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Lois Weinberger

Der Tiroler Lois Weinberger arbeitet mit vorgefundenen Materialien aus der dörflichen Umgebung. Wie in der Arbeit „Baumfest“ verbindet er Elemente der Volkskunst mit zeitgenössischer Formensprache.

erschienen in
Zuschnitt 49 Holz im Alter, März 2013
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Die Randzonen und Peripherien, das vermeintlich Wertlose und der Zufall spielen in den Arbeiten Lois Weinbergers eine zentrale Rolle. Aufgewachsen am elterlichen Bauernhof in Stams in Tirol, arbeitete Weinberger zunächst als Stahlbauschlosser. Ende der 1970er Jahre entstanden die ersten künstlerischen Arbeiten, darunter das hier abgebildete »Baumfest« von 1977. Ohne Atelier und ohne das Gefühl, sich auf ein spezifisches Medium beschränken zu müssen, arbeitet Weinberger mit vorgefundenen Materialien aus der dörflichen Umgebung. In »Baumfest« verbindet er Elemente der Volkskunst mit zeitgenössischer Formensprache und zieht damit zwei zeitliche Ebenen zusammen – Tradition und Gegenwart.

Aus der Ferne suggeriert der bunt behangene Kirschbaum lokales Brauchtum und tradierte Geschichte. Erst aus unmittelbarer Nähe erkennt man, dass es keineswegs edle Materialien sind, die diesen Baum schmücken, sondern gewöhnliche Plastikplanen und Plastiksäcke, die sich, über Äste gestülpt, zu Kugeln und Girlanden formen. Diese frühe Arbeit sagt sehr viel über das Kunstverständnis Weinbergers aus, dem die großen Gesten und die großen Entwürfe fremd sind. Vielmehr interessiert es ihn, mit »präziser Flüchtigkeit« ein »Reservoir an Ereignissen« zu schaffen, das die Alltagskultur in den Arbeitsprozess mit aufnimmt. »Anfänglich habe ich mich sehr intensiv auch mit Volkskunst beschäftigt, die nähere Umgebung erforscht, in der ich aufgewachsen bin« auf din-a4-Blättern dokumentiert Weinberger Ende der 1970er Jahre die lokale Dingwelt im Dorf: ausrangierte und zu Blumenkisten umfunktionierte Autoreifen, einen Pferdekummet, in den ein Spiegel eingepasst wurde, oder einen Autositz, der als Hausbank Verwendung fand. Internationale Bekanntheit erlangte Weinberger 1997 durch seine Teilnahme an der documenta X in Kassel. Auf Einladung von Catherine David realisierte er dort vier ortsspezifische Installationen, darunter den berühmten Neophyten-Garten auf der Gleisanlage des aufgelassenen Bahnhofs (»Das über Pflanzen/ist eins mit ihnen«).

Die Ruderalvegetation aus Ost-und Südosteuropa wurde damals als Anspielung auf die europäische Einwanderungspolitik verstanden, dabei wurde aber kaum die gesellschaftspolitische Sicht Weinbergers auf das Konstrukt »Natur« reflektiert. Das Unkraut, Sinnbild des problematischen Außenseiters, wird zwar von Gärtnern unaufhörlich bekämpft, erweist sich aber als äußerst resistent und behauptet sein unerwünschtes Dasein. Zwischen 1988 und 1999 pflanzte Weinberger auf seinem 500 m2 großen Grund nahe der Alten Donau Ruderalvergetation an, die er in über 1.400 Fotografien dokumentierte. In diesem »Gebiet« betrieb Weinberger »Gartenarbeit im Zeichen von Distel und nomadischer Vegetation« und legte ein Archiv an Pflanzen und Samen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen an. Die Arbeiten Lois Weinbergers, der seit 1999 mit seiner Frau Franziska Weinberger zusammenarbeitet, erstrecken sich oft über einen längeren Zeitraum, sind nicht endgültig abgeschlossen und entwickeln ein Eigenleben in Abwesenheit des Künstlers. Der Prozess und die Vergänglichkeit sind nicht nur einkalkuliert, sondern bilden auch oft den Ausgangspunkt für die Arbeiten. So war für Lois Weinberger auch der Hochwasser führende Inn, der bunten Zivilisationsabfall in die Sträucher am Ufer spülte, der Ideengeber für die Arbeit »Baumfest«. »Wenn der Inn Hochwasser geführt hat, blieben in den Sträuchern bunte Fähnchen hängen. Da habe ich an die Gebetsfahnen in Tibet gedacht. Heimat ist ohnehin immer außerhalb oder nur über das Außerhalb zu begreifen. [...] Heute kann ich diesen Ort, dieses Bauerndorf Stams, als Projektor sehen, der mir viel belichtet hat. Ich sage bewusst nicht Heimat, ich sage Ort.«

Lois Weinberger

geboren 1947 in Stams/Tirol
2006 Tiroler Landespreis für Kunst an Franziska und Lois Weinberger
2005 Ehrenzeichen der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
lebt und arbeitet in Wien

Einzelausstellungen (Auswahl)

  • 2013 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 17. Mai bis 27. Oktober
  • 2012 Musée d’Art Moderne, Saint-Etienne

Gruppenausstellungen (Auswahl)

  • 2013 [Un]natural Limits, Austrian Cultural Forum, New York
  • 2012 Gegenwartskunst 1945 – heute, Städel Museum, Frankfurt
    La Triennale, Palais de Tokyo, Paris
  • 2010 Malerei: Prozess und Expansion. Von den 1950er Jahren bis heute, mumok, Wien
    Islands Never Found, Macedonian Museum of Contemporary Art, Thessaloniki
  • 2009 Berlin 89/09. Kunst zwischen Spurensuche und Utopie, Berlinische Galerie, Berlin
    Österreich Pavillon, 53. Internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia 2009

    Fotos:

    © Lois Weinberger/Friedl Rusch


    verfasst von

    Stefan Tasch

    Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator

    Erschienen in

    Zuschnitt 49
    Holz im Alter

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    Zuschnitt 49 - Holz im Alter