Analog zum Wetter spüren wir die Ausstrahlung eines Ortes, eines Raumes oder einer Architektur, und wie das Wetter kann auch ein Gebäude auf bestimmbare Parameter zurückgeführt werden. Die Weite oder Enge eines Raumes, die Beschaffenheit seiner Wände, der Decke und des Fußbodens, das Material, aus dem sie geschaffen sind, die Dinge, die sich im Raum befinden, die haptische und optische Qualität, insbesondere die Farbe ihrer Oberflächen, die Intensität des einfallenden Lichts, die künstliche Beleuchtung, die Akustik der Räume, also ihr Klang, die Ausblicke aus den Fenstern, die Art, wie das Gebäude in seine Umgebung eingebunden ist – all dies sind Parameter, die die Raumatmosphäre und deren Qualität beeinflussen. Es geht bei der atmosphärischen Wirkung der Architektur vor allem um deren sinnliche Erfahrung. Denn wenn die Atmosphäre ein Wesenselement des Raumes und seiner Erfahrung ist, muss sie auch ein wesentlicher Teil des architektonischen Entwurfs sein. Die Erfahrung räumlicher Atmosphäre ist also auch ein Erkenntnisprozess, der sich im architektonischen Entwurf niederschlagen sollte.
Das Wetter ist eines unserer wichtigsten Gesprächsthemen, bestimmt es doch die Qualität der Atmosphäre unseres Planeten für unseren täglichen Gebrauch. Auch über die Atmosphäre eines Raumes und ihre Erfahrung können wir uns austauschen. Sie sind Teil eines Diskurses, der sich nicht nur unter den Nutzern dieser Architektur ergibt, sondern auch zwischen Nutzern und Architekten. Für Letztere ist das ungeheuer hilfreich, denn wenn sie durch Atmosphären die Wünsche und Vorlieben der Menschen, die ihre Architektur benutzen sollen, direkt erfahren, bleibt ihnen bei der Entwurfsarbeit die Unsicherheit der Interpretation von Nutzerbedürfnissen erspart.
Im Schulbau hat sich die Erkenntnis des Reformpädagogen Loris Malaguzzi durchgesetzt, dass der Raum nach den Mitschülern und dem Lehrer der dritte Pädagoge sei. Für die Projekte, die ich mit meinem Büro in diesem, aber auch in anderen Baubereichen durchgeführt habe, war diese Erkenntnis wesentlich. In aufwendigen Beteiligungsverfahren haben wir uns den atmosphärischen Wunschwelten der Nutzer genähert und sie zum Kernstück unseres architektonischen Konzepts gemacht. Selbstverständlich spielte das Material, das beim Bauen verwendet wird, eine Schlüsselrolle – ebenso wie seine haptische und visuelle Beschaffenheit und die Raumatmosphäre, die es erzeugt.
Die Transparenz und Offenheit, die Holzskelettkonstruktionen ermöglichen, waren wichtige Aspekte bei der Konstruktion der Kindertagesstätte Lichtenbergweg in Leipzig. Sie sollte in bewusstem Gegensatz zur Raumerfahrung des steinernen Bauteils desselben Gebäudes stehen. Die Kinder hatten sich sowohl die bergende Massivität von Vulkanwelten als auch die spielerische Leichtigkeit des Waldes und von »Regenbogengärten« als prägende Raumatmosphären ihrer Lebensumwelt gewünscht.
Für die Kindertagesstätte Taka-Tuka-Land in Berlin-Spandau (s. Zuschnitt 37) fiel die Wahl auf eine Holz- statt eine Stahlkonstruktion, weil sich die Kinder Pippi Langstrumpf, die Heldin ihrer Alltagswelt, eher mit Hammer und Nägeln in der Hand vorstellen konnten als mit einem Schweißbrenner. In anderen Fällen bekamen Gipskarton, Mineralputz oder Stahlbleche den Vorzug. Selbstverständlich spielen dabei baupolizeiliche, brandschutztechnische und andere Bestimmungen eine wesentliche Rolle. Entscheidend ist aber immer auch, wie Baumaterialien auf die Erfahrung der Menschen, die mit ihnen täglich umgehen, wirken, sind sie doch Schlüsselelemente für die Herstellung von Raumatmosphären.
Erika-Mann-Grundschule in Berlin (Umbau: die Baupiloten)
Foto
© Jan Bitter