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Altersgemäß
Konstruktive und atmosphärische Parameter

erschienen in
Zuschnitt 49 Holz im Alter, März 2013

Was ist Alter? Das Bertelsmann Handlexikon(1) aus dem Jahr 1975 sieht den Begriff noch stark biologisch geprägt: »Alter, der Zeitraum, der seit der Entstehung eines Organismus verflossen ist. Den Wissenschaftszweig, der sich mit den Vorgängen des Alterns befaßt, nennt man Altersforschung oder Gerontologie, während Geriatrie die Altersheilkunde ist. Das Alter ist erblich; mütterl. u. väterl. Langlebigkeit bewirken ein erhöhtes Alter der Nachkommen. Die Ursache der Alternsprozesse ist unbekannt; sie sollen durch Veränderungen im Zellplasma bedingt sein, die auf das Wachstum neuer Zellen hemmend u. schädigend wirken. Das Endstadium der Veränderung ist der Tod.«

2007, also 32 Jahre später, definiert Bertelsmann – Das neue Lexikon in drei Bänden(2) den Begriff Alter in einem eigenen »Kasten« mit den Zwischenüberschriften »Lebenszeit«, »Altersstufen«, »Dem Alter gerecht werden« und »Herausforderungen für die Gesellschaft«. Und unter letzterer findet sich der Absatz: »Ein Ausscheiden aus dem Arbeitsleben im Alter bedeutet heute die allmähliche Ausgliederung aus dem sozialen Leben, da Großfamilienhaushalte mit Kindern, Eltern und Großeltern zur Ausnahme geworden sind. Dies und eine steigende Lebenserwartung begründen die Notwendigkeit von Einrichtungen, welche das Leistungsvermögen älterer Menschen und ihr Bedürfnis nach Teilnahme am gesellschaftlichen Leben berücksichtigen. Steigende Lebenserwartung, dauerhaft niedrige Geburtenraten, bessere medizinische Versorgung und Lebensbedingungen lassen in den nächsten Jahrzehnten den Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung stark wachsen.«

Die Gegenüberstellung dieser beiden Einträge ist bezeichnend für die Veränderungen der letzten dreißig Jahre, die mit einer Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung in Österreich einhergegangen sind: 1976 betrug sie zum Zeitpunkt der Geburt für Frauen 74,7, für Männer 67,7 Jahre, 2006 für Frauen 82,7, für Männer 77,1 Jahre.(3)

Diese Entwicklung bringt große Herausforderungen für die Gesellschaft mit sich, insbesondere für die Gemeinden, deren Aufgabe es ist, entsprechende Einrichtungen für alleinstehende bzw. pflegebedürftige Bürger und Bürgerinnen in Form von Alten- und Pflegeheimen zu schaffen. Dabei sollten die Bedürfnisse der Nutzer im Vordergrund stehen, sodass nicht nur eine optimale Versorgung gewährleistet ist, sondern auch wesentliche soziale Aspekte berücksichtigt werden.Denn die emotionale Problematik, die mit einer Übersiedlung ins Altersheim einhergeht, ist evident und reicht vom Verlassen der vertrauten Umgebung über den Verlust bisheriger Kontakte und einer weitgehenden Selbstbestimmtheit bis zur Konfrontation mit dem Nachlassen der Sinne, der körperlichen und geistigen Kräfte, mit zunehmender Hilflosigkeit und schließlich dem absehbaren Lebensende.

Um diesen Belastungen begegnen zu können, bedarf es einer Umgebung, die nicht nur funktional, sondern in vielerlei Hinsicht stimmig ist, und hier setzen Gemeinden und Planer immer öfter auf Holz als Konstruktions- und Oberflächenmaterial. Welche Aspekte sind es nun, die gerade Holz als geeignetes Material für den Bau von Alten- und Pflegeheimen auszeichnen?

Der Bogen reicht von konstruktiven bis zu atmosphärischen Parametern, die hier anhand von fünf gebauten Beispielen skizziert werden. Gemeinsam ist allen Projekten die intensive Auseinandersetzung mit den Lebensumständen und Bedürfnissen von alten Menschen sowie der Situation der Pflegenden. Damit geht ein differenzierter, viele Gesichtspunkte berücksichtigender Einsatz von Holz einher.

Pflegezentrum Gurgltal

Das Pflegezentrum Gurgltal, ein von sechs Gemeinden des Tiroler Oberlandes gemeinsam errichtetes Haus in Imst, setzt zunächst einmal wichtige städtebauliche Akzente. Zentral gelegen ist es prägnanter Bestandteil des innerstädtischen Lebens. Dass die weiße Plattenfassade an einer Stelle durch eine Schicht aus Holzlatten unterbrochen ist, liefert einen ersten Hinweis auf die Präsenz des Materials im Inneren. Für die Bewohner erlebbar ist dabei weniger die Konstruktion der beiden Obergeschosse aus Brettschichtholz als vielmehr der Einsatz unterschiedlicher Holzarten und Verarbeitungen. Dunkles Industrieparkett aus gedämpftem Akazienholz am Boden, helle Blockbauwände aus Weißtanne und ebenfalls aus Weißtanne bestehende schallabsorbierende Akustikpaneele an den Decken unterstützen Orientierung und Raumwahrnehmung der Bewohner, indem eine vertikale Abstufung von unten/dunkel nach oben/hell erfolgt. Die Vielfalt der Holzoberflächen – von lebhaft bis ruhig – ist abwechslungsreich und anregend und nicht vergleichbar mit glatten, eintönigen und auch hinsichtlich mechanischen Verletzungen und Verschmutzung empfindlichen verputzten Wänden.

Sozialzentrum Pillerseetal

In Fieberbrunn wurde 2010 südöstlich des Ortszentrums das Sozialzentrum Pillerseetal eröffnet. An einem leicht abfallenden Hang liegt ein lang gestreckter Riegel mit vertikal gegliederter Holzfassade, der sich vorbildlich in die Landschaft einfügt. Er beherbergt achtzig Betreuungsplätze sowie einen viergruppigen Kindergarten. Der Kern des Zentrums besteht aus Stahlbeton und beinhaltet untergeordnete Funktionen. Alle Zimmer, ihrerseits in Wohngruppen organisiert, wurden als Brettsperrholz-Module mit sichtbaren Holzoberflächen im Inneren konzipiert, die inklusive Böden, Einbaumöbeln und Sanitärzellen im Werk vorgefertigt und per Lastwagen auf die Baustelle transportiert wurden. Die Module wurden entkoppelt aufeinandergestapelt, wodurch hervorragende bauphysikalische und schallschutztechnische Werte erreicht werden konnten, was neben den warmen Holzoberflächen in hohem Maß zur Behaglichkeit in den Wohneinheiten beiträgt.

Altenpflegeheim Höchsterstraße in Dornbirn

Behaglichkeit ist auch eine wesentliche Größe im Altenpflegeheim Höchsterstraße in Dornbirn. Auf einem zentralen Grundstück an der Dornbirner Ache errichteten die Architekten einen kompakten, viergeschossigen Mischbau aus Stahlbeton und teilweise vorgefertigten (Massiv-)Holzelementen mit einer Fassade aus unbehandeltem Lärchenholz. Im Inneren fallen die Großzügigkeit der Gemeinschaftsflächen, die wohltuende Lichtführung und die qualitätsvollen Materialien ins Auge, die von den Boden- über die Wand- bis zu den Deckenoberflächen ganz unterschiedliche haptische, klangliche und atmosphärische Eigenschaften haben und so eine gediegene, aber variantenreiche Umgebung bieten. Höhepunkt der sinnlichen Materialerfahrung sind sechs Zirbenstuben, die jeweils einer Pflegestation zugeordnet sind. Die stark gezeichnete Oberfläche des Zirbenholzes und vor allem sein Duft stellen nicht nur die Verbindung zu einem vielfach vertrauten und gewohnten Wohnmilieu her, sondern aktivieren über den Geruchssinn wichtige Hirnregionen, die eng mit dem Erinnerungsvermögen verknüpft sind.

Altenwohn- und Pflegeheim Steinfeld

Auch im Altenwohn- und Pflegeheim Steinfeld stehen Vertrautheit und Erinnerung im Mittelpunkt des architektonischen Konzepts. Dabei geht es um Stimmungen, die Verbindungen zur bäuerlich-anonymen Bauweise der Region herstellen. Der Betonsockel, der auf morphologischer Ebene den alten Steinsockeln der Bauernhäuser entspricht, erzeugt diese Stimmungen ebenso wie die Aussicht auf den lokalen Hausberg und das punktuelle Filtern des einfallenden Tageslichts durch vor die Fassade gesetzte Holzlamellen. Die damit erzielte Intimität hat auch mit einer Art von Wahrnehmungskontinuität zu tun, die gerade für alte Menschen, denen möglicherweise ein langjähriger Aufenthalt im Heim bevorsteht, insofern von großer Bedeutung sein kann, als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ohne große Brüche zu einem Ganzen verschmelzen, das wiederum Geborgenheit und Sicherheit vermittelt.

Landes-Pensionisten- und Pflegeheim Stockerau

Das Bild eines vor Anker liegenden Schiffs als grundlegenden Entwurfsgedanken zeichnet der Architekt des NÖ Landes-Pensionisten- und Pflegeheims Stockerau. Der Zimmertrakt wurde in Holzbauweise errichtet, die im Inneren im Deckenbereich sichtbar ist. Das Konzept beinhaltet eine wirtschaftliche Bauweise, kurze Wege für das Pflegepersonal und effiziente funktionale Schnittstellen. Doch diese rationalen Parameter treten in den Hintergrund zugunsten einer lichten, freundlichen und wohnlichen Atmosphäre, die sich aus liebevollen Details speist: tiefe, abgeschirmte Loggien mit Holzböden und -decken, wohlgesetzte, kreisrunde Oberlichten in den Gängen, mit Furnierholz verkleidete Nischen vor den Eingängen zu den Zimmern und nicht zuletzt die rot lackierten Sperrholztafeln der Fassade, die weithin signalisieren, dass die Alten Teil der Gesellschaft sind und nicht übersehen werden dürfen.

(1) Lexikon-Institut Bertelsmann (Hg.): Bertelsmann Handlexikon, Bertelsmann Lexikon-Verlag, Gütersloh-Berlin-München-Wien 1975, S. 43.

(2) Bertelsmann Lexikon-Institut (Hg.): Bertelsmann – Das neue Lexikon in drei Bänden, Wissen Media Verlag GmbH, Gütersloh-München 2007, S. 58f.

(3) Bundesanstalt Statistik Österreich: Frauen und Männer in Österreich – Statistische Analysen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden, Publikation im Auftrag des Bundeskanzleramts – Bundesministerin für Frauen, Medien und Öffentlichen Dienst, Wien 2007, S. 55.


verfasst von

Eva Guttmann

ist Autorin, Lektorin und Herausgeberin im Fachbereich Architektur

Erschienen in

Zuschnitt 49
Holz im Alter

Wenn wir alt sind, wollen wir in einem Ambiente wohnen, in dem wir uns wohlfühlen. Mit seiner Haptik, seiner Optik und seinem Geruch erschafft Holz wohnliche Innenräume – gemütlich wie zu Hause.

8,00 €

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Zuschnitt 49 - Holz im Alter