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Systematisch aufstocken
Verdichtungsstudie für Graz

An der TU-Graz werden seit 2008 die Möglichkeiten untersucht, die aus der systematischen Aufstockung von gründerzeitlichen Blockrandbebauungen für die Stadt Graz erwachsen könnten.

erschienen in
Zuschnitt 42 Obendrauf, Juni 2011
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Mit der Abwanderung aus vielen ländlichen Regionen Österreichs und einem dementsprechend wachsenden Druck auf die größeren Ballungszentren und ihre Speckgürtel ist auch in Zukunft zu rechnen. Am Institut für Gebäudelehre der Technischen Universität Graz beschäftigt man sich daher seit 2008 mit unterschiedlichen architektonischen Aspekten der städtischen Verdichtung. Unter anderem untersucht Universitätsassistentin Ida Pirstinger im Rahmen ihrer Doktorarbeit die Möglichkeiten, die aus der systematischen Aufstockung der gründerzeitlichen Blockrandbebauung für die Stadt Graz erwachsen könnten.

Welche prinzipiellen Fragestellungen liegen deiner Arbeit zugrunde?

Es geht dabei um die ganz grundlegenden Themen Urbanität, Stadtentwicklung, Architektur und Nachhaltigkeit. Das beinhaltet in Graz automatisch eine Auseinandersetzung mit der Dichte, die hier besonders niedrig ist. Es gibt ausgedehnte Einfamilienhausgebiete, extrem viel Grünraum und ganz wenige Quartiere mit hoher bzw. dichter Bebauung. Die Frage lautet also: Wie kann man auf gebäudetypologischer Ebene die Stadt verdichten, urbaner machen, ohne an die Peripherie gehen zu müssen?

Hier kommt der Gründerzeitblock ins Spiel?

Ja, denn im Vergleich mit Wien oder Berlin sind die Grazer Gründerzeitblöcke niedrig und haben keine bebauten Innenhöfe. Die meisten bestehen aus einem Erdgeschoss und zwei Obergeschossen, obwohl laut Bauordnung schon damals vier Obergeschosse möglich gewesen wären. Aber erstens gab es in Graz keinen besonders ausgeprägten Expansionsdruck und zweitens waren die Bauherren nicht ausschließlich an Gewinnmaximierung interessiert, wohnten sie doch – zumindest in den bürgerlichen Quartieren – nicht selten selbst in den von ihnen errichteten Bauten. Sie hielten dabei an den liebgewonnenen biedermeierlichen Wohnvorstellungen weitgehend fest, daher gibt es auch die gro­ßen begrünten Innenhöfe und eine Bebauungsdichte von meist zirka 1,7, was für zentrale städtische Quartiere nicht sehr hoch ist.

Das bedeutet, dass hier noch Potenzial vorhanden ist?

Genau, und zwar nicht nur hinsichtlich der Bebauungsdichte. Es geht ja auch um eine Art von urbaner, lebendiger Dichte, um ein ausgewogenes Verhältnis in der Anwesenheit von Menschen bei Tag und bei Nacht, um eine soziale und demografische Mischung, um unterschiedliche Nutzungen – von verschiedenen Wohnformen über Büros bis hin zur gewerblichen Nutzung. Das sind Eigenschaf­ten, die der Gründerzeitstadt in ihrer ursprünglichen Form immanent sind, ihr zum Teil aber abhanden gekommen sind und durch eine höhere Bevölkerungsdichte wieder verstärkt werden könnten. Die Kombination von ausgezeichneter urbaner Infrastruktur und direkt an die Wohnung angeschlossenem Grünraum könnte für viele Menschen, vor allem Familien, ein überzeugendes Argument gegen das Haus mit Garten im Speckgürtel sein.

Wie hoch wäre eine mögliche Bebauungsdichte und was spricht dagegen, die Höfe zu bebauen? Wäre das nicht unkomplizierter?

Mit Aufstockungen von durchschnittlich zwei Geschossen, die ohne Weiteres möglich wären, käme man auf eine Dichte von 2,6 bis allerhöchstens 3. Das wäre vom Straßenprofil her denkbar und man würde in etwa die bestehende Firsthöhe erreichen. Würde man die Innenhöfe bebauen, ginge deren ganz spezielle Qualität verloren und es müssten – unter Einhaltung der vorgeschriebenen Bau­abstände – zehngeschossige Punkthäuser in den Höfen errichtet werden, um dieselbe Dichte zu erreichen. Das ist meiner Meinung nach keine Alternative.

Wie könnten diese Aufstockungen konkret aussehen, damit sie die Anforderungen erfüllen, an die du denkst, und in welchen Größenordnungen könnte sich das abspielen?

Der wichtigste Aspekt überhaupt ist, dass die Aufstockungen nicht gebäudebezogen sein dürfen, sondern dass immer ein Karree im Ganzen betrachtet wird. Einzelne Dachbodenausbauten bringen weniger Fläche und weniger wohntypologische Vielfalt, weil man zu sehr an die Kleinteiligkeit des Bestandes gebunden bleibt. Die Dachlandschaft selbst wird dadurch gebäudeweise verändert und stark diversifiziert. Die Gründerzeitblöcke wurden aber gestalterisch jeweils als Gesamtheit angelegt, dieser formale Zugang müsste – wenn auch durchaus kontrapunktisch – aufgegriffen werden. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass – je nach Größe und Vielfalt von Wohnungstypen – 40 bis 80 zusätzliche Wohneinheiten pro Block geschaffen werden könnten. In Graz gibt es 300 bis 400 für die Überlegungen relevante Blockrandbebauun­gen, vielleicht 100 bis 150 davon wären für eine zweigeschossige Aufstockung tatsächlich geeignet. Die Aufstockung in jedem Block entspräche mindestens 40 bis 50 Einfamilienhäusern, und wenn man das mit 100 multipliziert, kann man sich vorstellen, wie viel Fläche man dafür am Stadtrand bräuchte. Trotzdem ist es wirklich wichtig, nicht nur abstrakt in Quadratmetern und aus Investorensicht zu denken, sondern jeden Einzelfall genau zu betrachten. Die Maßnahmen müssen in jeder Hinsicht qualitätvoll sein und auch für den Bestand und seine BewohnerInnen eine Verbes­serung bringen, nur dann funktioniert das Konzept aus städtebaulicher und gesellschaftlicher Sicht.

Ist diese Lösung nur für Graz denkbar?

Bisher gehen die Untersuchungen von Graz aus. Es gibt aber auch andere Städte, etwa in Deutschland, die ähnliche Strukturen ­haben, wenn auch selten so weitläufig zusammenhängend wie in Graz. Es muss aber auch nicht unbedingt eine gründerzeitliche Blockrandbebauung der bestehende Rahmen sein. Es können ­natürlich auch jüngere Bauten sein – Voraussetzungen sind der Hof, das Straßenprofil und entsprechende statische Gegebenheiten.

Damit wären wir bei den konstruktiven Rahmenbedingungen. Welche Überlegungen hinsichtlich der Statik und des Baumaterials gibt es? Spielt Holz dabei eine Rolle?

Seriöserweise muss bei jeder Aufstockung die Statik überprüft werden. Graz ist jedoch kein Erdbebengebiet und nach der derzeitigen Gesetzeslage ist ein zweigeschossiger Dachausbau kein Problem. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die Leichtbauweise sinnvoll ist, auch wenn wir das Thema viel mehr aus gebäudetypologischer als aus hochbautechnischer Sicht behandeln. Trotzdem: Leichte, schnelle, trockene und flexible Bauweise ist ein Vorteil – und damit liegt die Verwendung von Holz auf der Hand. Die meis­ten Gründerzeithäuser haben außerdem eine dreiachsige Struktur mit tragenden Wänden in Längsrichtung. Wenn man darüber hölzerne Scheiben spannt, ist man im Bereich der Aufstockung vom Grundriss her flexibel. Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt: Die aktuelle Debatte um die energetische Optimierung im Althausbestand betrifft natürlich auch Gründerzeithäuser. Wenn diese mit Holz und in entsprechender Bauweise aufgestockt werden, dann verbessert sich die energetische Gesamtperformance des Gebäudes maßgeblich und man kann darauf verzichten, es in Wärmedämmung zu verpacken.

Kontakt

DI Ida Pirstinger
Institut für Gebäudelehre TU Graz
www.gl.tugraz.at

Foto

© Martin Strobl


verfasst von

Eva Guttmann

ist Autorin, Lektorin und Herausgeberin im Fachbereich Architektur

Erschienen in

Zuschnitt 42
Obendrauf

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Zuschnitt 42 - Obendrauf