Wien-Floridsdorf realisiert, seit 2004 lehrt er als Professor für Holzbau an der Architekturfakultät der TU München. Die handwerklichen Kenntnisse eines Zimmerers sieht er angesichts heutiger Fertigungstechniken nicht schwinden. »Ein Zimmerer muss heute viel mehr wissen als früher«, sagt er, »die Anforderungen an ihn steigen mehr und mehr.« Viele Hilfstätigkeiten können von der Maschine übernommen werden, aber der Blick fürs konstruktive Ganze dürfe dem Handwerker nicht abhanden kommen. Die Komplexität der Konstruktionen, ihre Diversität, die zahlreichen bauphysikalischen Anforderungen – all dies erfordere ein höheres Allgemeinwissen, über das der Zimmerer heute verfügen müsse, um am Puls der Entwicklung zu bleiben. Das Problem bestünde sogar eher darin, dass es in dieser Zunft schon zu viele »Erfinder« gebe. Im Unterschied zum Bereich Brettschichtholz (BSH), wo sich inzwischen überschaubare Standards abzeichnen, ist das Spektrum möglicher Wand- oder Deckenaufbauten im Holzbau heute kaum mehr überblickbar. Allein die Datenbank www.dataholz.com führt derzeit rund 1.500 Konstruktionsdatenblätter an, ergänzt durch unzählige Anschlussdetails und Dämmstoffvarianten, Abdichtungsfolien etc. Ein im Holzbau wenig erfahrener Architekt könne heute Schwierigkeiten haben, sich in der Vielfalt der angebotenen Systeme zurechtzufinden.
Hermanns zweiter Bruder Michael (geb. 1957) ist Zimmerer und führt den mittelständischen Betrieb in Reuthe in der nunmehr dritten Generation. Ihr Vater Ernst hatte einst mit zufällig gleichem Nachnamen in die Familie K. eingeheiratet, und zwar in jene Zimmerei, die Hermann K. Sen. (1899–1966), der ältere Bruder von Josef K. 1932 in Reuthe aufgebaut hatte. Michael K. lebt mit seiner Familie in dem inzwischen renovierten und durchlichteten Wälderhaus, an das die Werkstatt direkt anschließt. 1993 hat er den Zimmermannsbetrieb um eine Tischlerei erweitert, in der, wie er heute sagt, irrigen Annahme, dass sich zwischen den beiden Handwerkszweigen unmittelbare Synergien in der Arbeit ergeben. »Dass sich daraus so etwas wie verfeinerte Zimmerer entwickeln würden.« Tatsächlich laufen die beiden Sparten zwar hervorragend unter einem Dach, aber strikt getrennt, mit unterschiedlichen Werkzeugen, Aufgaben und Anforderungen.
Ein Niedergang des Handwerks habe in den 1960er Jahren stattgefunden, da seien die Zimmerer aufs Aufstellen von Dachsparren beschränkt gewesen, es gab eine gewisse Abwehr gegen das Bregenzerwälderhaus – »das ewige Knarren« –, man habe im Massivbau fast Gegenposition beziehen wollen. Der Wendepunkt sei mit den Pionieren der Vorarlberger Bauschule, endgültig aber Anfang der 1990er Jahre gekommen, als man auf breiter Basis wieder anfing, sich ernsthaft und in zeitgemäßer Formensprache mit dem Thema konstruktiver Holzbau auseinanderzusetzen. Damit seien die Zimmerer wieder aufgewertet worden, »sie sind nun nicht mehr nur für das Dach, sondern wieder für das gesamte Haus zuständig«. Die frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Architekt, Holzstatiker und Handwerker sei im Bregenzerwald ja von jeher die große Stärke jeder qualitätsorientierten Produktentwicklung gewesen.
In der Werkstatt von Michael K. stehen viele Maschinen, aber eine CNC-Fräse wird man vergeblich suchen. Es ist eine bewusste Entscheidung, den Betrieb in überschaubaren Dimensionen zu halten (bei Michael K. arbeiten 16 Zimmerer und fünf Tischler), sich nicht allzu tief in den Bereich der industriellen Fertigung hineinzuarbeiten. Seine Mitarbeiter und Lehrlinge stammen alle aus der Umgebung, bei ihm werden auch Fachleute ausgebildet, die dann später z.B. im Betrieb seines Großcousins Anton K. (geb. 1949) in Vorderreuthe einen Arbeitsplatz finden.
In der Werkstatt von Michael K. wird zwar mit einigem Erfolg die Wohnbox SU-SI produziert, aber um wirtschaftlich lohnenswert zu sein, sei das Produkt nach wie vor zu individuell. »Jedes Mal läuft es wieder auf eine Spezialanfertigung hinaus.« Der Entwurf dafür stammt von Michaels und Hermanns Bruder Johannes sowie von Leopolds Sohn Oskar Leo; Bauherrin des Prototyps war dessen Schwester Susanne, die in der nun 5. Generation das Hotel Post in Bezau betreibt und Mitte der 1990er Jahre ein kostengünstiges »Übergangswohnhaus« in Auftrag gegeben hatte. Das inzwischen 10-jährige, kürzlich nach Hamburg verkaufte Urmodell von Su-Si war zum Zeitpunkt unseres Gesprächs mit Michael K. wieder in dessen Werkstatt gelandet, um den Erfordernissen des künftigen Standorts angepasst zu werden. Erstaunlich wenig Renovierungsarbeiten waren vonnöten, die Box hat das Hochwasser von 2005 schadlos überstanden, nur ein Wasserschaden im Haus selbst hat den Brettern der Bodenplatte zugesetzt. Mit Oskar Leo K. denke man aber über eine Weiterentwicklung des Containerkonzepts nach, das in modularer Form auch schon im Hotelbau Anwendung gefunden hat. Michael K. ist auch Mitglied der »Fixhaus«-Plattform, zu der sich einige Holzbaubetriebe der Region zusammengeschlossen haben, um nach Entwürfen von Vorarlberger Architekten Fertighäuser auf hohem gestalterischem Niveau und zu vertretbaren Preisen anbieten zu können. In der Tischlerei von Michael K. werden zudem in Zusammenarbeit mit dem werkraum bregenzerwald sowie zahlreichen Vorarlberger Architekten hochwertige Möbel und Gebrauchsgegenstände hergestellt, das Repertoire umfasst sogar Holzsandalen, die in Kooperation mit einer Schusterwerkstatt in Bezau erzeugt werden. Da viele Zimmermannsbetriebe des Bregenzerwalds heute – im Unterschied zu früher – eine eigene Abbundhalle neben der Werkstatt stehen haben, tritt bei größeren, die eigenen Kapazitäten übersteigenden Projekten eine Art betriebliche Nachbarschaftshilfe in Kraft und man stützt sich durch temporäre Kooperation. Ein kluger unternehmerischer Ansatz; man kann punktuell im großen Maßstab agieren, das Qualitätsniveau halten und als Unternehmen dennoch flexibel bleiben. Michael K. schätzt die Produktvielfalt in seinem Betrieb, doch in Hinblick auf seinen wirtschaftlichen Kernbereich, den hochwertigen vorgefertigten Holzbau, bezeichnet er wie sein Bruder Hermann die steigende Systemvielfalt als problematisch. »Jedes Mal muss man den Wand- und Deckenaufbau von neuem hinterfragen.« Gleichzeitig wäre eine Vereinheitlichung auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen fatal: »Wenn jeder das Gleiche anbietet, wäre der Preiskampf noch härter.«
Anton K., Geschäftsführer der Firma K. Holzbausysteme, mit selbem Standort wie sein inzwischen mehrheitlich verkaufter holzverarbeitender Betrieb, der größte der gesamten Region, bringt die Normierungsfrage auf den Punkt: »Systematisierung und Normung kommen in erster Linie der Holzindustrie zugute.« Vor dem Hintergrund der mitteleuropäischen Handwerkstradition wären derartige Normungen, wie sie sich etwa in den USA durchgesetzt haben, jedoch ohnehin zum Scheitern verurteilt. »Wer wollte denn hierzulande in Häusern wohnen, wo eines wie das andere aussieht?«
Die gewaltige Dimension des Werks in Vorderreuthe lässt sich auch an der Anzahl und Art der eingesetzten Maschinen ermessen. Vor zehn Jahren wurde die erste, vor kurzem die dritte CNC-Fräse aufgestellt, sodass für einen internationalen Markt präzise Systemkomponenten in großen Stückzahlen produziert werden können. Im Unternehmen von Anton K. arbeiten CNC-geschulte Zimmerer, Absolventen von Fachhochschulen, Maschinenbauer, angelernte Arbeiter. Als Industriekonzern agiert er als reiner Zulieferer, hält den Industrie- und Projektbereich konsequent auseinander. Zum Projektbereich gehört z.B. ein Hochregallager aus Holz, das sich gerade in korrisionsgefährdeten Funktionszusammenhängen (Stichwort Salzlager, mehrgeschossige Bootsgarage) gegen den Stahlbau auch ökonomisch behaupten kann. Und eben diese klar getrennte Koexistenz von industrieller Fertigung europaweit vertriebener Komponenten und dem Projektbereich erweist sich als richtig, wenn es um den vielbeschworenen Blick auf das konstruktive Ganze geht. Denn auf diesen kommt es in einer hochdifferenzierten »Kultur des Handwerks« letztlich an. Nur wenn selbst in der Anonymität der fragmentierten Fertigung das Verständnis für den konstruktiven Gesamtzusammenhang präsent bleibt, kann der CNC-geschulte Zimmerer sein Werkzeug bewusst einsetzen, anstatt es in entfremdeter Perfektion einfach nur zu bedienen.
Text:
Gabriele Kaiser
geboren 1967
Architekturpublizistin in Wien
1996–2000 Redakteurin bei architektur aktuell
2000–2003 Lehrauftrag an der Universität für angewandte Kunst in Wien
seit 2002 Redaktion des »Architektur Archiv Austria«, der online-Datenbank des Architekturzentrum Wien
seit 2003 Mitarbeit am Band III/3 des Führers »Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert« von Friedrich Achleitner
zahlreiche Textbeiträge in Ausstellungskatalogen und Fachmagazinen mit Schwerpunkt österreichische Architektur nach 1945