Die Einflüsse sind aber nicht zu leugnen und die Werkstoffe Holz und Stahl sind in den Arbeiten des Künstlers ebenso omnipräsent wie der DIY-Chic, den Tuazons Kleidung versprüht. Es sind letztlich hybride Skulpturen an der Schnittstelle zur Architektur, in denen industriell gefertigte Materialien ebenso eine Rolle spielen wie gefundene Versatzstücke aus der Natur.
Formale Anknüpfungspunkte sind sowohl im US-amerikanischen Minimalismus zu finden wie auch in der Arte Povera. In der Fusion dieser beiden Kunstströmungen liegt auch die Spannung, die Tuazons Arbeiten innewohnt. Für ihn gibt es diese Gegensätzlichkeit und strikte Unterscheidung in der kunstgeschichtlichen Rezeption jedoch nicht, vielmehr interessiert ihn ihre Übersetzung und Zusammenführung. Unabhängigkeit, Nachhaltigkeit und Freiheit sind die Parameter, nach denen Tuazon auch im Kollektiv, entweder mit seinem Bruder Eli Hansen oder seinen Partnern aus der Galerie castillo/corrales Projekte, Arbeiten und Ausstellungen realisiert. Dabei geht es ihm nicht um ein verklärtes, romantisches Weltbild, sondern um mehr gestalterische Fantasie in der alltäglichen Lebensführung. 2008 unternahm Tuazon gemeinsam mit Eli Hansen die abenteuerliche Reise zur Insel Afognak, einer abgelegenen, unbewohnten und verschneiten Insel im Kodiak-Archipel vor der Südküste Alaskas. Dort errichteten sie während ihres zehntägigen Aufenthalts eine Hütte, die sie lediglich mit ein paar mitgebrachten Utensilien und den dort vorgefundenen Materialien zusammenbauten. Diese Unterkunft wurde in der Arbeit »Kodiak« zum Symbol der persönlichen Grenzerfahrung und einer narrativen Struktur, die später in einem Ausstellungsraum des Seattle Art Museums von den beiden Künstlern zitiert wurde. Dabei verwendeten sie nur Bruchstücke der architektonischen Konstruktionsbehausung und schufen einen fragmentarischen Erzählstrang, der Raum ließ für individuelle Projektion und Sehnsucht nach alternativen, revolutionären Gesellschafts- und Wohnmodellen. Das 1854 erschienene Buch »Walden; Or, Life in the Woods« von Henry David Thoreau, in dem er über seine Jahre berichtete, die er in einer spartanischen Blockhütte in den Wäldern von Massachusetts verbrachte, war Teil des ideologischen Unterbaus.
Der performative Ansatz von »Kodiak« spielt aber nicht in allen Arbeiten Tuazons eine Rolle, seine jüngsten Ausstellungen beschäftigen sich zunehmend mit skulpturalen Fragestellungen. In einer seiner letzten großen Einzelausstellungen, »Bend it till it breaks« von 2010, zugleich auch der Titel der hier abgebildeten Arbeit, zeigt Tuazon eine monumentale Konstruktion. Sie besteht aus vertikalen und horizontalen Holzbalken und quer verlaufenden Betonträgern, die am äußersten Rand von Ketten in der Schwebe gehalten werden.
Diese fragile Skulptur, die Tuazon für das Centre international d’art et du paysage de l’île de Vassivière entworfen hat, dient keinem anderem Zweck als den, die statischen Limits ihrer einzelnen Komponenten Holz, Stahl und Beton bis zum Äußersten zu strapazieren. Die Faszination dieser Skulptur liegt in ihrer inhärenten architektonischen Kritik, in ihrer sprichwörtlichen Spannung und dem Aufzeigen alternativer Konstruktionskonzepte.
Oscar Tuazon
geboren 1975 in Seattle/Washington
lebt in Paris, New York und Tacoma
Studium an der Cooper Union; Teilnehmer am Whitney ISP, New York
Einzelausstellungen (Auswahl)
- 2010 Centre international
d’art et du paysage de l’île de Vassivière
Kunsthalle Bern, Bern
Centre d’art contemporain du Parc Saint Léger, Pougues-les-Eaux - 2009 Künstlerhaus Stuttgart, Stuttgart
Ass To Mouth, Galerie
Balice Hertling, Paris
Standard (Oslo), Oslo - 2008 Maccarone, New York
Kodiak, Seattle Art Museum, Seattle - 2007 Where I lived, and what I lived for, Palais de Tokyo, Paris
Oscar Tuazon/Mike Freeman, castillo/corrales, Paris
Gruppenausstellungen (Auswahl)
- 2009 Evento, Bordeaux
lmcc Sculpture Park,
New York - 2008 September Show, Tanya Leighton, Berlin
Kunst Halle Sankt Gallen,
St. Gallen - 2007 Exposition n°1, Galerie
Balice Hertling, Paris
Standard (Oslo), Oslo - 2006 Down By Law, The Wrong Gallery, Whitney Biennial, Whitney Museum of American Art, New York
An Open Operation, Edinburgh College of Art, Edinburgh
Fotos
© François Doury