Flößer trieben die Holzstämme den Po hinunter, vorbei an Cremona, ostwärts bis nach Venedig. Dort schwammen sie in der Lagune, oft wochenlang, füllten sich mit Meerwasser, Mineralien, Pilzen, bis sie an Land gebracht und getrocknet wurden.
Ob die Geigenbauer der Cremoneser Familie Amati damals, vor gut 400 Jahren, ganz bewusst diese Stämme haben wollten? Ob sie sie mit anderen verglichen haben, die sie aus der Umgebung oder von den Abhängen der Alpen kommen ließen? Ob sie gespürt haben, dass die dünnen Bretter, die sie zurechtschnitten und für die Decken und Böden ihrer Geigen verwendeten, wegen der Mineralien einen ganz besonderen Klang ergaben, ob es vielleicht auch am Lack lag oder gar an der »kleinen Eiszeit« damals im 16. und 17. Jahrhundert, die das Holz anders als sonst wachsen ließ?
Wir wissen nur, dass Andrea, Antonio, Girolamo und vor allem Nicolò Amati wunderbare Violinen bauten; und dass Letzterer einen Schüler hatte, der sie alle noch übertraf. Seine Instrumente hatten und haben immer noch wunderbare Resonanzkörper, deren Geheimnisse Physiker und Akustiker bis heute zu enträtseln versuchen. Sein Name: Antonio Giacomo Stradivari.
Stradivari heißt auch das Spitzenmodell des Lautsprechererzeugers Sonus Faber in Arcugnano, knappe eineinhalb Autostunden von Cremona entfernt. Vieles kaufen die Tontechniker zu, doch das Holz für alle Modelle kommt aus Italien. Denn, so sagen sie, »nirgendwo sonst gibt es eine so tiefe Kenntnis vom Instrumentenbau wie hier«.
Holz war von Anfang an dabei. Seit unsere Vorfahren gemerkt hatten, dass sie einem ausgehöhlten Stamm ansprechendere Melodien entlocken konnten als einem Stein, hat sich die Kunst, diese besondere Materie in Schwingungen zu versetzen, immer mehr verfeinert. Und nicht nur an den Instrumenten selbst. Die Auftraggeber der Cremoneser Meister hatten Musikzimmer in ihren Palazzi und wussten, dass Kassettendecken gut für die Akustik sind. Meist stand ein Klavier darin, selbst ein enormer Klangkörper, der von piano bis forte alle Gefühle bespielte. Der neue hölzerne Saal im Haus des Wiener Musikvereins, von Wilhelm Holzbauer entworfen (der Name ist ein schöner Zufall), ist selbstredend auch für seine Akustik bekannt. Und die Konkurrenten von Sonus Faber mögen sich vielleicht nicht in Italien umsehen, aus Holz sind gute Lautsprecher allemal – andere Materialien gelten eher als Einfälle von Spinnern und Billigmeiern.
Seltsam nur, dass gerade die Italiener, wenn sie sich und einander Glück wünschen, »Toccaferro!« sagen und nach einem Metall suchen, das sie berühren können. In den meisten anderen Kulturen hält man sich an Sprüche, wie wir sie kennen. Etwas Hölzernes muss her, das mit seinem warmen Laut die guten Geister rufen wird. Klopf auf Holz!
Klopf auf Bäume, ruf in den Wald! Man muss kein Paganini sein, um zu spüren, dass man Holz zum Leben erwecken kann. Der Wald antwortet. Bäume knarren, Äste rauschen, weil sie leben, wachsen, sich biegen im Wind. »Bäume könnten uns lehren«, meinte die Dichterin Anke Maggauer-Kirsche, »uns dem Wind des Lebens hinzugeben.« Sie seien »ein einziges Wunder«, befand der doch meist eher nüchterne Naturforscher Alexander von Humboldt mehr als hundert Jahre zuvor. Kein Wunder, dass man angesichts ihrer in romantisches Schwärmen geraten kann.
Aber auch in uns, die wir die Romantik fast verlernt haben, klingt etwas an, wenn wir in »modernem«, coolem Ambiente auf Holz stoßen. Als ob sie selbst große Resonanzkörper wären, lösen getäfelte Räume eine unterirdische Melodie aus. Als ob die je anderen, im Grunde immer einmaligen Maserungen Notenblätter wären, von denen wir etwas ablesen könnten, Spuren von Leben, Schwingungen. Wer hat sich nicht als Kind (so er oder sie das Glück hatte, von solchem Holz umgeben zu sein) in die Zeichnungen hineinvertieft wie in Rorschach-Tests und abenteuerliche Szenen aus ihnen herausgelesen? Und warum immer das so gewesen sein mag – Psychologen mögen es erforschen –, über knarrende Holztreppen, auf Brettern über den Bach balancierend, hinter den mächtigen Tramen auf Dachböden ließ sich wunderbar nach einem Schatz suchen – oder mit einem Schatz ein Versteck suchen...
Damit waren und sind wir nicht auf dem Holzweg. Die Erinnerungen sind gespeichert, an Wälder, an sonnenbeschienene und entsprechend duftende Balkons, an quietschende Betten. Und wir bekommen immer noch eine ganz leichte Gänsehaut, wenn wir plötzlich merken, dass dies alles noch irgendwie lebt – wie eine gute Geige. Wir werden es weiter spüren, wenn wir Glück haben.
Werden wir Glück haben? Vielleicht. Wir hoffen es zumindest. Wie legten doch Otis Redding und Carla Thomas so schön beim Song von Eddie Floyd nach: »You better knock knock knock knock knock on wood!«
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© Gassner Redolfi