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Essay

erschienen in
Zuschnitt 34 Schichtwechsel, Juni 2009
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Schichtwechsel

Bauen und Wirtschaften sind Tätigkeiten, die uns (allen!) ein gutes Leben (zuvor noch „Überleben“) zu sichern haben. Ist uns bewusst, dass wir dafür die Erde in gewisser Weise zu arrangieren und Stoffwechselkreisläufe in Gang zu setzen haben? Haben wir erkannt, dass sich Ökonomie in langen Zyklen bewähren muss und sich „Nebenwirkungen“ nicht zu Monstern auswachsen dürfen? Das wäre Nachhaltigkeit oder – als Begriff etwas weniger abgenützt – Zukunftsfähigkeit.

Wolf D. Prix wird unwidersprochen mit folgendem Satz zur Museumsarchitektur zitiert: „Wenn Architektur, insbesondere ein Gebäude Kunst ist, ist es sein eigenes Museum und benötigt demnach keine Kunst.“ Na gut! Braucht dementsprechend Büroarchitektur noch die Arbeit und der Wohnbau noch den Bewohner? Mit diesen Fragen rühren wir an einen neuen Höhepunkt „kultureller“ Überlagerung des Bauens und orten ein Höchstmaß an Entfremdung: eine radikale Abkehr von den Wahrnehmungen unseres Körpers und seinen Bedürfnissen, einen Sprung in die virtuellen Welten der Ideen und Ideologien. Es ist Zeit zum Gegensteuern, denn Bauen ist eine Kulturtechnik des Überlebens. Es geht um die Schaffung kontrollierter und sicherer Räume: garantiert trocken, warm, zugfrei oder kühl, feucht, schattig – jeweils in Entsprechung zu den örtlichen Klimabedingungen. In Reaktion auf diese ist das Innenklima eines Hauses zu definieren und zu kontrollieren, und dafür haben wir heute ein Know-how von historisch unvergleichlicher Wirksamkeit zur Hand. Der diesbezüglich erzielte, technisch absolut revolutionäre Wissensstand droht in seiner Bedeutung lediglich in einer Flut künstlich generierter Sensationen unterzugehen. Wir können heute weltweit und für jedes Klima Häuser konstruieren, die mit vertretbaren Aufwendungen und überwiegend lokalen Mitteln, außerdem ohne grob unerwünschte Folgen (somit nachhaltig) allen Menschen klimatisch und atmosphärisch wunderbare Lebensräume schaffen.

Das Haus ist jenes System, das den Austausch zwischen innen und außen selektiv (also bezogen auf die Wechselwirkung zwischen den Bedingungen wie Lufttemperatur, -feuchtigkeit, -bewegung, Licht, Sonne, Töne, Bilder etc.) und intelligent (also mit dem geringsten Aufwand und dem niedrigsten Einsatz an Ressourcen bei größter Wirkung) steuert.

Seit der flächendeckenden Verbreitung der Zentralheizung hat keine Erfindung das „System Haus“ so tiefgreifend verwandelt wie das Konzept Passivhaus. Das Passivhaus ist, nach dem Haus mit Fließwasser und Zentralheizung, der nächste große Entwicklungssprung und wird auch die Architektur vergleichbar gravierend verändern.

Heute ist ein modernes Haus ein Passivhaus oder ein vergleichbares System, das den Wärme- und Kühlenergiebedarf maßgeblich reduziert, die Innenluftqualität und teils auch den Schallschutz drastisch verbessert. In dieser Hinsicht besteht zwischen Neubau und Sanierung kein Unterschied.

Gerade wegen der heute groß angelegten Programme zum Klimaschutz muss gesagt werden: Alles, was nicht bis zu dieser Konsequenz reicht, bleibt unvollständig.

Das gilt auch für die nahezu panikartig verordneten Vollwärmeschutzmaßnahmen, die allenfalls Teil einer größer anzulegenden Strategie, eines neuen Systemverständnisses sein könnten – eines Systems, das sich aus vielen Elementen zusammensetzt: der Situation gemäße Wärmerückgewinnung und Lüftung, optimierte Dämmung und Speicherung, ein ausgewogenes Volumen-Oberflächen-Verhältnis, eine dementsprechende Orientierung, Fenstergrößen und Sonnenschutzvorkehrungen etc.

Und so wie das neue (Passiv-)Haus als intelligentes System zu konzipieren ist, muss es als „Prozess“ verstanden werden – mit einem Davor und einem Danach, also mit Blick auf alle Stoffwechselkreisläufe der Produktion und der Entsorgung. Dem Holz kommt hierbei ein besonderer Stellenwert zu. Doch die entsprechenden Systeme und Konzepte müssen von der Politik gefördert und von der (Holz-) Wirtschaft angeboten werden.

Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, besteht die beste Grundlage für weitere kulturrelevante Aspekte, ohne die Architektur nicht denkbar ist: Städtebau und Skulptur, Raumkonzeption, Ökonomie und Ästhetik.

Text:
Roland Gnaiger
ist Architekt und Leiter der Architekturausbildung an der Kunstuniversität Linz.
Er hat den Masterlehrgang „überholz“ (für Holzbaukultur) gegründet, setzt Initiativen für das Bauen in Entwicklungsländern und leitet den Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit.

Foto:
©Georg Sidler

Erschienen in

Zuschnitt 34
Schichtwechsel

Sanieren, renovieren, modernisieren. Wird eine Gebäudehülle energetisch auf Vordermann gebracht, dann gibt es viele Möglichkeiten für Holz, ­seine guten Eigenschaften ins Spiel zu bringen und zum nachhaltigen Gelingen des Vorhabens beizutragen.

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Zuschnitt 34 - Schichtwechsel