Marginalien
Die Frage nach Erinnerungen an die Schulbank fördert mehr zutage, als man zunächst vermuten kann, hat man doch Hunderte, wenn nicht Tausende Stunden auf dieser zugebracht, und es scheint hier möglicherweise eine Art von Gedächtnis des Sitzens zu existieren, über dessen Sitz man nur Vermutungen anstellen kann. Insgesamt erinnere ich mich an einen Übergang von der geschlossenen und verbundenen Kombination Bank und Pult, die wohl zur nachhaltigen Demonstration der stabilitas loci gedacht war, zur offenen Kombination von Stuhl und Tisch, die die Ankunft eines liberaleren Geistes anzeigte.
Obwohl mir aus der Volksschulzeit – Volksschulen waren zum Teil noch mit Bänken ausgerüstet –, keine körperlichen Einschränkungen erinnerlich sind, so war doch der Anblick eines Klassenzimmers mit Stühlen und Tischen anfangs eine nahezu luxuriöse Wahrnehmung, die einem geradezu Lust auf die Schule machen konnte, zumindest für den ersten Schultag. Natürlich waren auch die Stühle hart und mein Gedächtnis spuckt noch eine merkwürdige Begebenheit aus. Eines Tages erschien ein Kommilitone mit einem Sitzpolster, um sich ein wenig Bequemlichkeit zu verschaffen, und sein Beispiel machte in wenigen Tagen Schule. Diese Erleichterung wurde seitens der Lehrerschaft zunächst ignoriert, konnte aber nach einer gewissen Zeit – möglicherweise aufgrund von durch den Raum segelnden Sitzpolstern – nicht länger hingenommen werden und wurde dann, ich weiß die Begründung nicht mehr, verboten. So verlief meine Sozialisation zum kleinen homo sedens ohne besondere Zwischenfälle und dramatische Ereignisse, vom Zertrümmern eines ohnehin schon beschädigten Stuhles durch einen rabiaten Mitschüler abgesehen. Dessen Vater war, wie wir erst später erfahren haben, ein Wiener Möbelfabrikant, der der Schule einige Klassenzimmer als Spende eingerichtet hatte, in der klugen Voraussicht, dass dies wohl den Direktor bei der Beurteilung seines außerordentlich trägen und phlegmatischen Filius milder stimmen möge. Das Kalkül scheiterte letztlich am übermächtigen Désengagement des Sohnes, der, soweit ich mich erinnere, seine Laufbahn im Betrieb seines Vaters fortsetzte. So fand er jedenfalls in der Holzbranche Aufnahme, zu welchem Ergebnis ist mir unbekannt.
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