Viele Dinge des Alltags sind aus Holz. Bei vielen von ihnen ist uns das Holz so alltäglich, dass es nicht weiter auffällt. Utensilien nannte man einst jene Gegenstände, bei denen der Gebrauch so stark im Vordergrund steht, dass wir den Unterschieden ihrer materiellen Beschaffenheit nicht allzu viel Aufmerksamkeit widmen. Zu Kleiderbügeln, Kochlöffeln und Bleistiften pflegt nur ein kleiner Teil der Menschen die intensivierte Beziehungsform des Gourmets oder Fetischisten. Woraus Zahnstocher, Eisstiele und Streichhölzer bestehen, ist schließlich allen egal. Doch es gibt sie: Stammkunden des Manufactum-Katalogs, Alphamänner, die auf hölzerne Schuhstrecker schwören, Kräuterfrauen, die fürchten, aus dem Kunststoffschneidbrett könnten böse Moleküle vergiftend ins Biogemüse eindringen. Vom Marketing nach Kräften angespornt, mehrt sich die Minderheit der Obsessiven langsam, aber stetig. In ihren wohlinformierten Augen wandelt sich Alltägliches zu Besonderem.
Gegenüber den praktisch Orientierten finden sich – am anderen Ende des Spektrums – die Holzbegeisterten. Nicht nur das Material ist ihnen nicht egal, auch auf feinste Nuancen der Oberflächen und Farbtönungen, kombiniert mit spezieller Formgebung des Gegenstands, legen sie großen Wert. Seit die Gesellschaft in immer mehr Kulturen zerfällt, die nebeneinander und auch gemischt koexistieren, hat auch das Holz seine möglichen Bedeutungen vervielfacht. Neue Moden, Trends, Ideologien und Marketingoffensiven vermehren kontinuierlich die Mythen und Zuschreibungen, mit denen hölzerne Dinge aufgeladen werden. Damit wird Holz zum Spiegel, in dem sich die jeweils aktuelle Gliederung der Gesellschaft in subkulturelle Milieus, Werte- und Glaubensgemeinschaften abbildet. Holz wird zum Medium und zur Sprache, die uns verschiedene Geschichten erzählt und erzählen lässt.
Zeige mir deinen Holz-Mix, und ich sage dir, wer du bist. Zwischen rustikalem Braun und Biedermeierfurnier tun sich kulturelle Abgründe auf. Fischgrät- oder Stabparkett, das ist die Frage, an der Liebe und Hass gegenüber der architektonischen Moderne sich scheiden. Eine hohe Zahl an Astlöchern in hellem Holz bemisst den Grad jener Bio-Gesinnung, die in den 1980er Jahren Verbreitung fand. Ebenfalls unlackiert, jedoch ohne Astlöcher und in graubraun stumpfen Tönungen kommen jene Produkte daher, die dem Wellnesskult seine hölzernen Formen der Anschaulichkeit geben.
Holz ist zum Wellnessbaustoff schlechthin geworden. Im Bezugssystem der Wellnessbewegung symbolisiert es »Natürlichkeit« und »Gesundheit«. Dank dieser doppelten Zuschreibung fungiert Holz als tragende Säule der Ideologie, da es die vermeintliche Einheit der beiden Begriffe verkörpert.
Für Wellnessjünger gilt nämlich Gesundheit als natürlich und die Natur als gesund. Die Hohepriester gehen so weit, im Holz an und für sich ein Heilmittel des Leibes, des Geistes und der Seele zu sehen.
Auch wenn Krankheit ein Naturphänomen ist, dessen Heilung teils durch die Regenerationsfähigkeit des Organismus, teils durch menschliche Eingriffe erfolgt, stört doch das Realitätswidrige der Gleichsetzung von Natur und Gesundheit die Wellnessgläubigen kaum. Schließlich ist es das Wesen jeder Heilslehre und Religion, Wunschvorstellungen den Vorrang gegenüber der Wirklichkeit einzuräumen. Und weil der Glaube Berge versetzt, wirkt schließlich auch der Holzglaube heilsam. Ist denn nicht alles wirklich, was wirkt?
Über jeden Zweifel erhaben ist die heilbringende Wirksamkeit des Wellnessfaktors auf die Holzmärkte. Das von der Lebensmittelindustrie für die Verbreitung der Naturgesundheitsesoterik eingesetzte Kapital kann nun mit wenig zusätzlichem Aufwand vom Holzmarketing lukriert werden. Der Imagetransfer gelingt umso besser, je genauer man versteht, wie der Wellnessgedanke funktioniert.
Einige wesentliche Unterschiede zum Naturbezug der Ökobewegung zeichnen die Wellnesswelt aus: In den 1980er Jahren wollte man auf Konsum und Ästhetik verzichten, um die Natur zu retten – die Ökos waren Altruisten. Die Wellnessbewegten sind Egoisten, ihr eigenes Wohlbefinden soll umfassend und mittels Konsum teurerer Waren und Dienstleistungen gesteigert werden. Nicht Rohes und Ungeformtes, sondern höchste Ästhetisierung heben sie deutlich von allen Müslis und Schafzuchtträumern ab. Was man früher eine »Schönheitsfarm« nannte, wurde durch milde Beimischungen »fernöstlicher« Esoterik zum Wellnesstempel weiterentwickelt. Hier unterzieht man sich Ritualen der Salbung, Reinigung und besänftigenden Hautberührung, um jene Spannungen abzubauen, die aus der alltäglichen Unvereinbarkeit von Zielen wie Fitness, Geld, Fairtrade, Erfolg, Umweltschonung, Schönheit, Askese, Genuss, Luxuskonsum, gutem Gewissen, Arbeitsleistung, Design und Kinderbetreuung resultieren. Die viel beschworene Ganzheitlichkeit liegt in dem Versprechen, die Überforderung durch die Zerrissenheiten des urbanen Lebens abwaschen, abspannen und harmonisieren zu können, zwei Stunden oder auch mal ein Wochenende lang. Vor allem aber ist Wellness eines: ein Lifestyle, eine Designanforderung der »Healthstyle«-Zielgruppe an den Markenauftritt der Produzenten. Wer da mitgeht, hat Wellness in der Kasse. Als diffuser (Mehr-)Wert in Form eines präzisen Designstils sickert der Wellnessfaktor in den Alltag ein. Immer mehr hölzerne Gebrauchsdinge lädt er auf mit magischer Bedeutung. Mit Wellnessdesign erglänzt das Holz im Schein der neuen Werte.
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© Kimmo Räsänen, www.saunasavu.com