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Der Tiroler Wink mit dem Zaunpfahl

Holzzäune, die ältesten Zeugnisse bäuerlicher Kultur, wurden nach bestimmten Methoden errichtet. Aber nicht nur die Begrenzung war ihre Funktion, der Bereich des Zaunes, war auch ein magischer Ort.

erschienen in
Zuschnitt 41 landauf - landab, März 2011
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Sollten Sie in nächster Zeit einmal im Tiroler Bergland auf einer Wanderung zu späterer Stunde kräftigen Männern begegnen, so muss es sich weder um Förster noch um Jäger, Bauern oder Hirten handeln, nicht einmal um Wilderer, sondern einfach um junge Zaunbauer, die Holzzäune nach alten Methoden und mit entsprechenden Materialien errichten. Sollte sich aber ein Männlein darunter befinden, das seinen Kopf unter dem Arm trägt, so handelt es sich einfach um jemanden, der dabei die Grundgrenze verschoben hat und jetzt keine Ruhe mehr finden kann. Wer alte Bräuche und bäuerliche Gewohnheiten neu installiert, muss eben auch damit rechnen, dass er alte Geister weckt.

Wie kommt es dazu? Zäune zählen zu den ältesten Zeugnissen bäuerlicher Kultur und können sogar durch archäologische Untersuchungen im Alpenraum dokumentiert werden. Mit der Wandlung zur modernen Landwirtschaft hat sich aber auch in Tirol das Aussehen der Kulturlandschaft verändert: Die alten, teilweise seit Jahrhunderten in Gebrauch stehenden Zäune mussten den modernen maschinellen Bearbeitungsmethoden weichen oder wurden durch Zäune aus modernen Materialien ersetzt. Heute sind die Holz-Weidezäune fast überall vollständig aus der Landschaft verschwunden und haben Litzen-, Maschendraht- und Flexinetzäunen Platz gemacht. Die historischen Praktiken der Zaunherstellung sind jedoch nicht völlig vergessen und man versucht nun, diese prägenden Elemente vieler Kulturlandschaften auf Weiden und Feldern zu erhalten, indem man neue Holzzäune nach alter Manier aufstellt. Denn die Funktion traditioneller Holzzäune lässt sich heute zwar einfach und kostengünstig ersetzen, wie der Schweizer Agrarökologe Andreas Bosshart schreibt, »doch nicht das Stück Musik, Poesie und Inspiration, das sie in die Landschaft bringen«. Nun sind wir schon so weit in der Postmoderne vorgerückt, dass wir derartige Botschaften entspannt vernehmen und keine Diskussion über die Wahrheit der Funktion und ihre Form der Gestaltung vom Zaun brechen oder etwa den modernen Zaun fordern würden.

Die Schweizer sind uns in der Wissenschaft vom alpinen Holzzaun noch voraus, der sich je nach Aufgabe, Lage in der Landschaft, verfügbarem Material, aber auch je nach lokalen Traditionen in verschiedenste Typen aufteilt. Sie unterscheiden drei Gruppen: erstens die Schrank- oder Kreuzzäune, die sich ihre Festigkeit weitestgehend selbst geben, keine tiefe Verankerung im Boden benötigen und deshalb bei Bedarf – zum Beispiel in Schneedrucklagen – im Herbst abgebaut und im Frühjahr rasch wieder aufgestellt werden konnten; zweitens die Lattenzäune, bei denen waagrechte oder schräge Latten mit eingerammten Pfosten verbunden wurden; und drittens die Flecht- und Stangenzäune, die besonders arbeits- und holzintensiv waren und vor allem zur Umfriedung von Gärten gebraucht wurden. Aber auch die Tiroler haben ihre Quellen: Eine in einer Zillertaler Wallfahrtskirche befindliche Votivtafel dient als »kleine Zaunkunde«. Auf der Darstellung einer typischen Zillertaler Mittelgebirgslandschaft kann man neben Häusern, Feldern und Waldstücken auch Stangen-, Schrank- und Plankenzäune erkennen.

Wenn man den Begriff Kulturlandschaft ernst nimmt und die alten Holzzäune kulturell interpretieren möchte, ist es mit dem Aufstellen allein nicht getan. Denn die wirkliche Bedeutung dieser Zäune lag nicht in ihrem romantischen Erscheinungsbild, sondern in der kulturellen Wirklichkeit einer Gesellschaft, die Grenzen immer auch als Trennung einer geschützten Endosphäre von der gefährlichen Exosphäre ansah und erlebt. Der Bereich des Zaunes, vor allem aber der Tür war immer ein zauberischer Ort, der nicht unbedacht passiert werden durfte. Das beginnt schon damit, dass man die Zäune nur zu bestimmten Mondphasen aufstellen sollte. Auch sollte man zahlreiche Dinge beachten, etwa dass man das Gatter nicht zuwerfen darf: Es könnte arme Seelen verletzen oder gar erschlagen, weil der Zaun Aufenthaltsort von allerlei Geistern ist. Auch sollte man nie ein Kleidungsstück über den Zaun hängen (wer den Zaun zuerst bekleidet, der muss den Sarg zuerst bekleiden). Man kann aber auch viel Zauber am Zaun betreiben, vornehmlich zu Nachbars Schaden, etwa das Weghexen der Milch bei dessen Kühen. Darüber hinaus kann der Zaun als Orakel dienen, vor allem bei der Suche nach dem künftigen Ehegatten. Wer den Zaun richtig zu schütteln versteht, erfährt, wann und wo ihn das Glück ereilen wird. Das damit ausgelöste Hundegebell weist die Richtung des künftigen Bräutigams. Es gibt eine Vielzahl von Zaubersprüchen, die dabei aufgesagt werden. Und eines noch: Zaunstecken sollen auch eine hervorragende Eignung zum Hexenritt haben. Vielleicht sollten die Tiroler doch lieber die Flexinetzäune stehen lassen.

Illustration:

© Land Tirol


verfasst von

Manfred Russo

Kultursoziologe und Stadtforscher. Er war zuletzt Professor an der Bauhaus-Universität Weimar. Langjährige Lehrtätigkeit an der Universität Wien und anderen Hochschulen, im Vorstand der ÖGFA, Sprecher Sektion Stadtforschung der österreichischen Gesellschaft für Soziologie, zahlreiche Studien und Ver­öffentlichungen zum Thema Stadt, zuletzt: Projekt Stadt. Eine Geschichte der Urbanität, 2016 bei Birkhäuser.

Erschienen in

Zuschnitt 41
landauf - landab

Holz gehört zur Landschaft wie die Maserung zum Brett. Es begegnet uns überall: als Wegweiser, als Zaun, als Steg sowie als Fläche zum Gehen, Sitzen und Liegen. Holz im Freien wirkt irgendwie befreiend.

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Zuschnitt 41 - landauf - landab