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Haste Töne! Raumakustik im Kindergarten

Raumakustische Maßnahmen sind beim Bau von Kindergärten ebenso im Auge zu behalten wie der bauliche Schallschutz gegen Außenlärm und störende Geräusche aus benachbarten Räumen.

erschienen in
Zuschnitt 37 Im Kindergarten, März 2010
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Kinder sind weit weniger als Erwachsene in der Lage, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und Hintergrundgeräusche auszublenden. Raumakustische Maßnahmen sind daher beim Bau von Kindergärten ebenso im Auge zu behalten wie der bauliche Schallschutz gegen Außenlärm und störende Geräusche aus benachbarten Räumen. Fehlende raumakustische Maßnahmen verursachen größere Lärmgeräusche, stören die sprachliche Verständigung und können gesundheitliche Schäden des Organismus durch Disstressbelastung des autonomen vegetativen Nervensystems zur Folge haben. Gerade Kinder mit Lern-, Aufmerksamkeits- oder Sprachentwicklungsstörungen, aber auch Kinder mit nicht deutscher Muttersprache brauchen optimale akustische Bedingungen. Die ÖNORM B8115-3 (1) hält diesbezüglich Mindestanforderungen fest.

Nachhallzeit und Schallabsorption

Das wichtigste, jedoch bei Weitem nicht einzige Kriterium für gute Hörsamkeit/Kommunikation in geschlossenen Räumlichkeiten ist die Nachhallzeit. Die Nachhallzeit T charakterisiert das zeitliche Abklingen der Reflexionen. Es ist die Zeit, die verstreicht, bis nach dem Ende eines Schallereignisses der Nachhall-Schallpegel um 60 dB gesunken ist. Sie wird nach der Sabine’schen Formel wie folgt berechnet: 

Nachhallzeit T = (0,163 * Raumvolumen [in m3])/Gesamtabsorptionsfläche A [in m2]

Niedrige Nachhallzeiten entstehen durch größere Schallabsorption. Diese größere Schluckung von Schallenergie bewirkt eine Verringerung des Lärms. Die ÖNORM B8115-3 (1) hält Mindestanforderungen für die Herstellung der optimalen Soll-Nachhallzeit für verschiedene Raumvolumen und für vier unterschiedliche Nutzungen fest (siehe Diagramm links). Für die Aktivräume in Kindergärten ist die Nutzungsvariante »Kommunikation« zu wählen, weil die geforderte niedrige Soll-Nachhallzeit sowohl hohe Sprachverständlichkeit als auch Lärmsenkung mit einschließt. 

Die Soll-Nachhallzeit gilt für das gesamte Frequenzspektrum von 63 Hz bis 6.300 Hz. Doch ist es meist nicht machbar, sie über den ganzen Frequenzbereich, also über alle acht Frequenzbänder (63, 125, 250, 500, 1.000, 2.000, 4.000, 6.300 Hz) gleich groß zu halten. Das wäre zumeist mit einem übertrieben großen Aufwand verbunden und ist für den herzustellenden optimalen Raumakustik-Eindruck auch gar nicht vonnöten. Die önorm lässt daher entsprechende Toleranzen zu.

Man bezieht nun die errechneten oder gemessenen Nachhallzeiten der sieben anderen Frequenzbänder auf die »mittlere« Frequenz 500 Hz (Oktavband). Diese ist die so genannte »Bezugsfrequenz«, für welche die Soll-Nachhallzeit eingehalten werden muss.

Für einen Kindergartenraum mit einem Volumen von 250 m3 und für die Nutzungsvariante »Kommunikation« entnimmt man dem önorm-Diagramm »Optimale Nachhallzeit« die optimale »Soll-Nachhallzeit« von 0,6 s. Dieser Wert wird auch als »Nenn-Nachhallzeit« bezeichnet, denn die Nachhallzeiten der anderen Frequenzbänder dürfen davon abweichende Werte haben. Die Abweichungen nach oben und unten müssen allerdings innerhalb der Toleranzgrenzen der önorm liegen (siehe Diagramm rechts).

Den Bezugspunkt (Faktor 1,0) bildet der Sollwert bei 500 Hz, der mit dem jeweiligen Faktor multipliziert werden muss. So wird überprüft, ob die Nachhallzeitwerte der anderen Frequenzen im faktoriellen Toleranzbereich liegen. Der Faktor 1,2 bedeutet dann beispielsweise eine um 20 % größere Nachhallzeit, der Faktor 0,6 eine um 40 % kleinere. 

Aus raumakustisch gesicherten Gründen ist nunmehr auch für die Tiefton-Frequenzbänder 125 Hz und 63 Hz nur noch eine Plus-Abweichung der Nachhallzeit von maximal 20 % erlaubt. Dadurch braucht man von nun an größere Absorberflächen für diese Frequenzbereiche, verbunden mit einer erhöhten planerischen Beachtung.

Die oben angegebene Sabine’sche Formel zur Errechnung der Nachhallzeit setzt ein hohes Maß an Schalldiffusität voraus, das heißt eine etwa gleichmäßige Schallverteilung im ganzen Raum.

Um das zu erreichen, müssen die verschiedenen Arten von Schallabsorbern im Raum richtig verteilt werden.

Die scheinbare Einfachheit der Sabine’schen Formel darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine optimale Raumakustik noch weitere wesentliche Bedingungen zu erfüllen sind. 

Im Anhang A der ÖNORM B8115-3 (1) werden dazu folgende Hinweise gegeben:

  •  keine einseitig konzentrierten Absorptionsflächen,
  •  keine schallfokussierenden Raumflächen,
  •  richtige Raumgeometrie (Abmessungen und Raumresonanzen),
  •  keine Flatterechos (zwischen parallelen Flächen),
  •  richtige Verteilung/Anordnung von schallabsorbierenden und schallreflektierenden Flächen,
  •  Direktschall und nützliche Reflexionen (innerhalb von 50 bis max. 100 Millisekunden),
  •  Beachten des unvermeidlichen Zusammenspiels aller akustischen Faktoren (Änderung eines Parameters ändert stets die anderen). 

Außerdem enthält dieser Abschnitt der Norm brauchbare Schnittskizzen von geeigneten und von ungünstigen Raumkonfigurationen. 

Die akustische Gestaltung von Kindergärten betrifft nicht nur die Gruppenräume, sondern auch Flure, Treppenhäuser und andere Nebenräume. Für solche Räumlichkeiten gelten die etwas einfacheren Anforderungen der ÖNORM B8115-3 (1) im Abschnitt 4.3, »Anforderungen für die Lärmminderung«. 

Auch der Schallpegel von Vorführgeräten, Beleuchtungseinrichtungen, Lüftern und Ähnlichem darf den höchstzulässigen Grundgeräuschpegel, hier z. B. 30 dB, nicht übersteigen (ÖNORM B8115-2 (2), Tabelle 3). Dies ist bei der Auswahl der Geräte zu beachten.

Raumakustische Gestaltung von Kindergärten

Zur Erreichung der für Raumgröße und Nutzung optimalen Nachhallzeit müssen die Raumbegrenzungsflächen unterschiedliche Schallabsorptionseigenschaften in ganz bestimmtem Flächenausmaß aufweisen.

Um dabei den gesamten relevanten Frequenzbereich (63 Hz bis 6.300 Hz) zu erfassen, braucht man verschiedene Schallabsorber-Typen, zum Beispiel solche für hohe Frequenzen, für mittlere (etwa in der Gegend unterhalb des Kammertons a) oder für die tiefen (Basston-)Frequenzen. Darüber hinaus gibt es auch Arten, die die verschiedenen Tonbereiche überlappen.

Generell gilt: Naturbelassene Holzflächen liefern einen wärmeren Klang als lackierte Oberflächen, weil ihre Fein-Porosität (= geringe Absorption) den sehr hohen Frequenzen die »Schärfe« des Klangs nimmt. Das Gleiche gilt für imprägnierte oder geölte Hölzer, wenn die Holzporen offen bleiben, also nicht »luftdicht« verschlossen werden. Lackierte Holzflächen können das dagegen nicht. Sie wirken ebenso klangscharf wie Glasflächen, glatte Betonflächen oder Gipskarton. 

Decke
Hier empfehlen sich abgehängte Decken mit Lochung oder Schlitzung und mit geeigneter Faserstoff-Hinterlegung. Diese besitzen einen sehr großen Schallabsorptionsgrad bei mittleren Frequenzen. Tiefton-Absorber sind zusätzlich für eine gute Raumakustik erforderlich. Der hinterlegte Faserstoff soll durch einen optimalen (Luft-Durch-)Strömungswiderstand ausreichend Schallenergie »vernichten«. Der längenspezifische Strömungswiderstand wird wegen seiner akustischen Bedeutung von den Herstellern seit einiger Zeit in den Produktdokumentationen angegeben. Lochungsgrößen und Lochflächenanteil an der Gesamtfläche müssen jeweils passend gewählt werden. Bei Holzlatten-Schlitzdecken ist analog zu dimensionieren. Loch- oder Schlitzplatten sowie Täfelungen aus Holzmaterial werden in großer Auswahl angeboten und sind bezüglich ihrer Absorptionsgrade gut dokumentiert.

Wände
Die Aufgabe der Wände ist es vor allem, Absorberflächen für tiefe Frequenzen aufzunehmen. Holzplatten verschiedener Dicke (deshalb auch Plattenabsorber genannt), vor einem Luftraum mit bestimmter Tiefe montiert und mit geeigneter Faserstoffeinlage versehen, sind besonders geeignet, wenn sie richtig dimensioniert sind. Die Gewichtsmasse der Platten und die Elastizität (Federwirkung) des dahinterliegenden Luftraums bilden ein so genanntes schwingungsfähiges Feder-Masse-System, dessen Resonanzfrequenz in den gewünschten Bereich der tiefen Frequenzen gelegt wird. Der energieverbrauchende Strömungswiderstand des hinterfüllten Faserstoffs verbessert den Absorptionsgrad. Tiefton-Absorber sind stärker wirksam, wenn sie in Raumecken und Raumkanten angebracht werden. 

Fußböden
Fußbodenkonstruktionen dienen der Trittschalldämmung und sind daher auf eine sehr niedrige Eigenfrequenz abgestimmt (z. B. auf ca. 100 Hz und darunter), bei Trockenestrichen zumeist noch tiefer (bis zu 50 Hz). Sie haben gleichzeitig den erkennbaren Charakter von großflächigen »Plattenabsorbern«, bilden also auch raumakustisch nützliche Tiefstton-Absorberflächen. Die bei Hohlböden einzulegenden Faserstoffe müssen ebenfalls einen ausreichend großen Strömungswiderstand aufweisen.

Es sollte nicht übersehen werden, dass Raumakustik schon wegen ihrer Dreidimensionalität und ihres Wellencharakters eine nicht ganz einfache Angelegenheit ist. Optimale Lösungen bei der Planung von Räumen jeder Art und Größe setzen fundiertes Know-how, große Erfahrung und meist auch den Einsatz von hochqualitativer Simulationssoftware voraus. Die sachkundige Interpretation und Auswertung der Ergebnisdaten aus den Prognoserechnungen bietet Gewähr für die immer stärker geforderte Erfolgssicherheit auch im Hinblick auf die Kosten von raumakustischen Adaptierungen.

Wichtigste relevante ÖNORMEN:
1) ÖNORM B8115-3 Raumakustik im Hochbau, Ausgabe November 2005
2) ÖNORM B8115-2 Anforderungen an den Schallschutz, Ausgabe Dezember 2002 ÖNORM EN 12354-6 (Bauakustik), Schallabsorption in Räumen, Berechnung der Nachhallzeit, Schallabsorptionsdaten


verfasst von

Karl Brüstle

  • langjährige operativ und planerisch leitende Tätigkeit im Österreichischen Rundfunk ORF 
  • seit 1987 eigenes Ingenieurbüro für Technische Akustik, primär für Sonderfragen
  • seit 1987 Univ.-Lehrauftrag in Wien für Akustik und Bauphysik (Architektur) 
  • seit 1997 FH-Lehrauftrag am Campus Wien für Bau- und Raumakustik (Bauingenieurwesen)

Erschienen in

Zuschnitt 37
Im Kindergarten

Im Kindergarten sollen die Kinder reifen und wachsen wie eine Pflanze – daher auch der Name. Dabei kommt es auf jedes Detail an, auf das Licht, das Klima und den richtigen Humus.

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Zuschnitt 37 - Im Kindergarten