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Im Zeichen der Erneuerung
Kirchenbau der Nachkriegsjahre

Zentrale Hallenkirchen aus modularen Holzbauteilen deckten in den Nachkriegsjahren teilweise den Bedarf an neuen liturgischen Zentren.

erschienen in
Zuschnitt 52 Holz im Sakralbau, Dezember 2013
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Es wäre ein ungenauer Akt der Geschichtsschreibung, den Kirchenbau der Nachkriegsjahre in Österreich, Deutschland, Italien oder der Schweiz einem institutionalisierten Geist des Zweiten Vatikani­schen Konzils und der darin festgeschriebenen ökumenischen Erneuerung zuzuschreiben. Die Gründe für den Neubau von Kirchen waren wohl profaner: Zerstörte oder beschädigte Andachtsorte mussten ersetzt werden und neu errichtete Siedlungen und Ballungsorte erforderten auch neue liturgische Zentren. Es waren einzelne, gleichermaßen reformwillige wie kunstsinnige Persönlichkeiten innerhalb der Amtskirche und nach Erneuerung strebende Architekten, oft Verwandte im Geiste, die dem Kirchenbau ab 1960 eine neue Dimension gaben.

Wer, was immer noch geschieht, diese Epoche der Sakralarchitektur ausschließlich mit dem Bau von nicht gerichteten, »demokratischen« Zentralräumen und der Verwendung von Sichtbeton als nichts beschönigendes und daher »ehrliches« Baumaterial assoziiert, der liest die Geschichte zu oberflächlich. Vertieft man sich in das Thema, so stößt man auf Kirchen vielfältiger Couleur und Typologien: auf solche, die Kirchenräume in Form und Materialwahl neu interpretieren, dabei aber im historischen Rahmen des imposanten, Ehrfurcht gebietenden Kirchenschiffs bleiben. Man trifft auf Kirchenräume, die die griechische Agorà interpretieren, und auf wieder andere, die so expressive, eigenwillige Formfortschreibungen sind, dass sie in gar keine Kategorie fallen. Streng geometrischen, modular aufgebauten Formen über dem Quadrat stehen Raumkonzeptio­nen über weich gekurvten Grundrissen, etwa der Ellipse bei Rudolf Schwarz, und noch freiere plas­tische Raumfiguren gegenüber. Als gemeinsamer Nenner könnte die »Demokratisierung« des Raums stehen, die für Pathos und eine überhöhte Semantik des Sakralen keinen Platz mehr hat.

Der Vielfalt des Ausdrucks steht eine der Materialwahl gegenüber. Nicht alles ist in Sichtbeton, nicht immer sind modulare Gitterwerke in Beton ausgeführt. Der Form der zentralen Hallenkirche entspricht auch der konstruktive Holzbau, der im Programm für Montagekirchen der Wiener Diözese zur modularen Perfektion gebracht werden sollte. Solch zerleg-, transportier- und adaptierbare Architektur, entwickelt für kürzere Lebenszyklen, wie sie Ottokar Uhl 1966/67 für die Kundratstraße im 10. Wiener Bezirk in Holz umsetzte, signalisierte auch eine neue Haltung der Kirche der Gesellschaft gegenüber – offen für Entwicklung und Änderung.

Im Auftrag des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Deutschland entwickelte Otto Bartning ein Notkirchenprogramm für die Aufgabe, in Zeiten der Not und der Materialknappheit nach dem Krieg mit einfachsten Mitteln und Methoden die dringendsten Raumbedürfnisse zu erfüllen. Bartning, der sich schon vor dem Krieg als Architekt einen Namen gemacht hatte (Friedenskirche im steiri­schen ­Peggau, Heilandskirche Dornbirn) erarbeitete mehrere Typen in Elementbauweise, die sich serienmäßig herstellen ließen und dennoch ört­lichen Gegebenheiten anpassen konnten. Die Konstruktion in Holzbauteilen bestand aus Dachbindern, Platten, Dachtafeln, Fenstern und Türen. Bis 1950 entstanden so 48 Notkirchen, die heute noch fast voll­zählig erhalten sind.

Im Rahmen der Stadterweiterung am Wienerberg (10. Bezirk) gelang Johannes Spalt mit der Salvatorkirche 1979 ein neuer Ort der Begegnung, der mehrfach deutbar ist. Das flache Dach in Holz als eigenständiges, dominierendes Element beherbergt Kirche und Pfarrhof – ein Schutzschirm für Gemeinschaft und Geborgenheit. Ein umlaufendes Fensterband setzt es vom annähernd quadratischen Kirchen­raum ab und nimmt ihm seine Schwere. Die Bau­weise der Holzständerkonstruktion, die mit weiß verputzten Betonsteinen ausgefacht ist (eigentlich ein liegendes Fachwerk), veranlasste Friedrich Achleitner, poetisch vom »Dreiklang« von Gerüst, Haut und Licht zu sprechen. Der Architekt setzte weniger auf die klassische Moderne als vielmehr auf vertraute Bilder, die, wie Achleitner anmerkt, bäuerlichen oder osteuropäischen Bautraditionen entstammen. Umfriedet mit niedrigen Mauern und einem Vorhof mit Bäumen, deren Stämme einen Dialog eingehen mit den beiden wuchtigen Holzstützen des Vordachs, bleibt dieser Ort bis heute einer der Kontemplation.

Seine Qualitäten optimal ausspielen konnte (und kann) das Bauen mit Holz im Kirchenbau dort, wo konstruktiv anspruchsvolle Raumkonzepte atmosphärisch wirkungsvoll umgesetzt werden sollten, und das unabhängig von Kirchengrößen oder erforderlichen Spannweiten.

Wesentlich weiter in der freien Form ging Carsten Schröck beim Entwurf der Kirche St. Lukas in Bremen (1962 – 64), die er in Zusammenarbeit mit Frei Otto, dem berühmten Konstrukteur leichter Flächentragwerke, entwarf. Über einem elliptischen Grundriss und Punktgründung sind zwei mächtige bogenförmige Holzleimbinder gespannt, die gemeinsam mit Seilnetzen das konstruktive Grundgerüst für Gitterschalen aus langen Holzlatten ergeben, die mit Holz­kassetten ausgefacht wurden und Dach und Seitenwände bilden. So konnte mit einer äußerst leichten Bauweise auf den sumpfigen Baugrund reagiert werden. Davon spürt der Gläubige, der diese Kirche betritt, die von außen an einen Schiffsrumpf erinnert, heute nichts. Der völlig stützenfreie, leicht und »unbeschwert« wirkende Kirchenraum kann ihm die Aufbruchstimmung, die zur Bauzeit die Kirche beseelte, auch heute stimmig vermitteln.

Kirchen aus den 1960er Jahren spiegeln in Form und Materialwahl die Aufbruchstimmung der damaligen Zeit wider.

Fotos:

© Architekturzentrum Wien; gta Archiv/Fritz Maurer; Andrea Schröck; Niko Natzschka


verfasst von

Karin Tschavgova

studierte Architektur in Graz, seit langem freie Fachjournalistin und Architekturvermittlerin, Lehrtätigkeiten an der TU Graz

Erschienen in

Zuschnitt 52
Holz im Sakralbau

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Zuschnitt 52 - Holz im Sakralbau