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Vom Kopf zur Hand und darüber hinaus

erschienen in
Zuschnitt 26 Handwerk, Juni 2007
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Wege zum Handwerk

Es gibt verschiedene Wege, zum Handwerk zu gelangen. Der vermeintlich klassische führt – womöglich mit einem entsprechenden Familienbetrieb im Hintergrund, der irgendwann übernommen werden soll – über eine Lehre mit Berufsschule, Gesellen- und Meisterprüfung.

Dieses Bild entspricht nur bedingt der Realität. Ebenso wie das des Handwerks selbst, das schon lange verfälscht wurde als überholter, rückständiger und konservativer Gegenentwurf zu den Verheißungen der Industrialisierung und Technisierung, zu den Geboten und Versprechungen der Moderne.

Die Realität hat zu tun mit den konkreten Lebens- und Produktionsbedingungen bestimmter Menschen in bestimmten Regionen. Der Zugang zum Handwerk ist also individuell, im Rahmen von Ausbildungsmöglichkeiten und gewerbepolitischen Strukturen und kann, wie im Fall des Tischlers Dietmar Bischof, umgekehrt erfolgen – vom Kopf zur Hand. Nach der Hauptschule absolvierte Bischof eine Lehre als Buch- und Kunsthändler. Der theoretischen Auseinandersetzung mit fremden Kulturen folgte eine Zeit des Reisens, vor allem nach Asien. Zurück in Europa, ließ sich Dietmar Bischof zum Tischler ausbilden.

Bedürfnis und Defizit

Diese Ausbildung war Resultat eines Bedürfnisses, das damals, Anfang der 1980er Jahre, weit verbreitet war. Es fand in vielen Details seine gesellschaftliche Ausprägung, besteht nach wie vor und ist unter anderem das Resultat eines Defizits an handwerklicher, schöpferischer Betätigung, am Umgang mit Material und seiner Bearbeitung, an der Einheit von Idee und Umsetzung eines Objekts. Ohne handwerklichen Hintergrund aufgewachsen, absolvierte Bischof die Ausbildung im Rahmen eines wifi-Umschulungsprogramms. In der »vorgetäuschten Praxis« der wifi-Werkstätten erlernte er die Tischlerei in erster Linie mit dem persönlichen Anspruch, die »Materie zu beherrschen«. Nach kurzer Tätigkeit in einem Tischlereibetrieb machte Bischof sich selbständig. Heute arbeitet er zwar nach wie vor ohne Angestellte, jedoch eingebunden in ein Netzwerk aus Architekten, Designern, Innenarchitekten auf der einen und ausführenden Betrieben auf der anderen Seite.

Mit Zuschnitt sprach Dietmar Bischof über sein Selbstverständnis als Handwerker, seinen Zugang zur Architektur, den Stellenwert der Kommunikation und Visionen für die Zukunft.

Zuschnitt: Herr Bischof, warum sind Sie im zweiten Bildungsweg Tischler geworden?

Dietmar Bischof: Das hatte zuerst etwas mit meiner Ausbildung als Kunsthändler zu tun, mit der Auseinandersetzung mit Objekten im weitesten Sinn und mit meinen Reisen nach Asien. So ist das Interesse daran gewachsen, selbst etwas zu produzieren, die eigenen Vorstellungen umzusetzen. Natürlich war das Bedürfnis nach Authentizität eine Triebfeder, nach unmittelbaren, manuellen Tätigkeiten. Es beinhaltete auch eine gewisse Art von Sentimentalität, die mit der Praxis jedoch nicht viel zu tun hat.

Welcher Zugang zum Handwerk stand am Anfang im Vordergrund?

Zuerst spielte das handwerkliche Können eine große Rolle und mit den Einzelstücken, die ich für Privatkunden angefertigt habe, konnte ich vieles erproben und verfeinern. Mit der Zeit hat sich mein Anspruch geändert und inzwischen steht das Planen und Gestalten im Vordergrund. Mein Arbeitsschwerpunkt liegt heute in der Kooperation mit Architekten, Designern und Innenarchitekten. Hier geht es in erster Linie um konzeptionelle Arbeit und um gestalterische Fragen vor dem Hintergrund der technischen Machbarkeit. Die Umsetzung habe ich ausgelagert, nur mehr wenige Einzelstücke im Jahr fertige ich selbst.

Damit sind Sie hauptsächlich Dienstleister?

Das ist richtig. Trotzdem sehe ich mich als Handwerker, weil im Handwerklichen meine Kernkompetenz und meine Art zu denken verwurzelt sind. Ich muss nicht täglich an einem Werkstück arbeiten, um Handwerker zu sein, denn mein Wissen und meine Erfahrung spielen eine wesentliche Rolle in der Kommunikation zwischen Gestaltern und Ausführenden, in der Vermittlung von Ideen und Möglichkeiten.

Wie problematisch erleben Sie diese Kommunikation?

Kommunikationsprobleme zwischen Planern und Handwerkern gibt es immer wieder, damit lernt man umzugehen. Ich selbst arbeite inzwischen aber in einem Umfeld, wo die Kommunikation keine Barriere mehr ist. Die ausführenden Tischler wissen genau, worauf es mir ankommt, ich kenne wiederum die Rahmenbedingungen in den Betrieben sehr gut und weiß, was machbar ist. Auch der Dialog mit den Architekten funktioniert und je länger ich mit einzelnen Büros zusammenarbeite, umso unkomplizierter erfolgt die Verständigung. Der Entwurf eines Möbels oder einer Innenraumgestaltung durchläuft zwei Phasen der Transformation: vom Architekten über mich als »Vermittler« bis zum ausführenden Betrieb. Wenn die Kommunikation funktioniert, dann gewinnt ein Entwurf in der Umsetzung noch an Dichte und inhaltlicher Präzision. Das ist unser Ziel.

Um in dieser Nische bestehen zu können, ist die Auseinandersetzung mit Architektur unerlässlich...

Architekturverständnis ist die Grundvoraussetzung für meine Arbeit. Ich bin ständig mit Architektur konfrontiert, erlebe sie täglich ganz unmittelbar und praxisbezogen, beschäftige mich aber natürlich auch theoretisch damit. Unsere Arbeit ist sehr detail- und problemlösungsorientiert. Wir experimentieren, suchen nach Speziallösungen, bauen Modelle, recherchieren und dürfen dabei das Gesamtkonzept nicht aus den Augen verlieren. Das ist immer wieder eine große Herausforderung, die sehr inspirierend ist. Eine besondere Erfahrung mit Architektur war für mich die Restaurierung dreier Häuser von Roland Rainer aus den 1960er Jahren. Die Qualität der Holzdetails ist beeindruckend und verblüffend einfach, die Architektur nach wie vor im besten Sinn modern und natürlich braucht man für so eine Aufgabe einen Zugang zur Architektur. Sonst bekommt man den Auftrag gar nicht.

Wie beurteilen Sie die Chancen Ihres Handwerks in der Zukunft?

Der klassische Markt für Tischler existiert nicht mehr, er wird von industriellen Anbietern bestimmt. Tischlereien reagieren auf die veränderte Situation unterschiedlich, aber es ist ganz klar, dass sich jeder Betrieb eine Nische suchen muss. Für Handwerker, die als Kleinst- oder Ein-Mann-Unternehmen agieren und nicht in der Lage sind, ein großes Vertriebssystem aufzubauen, wären Kooperationen mit Produzenten, die Kleinserien in hoher Qualität herstellen, sehr wertvoll. Das betrifft auch mich im Bereich der Einzelstückproduktion. Solche Betriebe, wie sie etwa in Italien sehr wohl existieren, gibt es in Österreich meines Wissens aber nicht und daher bleibt ein größerer Markt verschlossen. Das ist schade und bedeutet ein hohes wirtschaftliches Risiko, weil gerade Aufträge im Bereich der Architektur sich finanziell oft nicht rechnen. Darüber hinaus sind die größten Chancen für das Handwerk die hohe Qualität, die Lern- und Kommunikationsbereitschaft sowie die große Flexibilität. Nur so kann es in seiner kulturellen Vielfalt erhalten bleiben.

 

Dietmar Bischof
Marialhilferstraße 9
A-1060 Wien
T +43 (0)664/132 11 69
www.dB-moebel.at, bischof(at)dB-moebel.at

Kooperationen u.a. mit: Werner Höfinger, junger_beer architektur, Andreas Mangl, Mikado, moeblage, propeller z, querkraft, Rataplan/Friedl Winkler, Daniela Zobel

Erschienen in

Zuschnitt 26
Handwerk

Keine Frage: Das glückliche Österreich wäre weder ganz so glücklich noch so sehr Österreich, ohne sein Handwerk. 
Christine Ax, Handwerksforscherin, Hamburg

8,00 €

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Zuschnitt 26 - Handwerk