Ein einzelnes Haus in sehr kurzer Zeit liefern und errichten? Heute kein Problem, verschiedenste Systeme sind verfügbar. Viele solcher Häuser in ebenso kurzer Zeit an einem Ort errichten? Auch keine unlösbare Aufgabe, alles nur eine Frage von Organisation und Logistik. Aber im selben kurzen Zeitraum ein nachhaltig funktionierendes Stadtgefüge konzipieren, planen und herstellen, und dies unter Berücksichtigung von Bevölkerungsstruktur und sozialer Verträglichkeit, ortsspezifischen Besonderheiten, Entwicklungspotenzial und Nachnutzungsszenarios? Das ist eine Herausforderung. Nachhaltiger Städtebau ist schon ohne erschwerte Rahmenbedingungen ein oft vernachlässigtes Feld. Kommt noch großer Zeitdruck dazu, fällt dieser fast unvermeidlich den äußeren Zwängen zum Opfer.
Das Wiener Büro trans_city setzt mit seinem Projekt »Emergency Village« bei ebendiesen Problemen an. Es will ein Expertensystem entwickeln, das als Planungs- und Entscheidungsfindungsinstrument für Situationen dienen kann, in denen Wohn- und Raumnot in kürzester Zeit gelindert werden müssen, in einem Zeitraum, der mit konventionellen Planungs- und Projektabläufen nicht realisierbar ist: vom Katastrophenfall bis hin zu kurzfristig benötigten Unterkünften, etwa bei Großveranstaltungen. Dazu gehören die Analyse der akuten Bedarfslage, die Konzeption einer nachhaltigen städtebaulichen Struktur, die Planung, Kalkulation, Lieferung und die Errichtung der Gebäude. Mit dem Expertensystem soll ein Feld für nachhaltigen und qualitätvollen Städtebau und Architektur erobert werden, das bisher aus Zeitmangel keine adäquaten Lösungen zugelassen hat.
Villa Sant’Angelo in den Abruzzen
Am Beispiel der stark betroffenen Ortschaft Villa Sant’Angelo, in der durch das Erdbeben vom April 2009 fast 90 Prozent der Gebäude zerstört wurden, entwickelte trans_city – vorerst auf Papier – ein Ersatzdorf für ca. 700 Einwohner. Nach Analyse der Bevölkerungsstruktur und der örtlichen Gegebenheiten wurde es für den Zeitraum des Wiederaufbaues konzipiert und in mehreren Bebauungsvarianten auf verschiedenen Grundstücken rund um das zerstörte Dorf simuliert. Eine variable Struktur von Wohnhöfen, gewissermaßen als Stadtbausteine, bildet einen flexiblen städtebaulichen Grundraster. Für die Gebäude wurde ebenso ein bausteinartiges System entwickelt – mit Wohneinheiten von zwei bis vier Zimmern –, das später problemlos auch Erweiterungen, Adaptierungen oder die Zusammenlegung von Wohnungen zulässt.
Als Konstruktionssystem für das Ersatzdorf wurde die Brettstapelbauweise gewählt, da die Kombination aus Vorfertigungspotenzial, konstruktiver Flexibilität, rascher und einfacher Montierbarkeit bei gleichzeitig hoher statischer Stabilität – also auch Erdbebensicherheit – den Beteiligten die beste Lösung für diesen Einsatzfall zu sein schien. Ein weiterer Anspruch an die technischen Konstruktionen ist nicht nur die kurze Errichtungszeit der Gebäude, sondern auch die ebenso rasche Demontierbarkeit sowie die zerstörungsfreie und sortenreine Trennbarkeit der einzelnen Bauelemente. Ein »Emergency Village« muss in kürzester Zeit abgebaut und andernorts wieder errichtet werden können.
Die Dorfanlage wird in enger Zusammenarbeit mit Produzenten und ausführenden Firmen bis zu einem hohen Detaillierungsgrad durchgeplant, kalkuliert und evaluiert. Dabei wird vor allem auf die Zusammenarbeit mit Firmen gesetzt, die in den letzten Monaten im Erdbebengebiet in den Abruzzen tätig waren und mit der dortigen Problemlage vertraut sind. Alle diese Erfahrungen werden in das Expertensystem einfließen und als Basiswissen für dann konkrete Anwendungsfälle zur Verfügung stehen.
Christian Aulinger, Architekt, Mark Gilbert, Architekt, Autor und Stadttheoretiker, und Georg Kogler, Projektentwickler, gründeten im Jahr 2009 die trans_city ZT GmbH, ein interdisziplinäres Büro für Urbanismus, Projektentwicklung und Architektur. Derzeit arbeiten sie an einem Masterplan für den Neubau einer Stadt mit 30.000 Einwohnern im Bundesstaat Andhra Pradesh/Indien, an Konzepten für temporäre Wohnanlagen in Wien-Aspern und einem Masterplan für die Neugestaltung der Taborstraße in Wien.