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Erfindung eines Mediums
Architekturmodelle der frühen Renaissance

So wie heute war das Modell im 15. Jahrhundert ein erweitertes Planungsmedium. Die Bauherren jedoch erkannten Modelle als Gelegenheit an, von einem geplanten Bau vorzeitig Besitz zu ergreifen.

erschienen in
Zuschnitt 44 Denkraum Holz, Dezember 2011
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Das Architekturmodell ist ein Medium der Darstellung. Es bündelt räumliche Vorstellungen und Ideen, die zuvor auf anderen Ebenen abstrakt festgelegt wurden, und übersetzt sie in eine plastische Form. Mit dem Architekturmodell tritt die Gestaltungsidee eines geplanten Bauwerks erstmals dreidimensional auf, es repräsentiert sie jedoch nur in einer mittleren Genauigkeit, das heißt, viele Informationen, die in der maßstabsgerechten Zeichnung exakter zu finden sind, werden im Modell auf die zur Darstellung notwendigen Werte reduziert. Sein Zweck ist es in der Regel auch nicht, als unmittelbare Vorlage für die Bauarbeiten zu dienen, es ist ein Zwischenschritt in der Planung. Das Modell enthält also zugleich mehr und auch weniger Information als die Zeichnung. Gerade das gegenüber der realen Ausführung abweichende Material des Modells – also Holz statt Ziegel, Putz oder Stein – und die meist nur summarische Qualität seiner Details schaffen jene ästhetische Distanz, die notwendig ist, um die weitere Planung offenzuhalten. Je weiter das Modell durch farbige Gestaltung, imitierte Oberflächen und realistische Details einer miniaturisierten Ausführung angenähert wird, desto mehr erstarrt es in einer Art Puppenhaus-Effekt. Das Architekturmodell ist in seiner heutigen Verwendung eine originäre Erfindung der Frührenaissance. Dies lässt sich anhand der vielen erhaltenen und der zahlreich dokumentierten Modelle aus der Zeit von etwa 1350 bis um 1500 gut belegen. »Erfindung« meint hier, dass das Modell in einem zeitlich begrenzten Prozess in seinen wesentlichen Funktionen in der Praxis und in der Theorie entwickelt wurde. Denn trotz aller technischen Verfeinerungen in seiner Herstellung hat das Architekturmodell seine grundsätzlichen Möglichkeiten von der Renaissance bis heute nur kaum verändert. Vor diesem Zeitraum, das heißt vor 1350, sind Modelle als Planungsmedium nicht nachweisbar, und es ist davon auszugehen, dass es sie in dieser Aufgabe auch nicht gegeben hat.

Die Anfänge des Architekturmodells in Italien

Schon kurz nach der Mitte des Trecento finden sich beim Bau des Doms in Florenz und wenig später auch bei der Planung von San Petronio in Bologna die ersten proportionalen Gesamtmodelle der Architekturgeschichte. In Florenz ist ein solches für das Jahr 1367 bezeugt, in Bologna im Jahr 1390. Aber es handelte sich noch keineswegs um Modelle nach unserer heutigen Vorstellung, sondern um kleine, aus normal großen Ziegeln gemauerte Gebäude. Für das Modell von San Petronio lässt sich ein Maßstab von 1 : 12 belegen, was bedeutet, dass es rund 15 Meter lang und immerhin gut 3,5 Meter hoch war. Seine Anfertigung benötigte zwei Jahre und seiner Form und seinem Umfang entsprechend wurde es daher in den Dokumenten auch als »cappella« bezeichnet. Größe und Maßstab des ersten Gesamtmodells von Santa Maria del Fiore von 1367 sind aus den Quellen zwar nicht mehr zu ermitteln, doch gibt die Tatsache, dass es innen begehbar war, eine ungefähre Vorstellung von seiner Größe. Abgesehen von einigen kleineren Ziegel- und Gipsmodellen sind solche monumentalen gemauerten Gesamtmodelle nur in diesen beiden Fällen nachweisbar. Beinahe gleichzeitig war in Mailand eine »ecclesia in lignamine«, ein hölzernes Modell für den Dom, nach den Anweisungen eines Baumeisters Simone di Cavagnera in Arbeit. Um ihm das Aussehen eines kleinen Bauwerks zu geben, wurde das Modell nach der Fertigstellung farbig gefasst. Über seine Größe ist nichts bekannt, doch kann es nicht allzu groß gewesen sein, da es die Domopera aus der Werkstatt des Schreiners abholen ließ und in einer Seitenkapelle des Domes versteckte. Hier scheint der Vorteil eines transportablen Holzmodells bereits erkannt. Die Bezeichnung »modello« taucht denn auch erstmals in der korrekten Verwendung als proportional verkleinertes Modell in den Mailänder Dombauakten kurz vor 1400 auf.

Wettbewerbe

Während die Baubehörden in Florenz und Mailand über Wettbewerbe den Gebrauch von Modellen weit über die eigenen Stadtgrenzen hinaustrugen, erkannten auch die Architekten die Vorzüge der Präsentation ihrer Ideen durch Modelle. Gegenüber den Auftraggebern besaßen dreidimensionale Anschauungshilfen in jedem Fall den Vorteil größerer Überzeugungskraft. Ein detailliert ausgearbeitetes Modell konnte dann auch als verbindliche Grundlage für die Ausführung bestimmt werden. Das machte Bauherren wie Architekten in der Folgezeit davon unabhängig, ob der entwerfende Architekt auch persönlich für die Bauleitung zur Verfügung stand. Als Filarete 1457 für einen Entwurf des Doms nach Bergamo gerufen wurde, stand von vornherein fest, dass er wegen seiner Verpflichtung am Bau des Ospedale Maggiore in Mailand nur für wenige Tage zur Verfügung stand. Seine Abwesenheit in Mailand wurde von der dortigen Baubehörde genauestens kontrolliert. Es lag nahe, in einem detaillierten Holzmodell (wie es Filarete später in seinem Trattato di architettura beschreibt und darstellt) die Gestaltung des Doms so weit festzulegen, dass ein örtlicher Bauleiter die Realisierung besorgen konnte. Zusätzlich notwendige Zeichnungen und Detailpläne konnte Filarete bei Gelegenheit nachsenden.

Perspektivisches Sehen

Eine notwendige und begleitende Bedingung für die Erfindung und Entwicklung des Architekturmodells war die Entdeckung des »perspektivischen Sehens« am Anfang des 15. Jahrhunderts. Damit kann die Fähigkeit des Betrachters bezeichnet werden, in gemalten Räumen eine Erweiterung der umgebenden Realität zu erkennen. Nur vor dem Hintergrund des sich in dieser Zeit entwickelnden proportionalen Sehens und Denkens wird verständlich, wie ein Architekturmodell vor der eigentlichen Ausführung überhaupt als Stellvertreter einer Bauidee gesehen, verstanden und beurteilt werden kann. Die exakte Maßstäblichkeit ist das entscheidende Kriterium, das die frühen Architekturmodelle von anderen architektonischen Repräsentationen wie etwa den mittelalterlichen Stiftermodellen unterscheidet. Der Maßstab gibt dem Modell den Wirklichkeitsbezug, er verbindet die künstlerische Vorstellung von einem Projekt erstmals konkret mit der Realität. 

Giuliano da Sangallo

Eines der anschaulichsten Beispiele für die Aufgabenvielfalt und Komplexität, die das Architekturmodell bis zum Ende des 15.Jahrhunderts erreicht hatte, ist das Modell für den Palazzo Strozzi in Florenz. Dass das Modell auch die geplante Raumaufteilung in seinem Inneren mit Trennwänden und Durchgängen vorgibt, zeigt deutlich, wie sehr Auftraggeber und Architekt auf die Harmonisierung von innerer und äußerer Gestalt hingearbeitet, möglicherweise auch reale Durchblicke am Modell erprobt haben. Das Modell erweist sich in diesem Fall nicht nur als repräsentatives Demonstrationsobjekt, sondern als proportionales Planungsinstrument. Dies belegen auch die erhaltenen alternativen Fassadenmodelle, die in das große Modell eingesetzt werden konnten. Giuliano da Sangallo, der zugleich Schreiner und Entwerfer des Modells war, ist der exemplarische Fall der Entwicklung eines Modellschreiners zum Architekten – eine Laufbahn, die im 15. Jahrhundert durchaus kein Einzelfall war. Eine klar geregelte Ausbildung zum Architekten gab es nicht. Schon der Vater Francesco da Sangallo war Tischler und Intarsiator und gab seine Söhne zur Ausbildung zu einem Kollegen. In der Werkstatt des Kunstschreiners Francione, in der Giuliano und sein Bruder Antonio da Sangallo d. Ä. nach 1479 ausgebildet wurden, haben auch einige andere den Weg von der Modellschreinerei zur Architektur gefunden. 

Planungsinstrument oder Miniaturbau

Architekturmodellen kam im Verlauf des 15. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle bei der zunehmenden Differenzierung der Entwurfs- und Planungsprozesse zu. Die Architekten nutzten Modelle als ein erweitertes Planungsmedium – offen für die weitere Ausgestaltung, offen auch für Experimente im Maßstab. Hier gab es viele Zwischenstadien. Die Bauherren erkannten das Modell von Anfang an als Gelegenheit, von einem geplanten Bau vorzeitig Besitz zu ergreifen. Während also die Architekten (bis heute) gern flexible Arbeitsmodelle nutzen, um ihre Ideen nicht zu detailliert zum Ausdruck zu bringen, strebten die Bauherren schon im 15. Jahrhundert danach, Modelle durch Bemalung und realistische Details zu miniaturisierten Bauten zu machen. Bis heute steht das Modell im Spannungsfeld zwischen seinen Funktionen als offenes, flexibles Planungsmedium einerseits und als dreidimensionales Realisierungsinstrument andererseits. Diese und andere Funktionen des Architekturmodells für bestimmte Perioden zu klassifizieren, ist vielfach versucht worden.

Die Mehrzahl der realisierten Bauten wurde in der Renaissance ohne Modell errichtet. Das Architekturmodell ist daher im Gegensatz zur Zeichnung kein unabdingbar notwendiges, konstitutives Medium für den Erfolg einer Bauplanung. Dennoch sind Architekturmodelle seit ihrer »Erfindung« in der frühen Renaissance bis heute weltweit zu einem beinahe unverzichtbaren Bestandteil jedes größeren Bauvorhabens aufgestiegen. Daran haben sowohl die Auftraggeber als auch die Architekten mit unterschiedlichem Interesse mitgewirkt. Ihre komplexen Aufgaben und Anforderungen im Rahmen der Planungsgeschichte sind dabei noch längst nicht ausreichend gewürdigt und dargestellt. Das Modell ist ein Medium an der Schwelle zwischen Imagination und Realität. Das lässt Projektionen in die eine wie die andere Richtung zu.

Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung des Textes »Das Architekturmodell der frühen Renaissance – Die Erfindung eines Mediums«, in Bernd Evers (Hg.), Architekturmodelle der Renaissance – Harmonie des Bauens von Alberti bis Michelangelo, München 1999.

Fotos:

© Archivio R.C.S. Libri e Grandi Opere – Ufficio Fotografico/Piero Baguzzi


verfasst von

Andres Lepik

  • studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Augsburg und München
  • Ausstellungskurator von zahlreichen Architekturausstellungen
  • Autor und Herausgeber von Publikationen und Aufsätzen zur Architekturgeschichte
  • 2007 – 2011 Kurator am Department for Architecture and Design im Museum of Modern Art, New York
  • 2011/12 Loeb Fellow an der Graduate School of Design in Cambridge/USA

Erschienen in

Zuschnitt 44
Denkraum Holz

Sehen, anfassen und erfassen: Holz ist ein ideales Werkzeug, um seine Ideen zu visualisieren, seine Gedanken zu konkretisieren und sich in ungeahnte Räume und Welten entführen zu lassen.

 

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Zuschnitt 44 - Denkraum Holz