Es ist noch keine zehn Jahre her, dass der Holzbau für die Umsetzung von als »komplex« bezeichneten Formen entdeckt wurde. Plötzlich war man sich bewusst geworden, dass man die Fräsen und Abbundmaschinen, die bereits seit den 1980er Jahren in den Zimmereibetrieben Einzug gehalten hatten, nicht nur zur Vorfertigung individueller Dachstühle brauchen konnte. Mit der Verbindung von digitalen Planungs- und Fertigungswerkzeugen schien mit einem Mal alles möglich. Man baute die verrücktesten Formen – einzig und allein, weil man es konnte. Die Nullerjahre waren das goldene Jahrzehnt des digitalen Formexperiments. An den Hochschulen schossen entsprechende Professuren und Werkstätten aus dem Boden, die sich mit experimentellen Pavillons gegenseitig zu überbieten versuchten. Architekten stellten mit Verwunderung fest, dass jede ihrer Skizzen nun auch umsetzbar war. Die Ingenieure ließen sich nicht zweimal bitten, aus dem Schatten der Architekten herauszutreten und stolz die vier oder sogar fünfstellige Zahl unterschiedlicher Bauteile zu präsentieren, die sie auf komplizierte Weise errechnet hatten, um etwas noch nie Dagewesenes zu bauen. Die Diskussion wurde von den neuen »digitalen Ketten« bestimmt, die Gebäude dienten als Beweis ihrer Machbarkeit. Genau genommen ging es nicht einmal um Holz, sondern eher um die Holzbearbeitung, also um die bis in die Betriebe reichenden digitalen Planungsprozesse und eine Klasse von Werkstoffen, die spanend mit Holzbearbeitungsmaschinen bearbeitet werden konnten – dabei spielte es nur eine untergeordnete Rolle, ob Vollholz, Holzwerkstoffe oder gar Kunststoffe zerspant wurden.
Seither sind ein paar Jahre vergangen. Noch immer werden freie Formen aus Holz gebaut, aber schnell hat sich das Publikum an das neue »anything goes« gewöhnt, und einen Bilbao-Effekt hat es eigentlich nicht einmal beim Centre Pompidou in Metz gegeben. Der Glaube an die Potenz spektakulärer Architektur zur Aufwertung von Firmen, Industriebrachen oder Hauptstädten am Rande des Weltgeschehens ist geschwunden. In den Nachbeben wirtschaftlicher Verunsicherung wirkt die technikgetriebene Formenwelt bereits jetzt seltsam unzeitgemäß. Das Holz dagegen ist weiterhin auf dem Vormarsch als Symbolträger für nachwachsende Rohstoffe, Klimaschutz und nicht zuletzt eine latente Sehnsucht nach Ursprünglichkeit.
Was nimmt der Holzbau mit aus diesem wilden Jahrzehnt? Oder waren ein paar laute Paukenschläge nötig, um zur früheren Normalität im Holzbau zurückzukehren?
Viele der Errungenschaften des digitalen Holzbaus haben mit der damit assoziierten Formensprache nicht unmittelbar zu tun, beispielsweise klassische Holzverbindungen wie der Schwalbenschwanz, die einst im Zuge der Standardisierung von den Holzverbindern verdrängt und vor einigen Jahren als CNC-gefertigte Verbindung wiederentdeckt wurden. Zumindest an weniger beanspruchten Stellen ist das Detail im Holzbau wohl längerfristig wieder aus Holz und nicht aus verzinktem Stahl. Bleiben werden uns auch die effizienten digitalen Prozesse, ihre Flexibilität durch parametrische Systeme und die Möglichkeit zur Fertigung individueller Bauteile, abgerundet durch eine perfekte Logistik inklusive Bauteilkennzeichnung mit Etiketten und entsprechende Verladepläne. Die Hürden zum Gebrauch digitaler Planungs- und Fertigungswerkzeuge sind heute kleiner denn je. Wo könnten deren neue Aufgaben liegen?
Vieles spricht dafür, dass sich der architektonische Ausdruck verschiebt – vom pompösen Effekt zur Raffinesse, deren informationstechnische Expertise man vielleicht nicht mehr sieht, sondern nur noch erahnen kann. Vereinzelt gibt es bereits Projekte, die sich innerhalb der Umhüllungsflächen der Bauteile mit der Komposition des Holzes beschäftigen und dessen Materialeigenschaften einbeziehen, wie etwa eine an bestimmte Erfordernisse individuell angepasste Mischung verschiedener Holzqualitäten und Holzarten. Komposite aus Nadel- und Laubholz kamen bereits mehrfach zur Anwendung.
Folgen wir weiter diesem Pfad und überschreiten die sprachliche Grenze zwischen »Holz« für die tote Struktur und »Baum« für die lebende Pflanze, gehen wir mitten hinein in den Wald und betrachten das Holz als das, was es ist: nämlich kein auch nur annähernd homogenes Material, sondern individuell gewachsenes organisches Gewebe, dessen Zusammensetzung und Zusammenhänge so komplex sind, dass man die gesuchte Komplexität in der Formgebung getrost außer Acht lassen könnte. Wäre es da nicht konsequent, die auf Individualität ausgerichtete digitale Prozesskette ganzheitlich über die Sägewerke bis hierher in die Forstwirtschaft weiterzuspinnen? Vielleicht müssen wir uns dabei auf mittelalterliche Vorbilder besinnen wie die aus Krummhölzern gebauten Wikingerschiffe – ähnlich wie wir auch schon bei den CNC-Holzverbindungen auf mittelalterliche Vorbilder zurückgreifen. Was würde es für den Holzbau bedeuten, den individuellen Wuchs eines Baumes mit seinen vielfältigen und schwankenden Eigenschaften mit den Mitteln der Informationstechnik so weit wie möglich zu berücksichtigen und den Baum einer ihm entsprechenden Aufgabe zuzuordnen?