Krisen, Notfälle setzen überkommene Muster – die Normalität – außer Kraft, erzwingen Improvisation, erfordern Innovation. Das Bauen und Werken mit Holz, das Fügen schützender Wände, Schirme, Dächer stand am Beginn unserer Kultur, und jene Zeiten und Epochen, in denen rasches Reagieren auf Elementarereignisse, auf gefährdete oder krass veränderte Lebensbedingungen geboten war, brachten prompt die Qualitäten des Holzbaus zur Geltung: Schnelligkeit, Einfachheit, Verfügbarkeit, Leichtigkeit, Beweglichkeit – und Behaglichkeit sogar im Provisorischen.
Die bewährte Lösungskapazität in Problemlagen – Pölzungen für fragile Decken, Gewölbe; Gerüste zur Reparatur bröckelnder Gesimse; Baracken als temporäre, billige Wohnstätten – all das und mehr formt einerseits das traditionell positive Bild von Holz als Nothelfer, enthält andererseits auch die Kehrseite der Medaille: die historisch verfestigte Konnotation mit Zwangslagen, Provisorien, Mangelwirtschaft. Im semantischen Profil des Begriffs »Baracke« ist diese Doppeldeutigkeit klar. Noch im 19. Jahrhundert eher positiv besetzt, ist er durch die Erfahrungen der Kriegswirtschaft, der rassischen und politischen Vernichtungslager des 20. Jahrhunderts heute eindeutig negativ. Wenn mit ökologisch handfester Begründung und aufgrund aktueller Beispiele eine Revision jener Klischees ansteht, die Holz-Siedlungsbau generell als Filigran- und Mangel-Technologie einstufen, kann eine Besinnung auf alternative Bedeutungsstränge und innovative geschichtliche Beispiele hilfreich sein.
Ein lokales, immer noch faszinierendes Vorbild sind die revolutionären Jahre der Wiener Siedlerbewegung nach 1918. Hungersnot in Wien und Mangel an allem führten zur massenhaften »Landnahme« in vorher feudalen Grünräumen, zur Anlage von Nutzgärten für die Selbstversorgung, zur Entwicklung neuer städtebaulicher und bautypologischer Siedlungskonzepte: Modellanwendungen »wachsender Häuser«; neue Kombinationen von Holz- mit Massivtechniken, von professioneller Ingenieurplanung mit handwerklicher Eigenleistung; Schaffung robuster Systeme zur Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe, zur sozialen und wirtschaftlichen Autonomie von Lebensräumen.
Das legendäre Beispiel war Adolf Loos’ Patent »Haus mit einer Mauer«, 1921 im Rahmen seiner Arbeit für das Siedlungsamt konzipiert und damals nur sporadisch realisiert, Jahrzehnte später eine zentrale Referenz der Pionierphase der Vorarlberger Baukünstler und ihrer Holzbauprojekte für junge, unangepasste Leute, die sich die üblichen Angebote der Wohnbauträger und des Baumarktes nicht leisten konnten. Loos’ Patent war und ist richtungweisend, weil es keine normierte Groß- oder Hochtechnologie braucht, sondern eine Mischung von primären und sekundären, von harten und weichen Komponenten darstellt, weil es kein fixfertiges Produkt liefert, sondern ein System mit Potenzialen der lokalen Selbstbestimmung, der individuellen Variation, der leichten Veränderbarkeit in der Zeit.
Loos fusionierte rationalistische Ingenieurtechnik mit praktischer Bricoleur-Weisheit. Und diese gewitzte, offene Konzeption verschwägerte das »Haus mit einer Mauer« mit den altjapanischen Haustypen – filigrane, in mehrfacher Hinsicht elastische Holzstrukturen, die aus der Not der Erdbebenhäufigkeit und des feucht-kalten Klimas eine Tugend machten und eine geistig-gestalterische Hochkultur in »barackenartigen« Pavillons behausten, welche die Großmeister der klassischen Moderne, von Wright, Mies und Schindler bis zu Taut, Wachsmann, Frank, Plischke und Rainer faszinierte und inspirierte.
Seit Jahrzehnten hat der ISO-Metallcontainer das Feld des behelfsmäßigen, nomadischen, parasitären Behausens okkupiert. Werkstofflich und logistisch ist das ein großindustrielles, hoch determiniertes Produkt und kein systemischer Ansatz. In Erinnerung sind z.B. noch die letztlich gescheiterten Versuche von Heidulf Gerngross – einziges Resultat der nach dem Balkankrieg in Wien 1993 initiierten Ausstellung »SOS Aufbau-Wohnen« –, die ISO-Container gegen den Strich zu bürsten und für billige, Lowtech-/Highend-Adaptionen von Wohn-, Büro- und Läden-Clustern zu individualisieren.
Holzbauvisionäre wie Wolfgang Pöschl oder Hubert Rieß betonen dagegen, dass das Potenzial und die Herausforderung moderner Prefab- und Modultechnik in Holz darin liege, nicht das Endprodukt »Haus« zu denken – in all seinen populärkulturell versteinerten und konsumistisch gesteuerten Sehnsuchts- und Wunschfixierungen. Rieß: »Ich habe im Kosovo bei den Einsätzen der Hilfskorps und anderswo gesehen, wie falsch die technisch normativen, rationalistischen Maßnahmen und Konzepte sind. Für die Zukunft des leistbaren, ökologischen Bauens nicht nur für Randschichten oder Temporärlösungen dürfen wir nicht ,in Häusern‘ denken, sondern müssen Systeme kreieren, bei denen die technische Infrastruktur das langfristige, auch sozial-räumliche Rückgrat bildet und die andockenden Ausbauten möglichst wenig normiert und maximal elastisch sind – mit modernen Holzwerkstoffen ideal zu machen.«
In diesem Sinne wäre jetzt zu fragen: Hat die kürzlich groß angelegte Wettbewerbsserie »Neue Siedlerbewegung« in Wien Optimales erbracht? Oder: Wo sind die Nachfolgeprojekte für Spöttelgasse, Mühlweg usw.? Vielleicht hilft dazu, auch breiteren Kreisen in Erinnerung zu rufen, dass Architektur wörtlich und historisch von der Holzbaukunst, der Zimmerei stammt. Der architekton der Griechen war der oberste, der Erz-Zimmerer. Und aus dieser Einsicht formulierte Gottfried Semper, der wichtigste Exponent einer soziokulturell und werktechnisch begründeten Architekturtheorie, dass die archaische Zimmerei die Kunst war, Stäbe oder aus Gittern gebildete Flächen konstruktiv zu verbinden, zu vernähen. Und er setzte die Begriffe »Noth« und »Nath« an den Ursprung der technisch über den Mauerbau hinausführenden Zimmerei. Könnte dieses Bild nicht auch für unsere globale Notzeit des Klimawandels, der Ressourcenproblematik, der aufschnellenden Schere zwischen Arm und Reich als Leitstern dienen?
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© Adolf Bereuter