Zum Hauptinhalt springen

Ian Hamilton Finlay

Diese aus dem Nichts entstandene Gartenanlage wurde seit 1965 sukzessive von Finlay ausgebaut und mit Zitaten, Monogrammen, Namen und Aphorismen auf Holz, Stein oder anderen Naturmaterialien bespielt.

erschienen in
Zuschnitt 27 Zweite Lesung, September 2007
Sie besuchen eine Archiv-Seite. Möglicherweise sind nicht alle Darstellungen korrekt.

The Medium is the Message

Der 1925 in Nassau, Bahamas, geborene Schotte Ian Hamilton Finlay galt lange Zeit als einer der wichtigsten Vertreter der nicht Vertretenen am internationalen Kunstmarkt, der heute kaum noch ohne Etikettierung der dort gezeigten Positionen auskommt. Finlay selbst würde sich weder auf den Minimal- noch auf den Konzept-Künstler reduzieren lassen, sondern als Naturpoet bezeichnen, der Text und Natur zusammenfügt. Aushängeschild und größtes Gesamtkunstwerk seines Schaffens ist die komplex sublime Gartenanlage »Little Sparta«, südwestlich von Edinburgh in den Pentland Hills gelegen.

Diese aus dem Nichts entstandene Gartenanlage wurde seit 1965 sukzessive von Finlay ausgebaut und mit Zitaten, Monogrammen, Namen und Aphorismen auf Holz, Stein oder anderen Naturmaterialien bespielt. Dabei sind neben der klassischen Mythologie blutige Ereignisse der Geschichte wie die Französische Revolution und die nationalsozialistische Schreckensherrschaft ebenso inhalts- und formbestimmend wie die vorsokratischen Philosophen oder die Hochseefischerei. Dieses Inbeziehungsetzen von Sprache und Bild verlangt dem Rezipienten eine erhebliche geistige Mitarbeit ab und folgt der Intention Finlays, der Kunst den Stellenwert zurückzugeben, den sie bei den Griechen oder im ausgehenden 18. Jahrhundert in Frankreich eingenommen hatte. Die Kunst sollte weg vom Podium des Elitären, hin zum angestammten Platz im öffentlichen Bewusstsein, wahrgenommen nicht nur von einer kleinen Gruppe, sondern wie selbstverständlich integriert in die Gesellschaft.

Die Sprache oder vielmehr die »Konkrete Poesie« war für Finlay von Beginn an das maßgebliche Instrument zur Artikulation seiner Kunst, die er ab den 1960er Jahren auch in der von ihm gegründeten Zeitschrift »Poor. Old. Tired. Horse.« publizierte. Die konkrete Poesie als Terminus taucht in der Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts in mehreren Ländern gleichzeitig auf und bezeichnet eine Literatur, die sich der phonetischen, visuellen und akustischen Dimensionen der Sprache bedient. Dabei werden Texte, Wörter und auch einzelne Buchstaben durch Montage, Variation oder Wiederholung aus ihrem festen Zusammenhang herausgelöst und treten dem Betrachter »konkret«, also für sich selbst stehend gegenüber. An dieser Stelle seien auch die österreichischen Vertreter dieser Literatur wie Ernst Jandl und die Wiener Gruppe genannt.

Der Unterschied zwischen deren sprachlicher Radikalität und Finlay liegt jedoch darin, dass er nie zum Äußersten, zur völligen Entfremdung der Sprache bereit war. Vielmehr ist die Verweisfunktion seiner Worte aufrecht, der kontextuelle Zusammenhang immer gegeben. Das Faszinierende der Konkreten Poesie lag für Ian Hamilton Finlay darin, losgelöst zu sein von der konventionellen Syntax und Semantik, die er für seine Kunst als stets zu einengend empfunden hatte. Angewendet auf »Little Sparta« bedeutete dies auch eine Verstärkung der Wechselbeziehung zwischen der sprachlichen Zeichensetzung und der Natur, die diese umgibt. Die »klassizistische Aufrüstung« in seinen Werken diente Finlay dazu, die diesem Begriff inhärenten Werte für den gegenwärtigen Kunstdiskurs neu aufleben zu lassen, sie sozusagen einer zweiten Lesung zu unterziehen. Seine oft falsch interpretierte Auseinandersetzung mit Gewalt dient dabei nie ihrer Glorifizierung, sondern vielmehr der bewussten Konfrontation von Gewalt und Idylle.

Zu sehen ist dies an den unzähligen Miniatur-Kriegsgeräten aus Stein, wie etwa einem Flugzeugträger, der als Vogeltränke fungiert, oder Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg, die überdimensioniert wie klassische Urnen auf zwei gemauerten Torpfeilern ruhen. Das Fundament des Finlay’schen Universums, verdichtet im Gartenkunstwerk »Little Sparta«, bildet die Schnittstelle zwischen Natur, Kunst und Sprache. Als Überbau fungieren die einzelnen Arbeiten, die großteils in den 1960er und 1970er Jahren entstanden sind und über die Jahrzehnte nicht nur an Einheitlichkeit gewonnen haben, sondern auch zu einem Gesamtkunstwerk zusammengewachsen sind.

Ian Hamilton Finlay

1925 geboren in Nassau (Bahamas)
Kindheit in Schottland
nach Schul- und Militärzeit Schafhirt
Autor von Kurzgeschichten für Radio und Fernsehen
1959 – 64 lebt in Edinburgh
Gründung der Wild Hawthorn Press für Konkrete Poesie
1965 Gestaltung und Ausbau des Gartens von »Little Sparta« in Stonypath im Süden Schottlands
2006 starb Ian Hamilton Finlay an den Folgen eines Schlaganfalls in Edinburgh

Einzelausstellungen (Auswahl)

  • 2006 Galerie Stampa, Basel
  • 2004 »Art of the Garden«, Tate Britain, London
  • 2003 »Maritime Works«, Nolan/Eckman Gallery, New York
  • 1999 »Variations on different Themes«, Fundación Joan Miró, Barcelona
  • 1972 Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh

Gruppenausstellungen (Auswahl)

  • 2000 »HeimatWeh – FernLust«, Galerie Hubert Winter, Wien
  • 2000 »Encounters«, National Gallery, London

verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator

Erschienen in

Zuschnitt 27
Zweite Lesung

Wann in den Redaktionssitzungen die Idee aufgetaucht ist, einen Zuschnitt über »Klassiker« des Holzbaus zu machen, lässt sich nicht einmal mehr anhand der Protokolle einwandfrei feststellen. Tatsache ist, dass das Thema wieder und wieder besprochen, verworfen und vertagt wurde, trotzdem nie ganz aus der Diskussion geriet und schließlich als Inhaltsschwerpunkt für diese Ausgabe gewählt wurde.

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 27 - Zweite Lesung