Wer den Zusammenhang von Holz und Hierophanie, von Material und Sakralbau assoziativ überdenkt, wird in unseren Breiten wohl zunächst weniger das Holz, sondern den Stein vor Augen haben. Warum? Weil wir mit der Metapher Stein weitgehend unbewusst das Prinzip der alten Metaphysik verinnerlicht haben, das als Antwort für den irreversibel todwärts gerichteten Ablauf des Lebens erfunden worden war, nämlich die Idee der Ewigkeit als eine Form der Unsterblichkeit, mit der wir der Todesangst beikommen können. Diese Vorstellung einer Verschlingung des Lebens durch die Zeit hatten die Griechen schon durch den kinderverschlingenden Gott Chronos symbolisiert, und als Gegenstrategie entwickelte sich die Idee, dass wir durch eine Abtrennung des Geistes vom vergänglichen Fleisch dem Tod entgehen könnten. Wir können diese Form der Metaphysik mit dem Versuch einer Mineralisierung der Seele und einer Umwandlung in Geist, der sich ewig halten könne, wenn er sich der organischen, vergänglichen Elemente entledigt, bereits bei den alten mesopotamischen Kulturen mit ihren Steintempeln und natürlich auch den Ägyptern beobachten. Die christliche Metaphysik bedient sich hier also eines reichen Erbes und die Kunstgeschichte des europäischen Sakralbaues ist bekanntlich in ihren wesentlichen Kapiteln in der Schrift des Steines verfasst. Die großen Dome der Romanik und Gotik geben davon Zeugnis.
Doch es gibt ältere Welterklärungs- und Deutungssysteme, die noch auf dem Mythos eines zyklischen Naturkreises beruhen. In diesen wird das Leben jedes Jahr wiedergeboren und sie bedürfen noch keiner Strategien, die sich mit der Unwiderruflichkeit des Lebens auseinandersetzen müssen. Sie gehen noch nicht den Weg einer Suche nach göttlicher Endgültigkeit via Metaphysik, wo die Weisheit der Steine gewissermaßen in den eigenen Körper übertragen wird, um die Abspaltung des Geistes vom Körper zu manifestieren. Diese alten Naturreligionen hatten zumeist noch eine Übereinstimmung von Makro- und Mikrokosmos, jedes Ding auf der Erde steht in einem bestimmten und festen Zusammenhang mit dem Kosmos. Die religiöse Tradition Asiens beruht noch in stärkerem Maße auf diesen alten Bildern einer Kosmologie, die sehr viel mehr als in unseren Breiten einem Werden und Vergehen entspricht und in der sich die Abläufe zyklisch wiederholen. Es ist kein Zufall, dass bei den Chinesen Holz zu den Grundelementen zählte, denn in der Wechselwirkung der Natur, in der sich die Kräfte nach dem Prinzip des Tao als Gegensätze begegnen, nahm Holz eine bestimmte transformative Rolle im endlosen Fluss der Wandlungen ein. Das wachsende Holz durchbohrt die Erde, kann jedoch vom Metall besiegt werden. Diese von Grund auf organischen Vorstellungen gehen auch mit einem Animismus einher, der den Dingen der Welt eine eigene Seele, ein eigenes Wesen zuschreibt. Dort hatten die Bäume auch einen Schutzgeist, den man erst besänftigen musste, ehe man den Baum schlug. Diese durch und durch organische Vorstellung einer Welt, in der die Dinge noch zueinander gehören, kann noch heute in der Anlage und Architektur der Tempel beobachtet werden. Die Sakralität eines buddhistischen Tempels oder einer Stupa hat mit der Erhabenheit der großen europäischen Kathedralen wenig gemeinsam, da durch die häufige Holzbauweise und völlig andere räumliche Gestaltung eine Art von sakraler Wohnlichkeit entsteht, die den Gläubigen den Tempel auch wie eine gemütliche Wohnung der Götter erscheinen lässt. Hier hausen göttliche Wesen tatsächlich so, wie sich Menschen gerne einrichten würden.
Aber auch moderne westliche Sakralität versucht die Schuld an den Chronos und die metaphysische Herrschaft der Zeit zu mildern. Dies bedeutet eine geringere Vorhaltung des kommenden und unausweichlichen Ruins durch Sterblichkeit und eine intensive Vorstellung vom Tod, ohne sich aber mythischer Ursprungsbilder und Vorstellungen eines ewigen Werdens und Vergehens im Sinne der Naturreligionen asiatischer Tradition zu bedienen. Hintergrund dieser gewandelten Sakralität ist eine Form präsentischer Existenz, die dem Denken, das zwischen Ursprungsvorstellungen und Phantasmen des Endes oszilliert, eine Mittelstellung einräumt und versucht, einen Schwebepunkt in der Gegenwart des Lebens im Sinne eines lebendigen Augenblicks einzunehmen. Religion versucht, zu einer Präsenzerfahrung der Anwesenheit Gottes in der Welt zu führen. Es ist nicht mehr das Erhabene eines unendlichen furchterregenden Gottes, auf dessen Gnade wir angewiesen sind, sondern die Suche nach Zeichen der Präsenz. Und hier können ganz einfache atmosphärische Situationen über Holz große Wirkung entfalten, vor allem weil hier die von Gott entfernte natura naturans wieder in einen kosmologischen Holismus rückgeführt wird, der auch der Natur das Anwesen in sakralen Bezirken wieder erlaubt. Holz ist dann mehr als bloßes Material, nämlich ein nicht nur im Naturzusammenhang stehendes Element, sondern eines, das auch Momente des Sakralen zulässt.
Für jene Leser, die dem Prinzip des Christlich-Sakralen wenig abgewinnen können und sich aus dem breiten Spektrum vom Paläo bis zum Neopaganismus rekrutieren, bieten diese Informationen vielleicht zu wenig. Sie seien mit dem Verweis auf die Weltenesche Yggdrasil getröstet. Wen das auch nicht überzeugt, der sollte es mit einem Seminar für Baumumarmungen versuchen, denn hier wird eine Homologie zwischen Baum und Rückgrat hergestellt. Kosmologisch gedacht: Die Wirbelsäule beginnt sich durch dieses Ritual der Weltsäule, der axis mundi, anzugleichen. Körper und Baum werden in meditativen Prozessen verschmolzen, die daraus entstehende magische Substanz sollte auch im Holz noch enthalten sein.