Thomas Demand konstruiert seine Modellwelten aus Papier und Karton. Es sind aufwendige Außen- und Innenräume, die er nach Vorlage bereits existierender Abbildungen in seinem Atelier nachbaut. Der Maßstab seiner Modelle orientiert sich am Original und die formale Ausführung an den realen Gegebenheiten der Bildinhalte, die Demand den Medien oder seiner Erinnerung entnommen hat. Am Ende des Produktionsablaufs steht aber nicht die Präsentation dieser in Handarbeit gefertigten Raumskulpturen, sondern deren Fotografie. Demand zerstört seine lebensgroßen Nachbauten, sodass nur noch die Abbildung übrig bleibt. Diese mit einer Großbildkamera aufgenommenen Fotos werden so ausgearbeitet, dass sie das Größenverhältnis der Modelle 1:1 wiedergeben.
»Jedes Modell«, so Thomas Demand, »jede Art von schneller Visualisierung ist am einfachsten mit Papier zu machen und man wird es auch am schnellsten wieder los. Nicht nur im praktischen Sinne, sondern auch im emotionalen Sinne.« Die Motive der Fotoarbeiten sind auf den ersten Blick eindeutig zuzuordnen, weil aus unserem privaten und medialen Alltag entlehnt. Die Badewanne, die Küche sowie das Fernsehstudio gehören zum banalen Bilderkanon und erzählen per se nichts Spektakuläres. Sie wirken aber – bei aller Beliebigkeit – seltsam vertraut und legen ihre Inhalte nur demjenigen Betrachter zur Gänze offen, der sich an den von den Medien veröffentlichten Bildausschnitt erinnert. Die Badewanne wird so zum Tatort, die schäbige Küche zum letzten Zufluchtsort eines Diktators. Demand arbeitet mit dem kollektiven Bewusstsein, der Erinnerungsfähigkeit und der Imaginationskraft. Neben den narrativen Implikationen seiner Fotografien, die auf historische oder aktuelle Ereignisse verweisen, geht es ihm auch um einen erweiterten Modellbegriff. Die Serie der wissenschaftlichen Denkmodelle, die in der Forschung zum Erkenntnisgewinn eingesetzt werden, erzeugen in Demands Nachbauten ein Bild, das sich einer sofortigen Identifizierung entzieht. Demand verschleiert mit dieser Serie fast zur Gänze jegliche inhaltliche Rückbezüglichkeit durch Abstraktion. Die hier abgebildete Arbeit »Space Simulator« (2003) zeigt jenen Simulationsapparat, der in den 1960er Jahren im amerikanischen Apollo-Programm zur Erforschung des Weltraumes entwickelt wurde. Auch hier manifestiert sich die Komplexität des wissenschaftlichen Modells in seiner Abstraktion. Die inhaltliche Verortung des Gezeigten setzt die Kenntnis der historischen Fotografie der nasa voraus. Das Bewusstsein für bestimmte Bildinhalte ist somit auch abhängig von der medialen Berichterstattung einer spezifischen Generation und wird nicht von allen im selben Ausmaß decodiert werden können.
Alles aus Papier und Pappe: »Space Simulator«, 2003
Thomas Demand
geboren 1964 in München lebt und arbeitet in Berlin und London
Einzelausstellungen (Auswahl)
- 2011/12 PKM Gallery, Seoul
- 2010 Des Moines Art Center, Des Moines
- 2009 Nationalgalerie, Neue Natio- nalgalerie, Berlin Presidency Embassy, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Wien Galería Helga de Alvear, Madrid
- 2008 Sprüth Magers, London Fundación Telefónica, Madrid Camera, Hamburger Kunst- halle, Hamburg
Gruppenausstellungen (Auswahl)
- 2011/12 Die Erfindung der Wirklich- keit, Akademie-Galerie der Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf Kunsthalle Darmstadt macht Schule, Kunsthalle Darm- stadt, Darmstadt September 11, MoMA ps1, New York
- 2010 A moving plan B: Chapter one, The Drawing Room, London Global Design, Museum für Gestaltung Zürich, Zürich Last Days in der Linienstraße, Esther Schipper, Berlin
- 2009–12 DLA Piper Series: This is Sculpture, Tate Liverpool, Liverpool
- 2009 Incidental Affairs, Suntory Museum, Osaka Holbein bis Tillmans. Promi- nente Gäste aus dem Kunst- museum Basel, Schaulager, Basel
Fotos:
© VBK, Wien 2011, Courtesy Sprüth Magers Berlin London